Wiener Staatsoper
„NUR WER DIE SEHNSUCHT KENNT“- „EUGEN ONEGIN“ MIT ANNA NETREBKO UND CHRISTOPHER MALTMANN ALS „OPULENTES STIMMFEST“(28.Oktober 2015)
Christopher Maltman. F0to: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn
Es geht um Sehnsucht nach Glück contra Anpassung, um die Macht der Gewohnheit und das Recht auf Selbstverwirklichung. Also um zeitlose Fragen des Menschen, die nichts mit der jeweiligen historischen Ausprägung zu tun haben. Zugleich liefert Peter Iljitsch Tschaikowski mit seinen „lyrischen Szenen“ in „Eugen Onegin“ jede Menge russische Musik, die geradezu Sucht-Charakter provoziert. Und die Wiener Staatsoper bietet ein hochkarätiges, opulentes „Stimmfest“ – in einer modernen Inszenierung von Falk Richter (Ausstattung Katrin Hoffmann) – , das kaum zu toppen ist. Anna Netrebko ist nun auch in Wien als Tatjana in einer ihrer Glanzrollen zu hören. Sie legt die Wandlung des naiven Mädels zur stolzen Ehefrau geradezu hochdramatisch an. Ich kann mich an keine ähnlich intensive Tatjana erinnern. Belcanto-Schwelgen und Ausbrüche à la Tosca, flexible Lyrik und vokales „Blühen“ : die russische Diva befindet sich in Höchstform und die Briefszene bzw. das große Final-Duett werden zum zentralen Mittelpunkt einer Aufführung, die auch rund um die Netrebko ein großartiges Ensemble anbietet .
Zoryana Kushpler aus der Ukraine ist eine hinreißende, übermütige Olga, die Slowenin Monica Bohinec eine attraktive wie intensive Larina und die Rumänin Aura Twarowska eine empathische Filipjewna. Großartig der Brite Christopher Maltman in der Titelrolle. Was ihm an russischem „Sound“ abgeht, ersetzt er durch ein kluges Spiel und vokale Kraft. Ein schwieriger Charakter, der sich selbst im Wege steht. Kraftvoll, fast „knorrig“ – insgesamt eine grandiose Leistung. Und auch Dmitry Korchak als Lenski gehört in die gleiche Kategorie. Der junge Russe stolpert über seine eigenen Widersprüche. Die Stimme sitzt bei Tschaikowski besser als bei Rossini. Ein Sonder-Lob für diesen Tenor mit Zukunft. Wunderbar auch Feruccio Furlanetto als Gremin mit seinem „Hohelied der Liebe“. Würdig, abgeklärt und doch voll „Liebesglut“. Grandios!
Leider kann der Dirigent dieser Vorstellung nicht mithalten. Der junge Deutsche Patrick Lange setzt mit dem Staatsopern-Orchester auf billige marktschreierische Dramatik. Er kann Bögen nicht aufbauen und halten, er „drischt“ wo er nur kann. Für die emotionalen „Zwischentöne“ fehlt bei ihm jedes Gespür. Die Buhs am Ende mögen überzogen sein. Aber sie sind nicht unbegründet. Ein Sonderlob auch noch für den Chor der Wiener Staatsoper (Leitung Thomas Lang) – die Damen und Herren klingen wie ein Gastspiel aus Moskau. Pavel Kolgatin als Triquet gehört hingegen in die Kategorie „Oper light“ – nett, aber zu wenig Substanz. Marcus Pelz fällt positiv als Hauptmann bzw. Saretzki auf.
Die Inszenierung mit ihrer bewussten „A-Synchronität“ (Schnee im Sommer, Duell als Parodie etc.) hält trotzdem. Bei so hochkarätigen Vorstellungen, wie sie zur Zeit im Haus am Ring zu erleben sind, dominiert ohnedies die musikalische Qualität. Und die ist insgesamt beträchtlich. Wie der Applaus am Ende
Peter Dusek