Zürich: Liederabend Nina Stemme – 3.12.2015
Eine grosse Stimme im Liedgesang
Nina Stemme. Copyright: Tanja Niemann
Nina Stemme hat uns am 3. Dezember mit einem Liederabend beehrt, den sie nach einer Elektra-Serie in Wien und vor sechs Folge-Aufführungen von „Turandot“ hier am Opernhaus Zürich eingeschoben hat. Die grosse Wagner- und Strauss-Sängerin trat in hervorragender stimmlicher Disposition an. Die Stimme klingt gesund, kein übermächtiges Vibrato stört die Gesangslinie, die Höhe kommt hochdramatisch, die Mittellage klingt angenehm samten und die Tiefe wird bruchlos an die klangvolle Mittellage angefügt. Also eine richtige Opern-Stimme. Ob Frau Stemme auch eine genuine Liedersängerin ist, die Frage darf man ruhig in den Raum stellen. Beeindruckt die Sängerin, die ohne Primadonnen-Allüre auftritt und sympathisch wirkt, durch eindrückliche Stimmentfaltung, so bleiben die intimen und verhaltenen Töne doch weitgehend auf der Strecke. Schnell verlangt die Stimme nach „grossem Klang“ und damit beschert uns Frau Stemme nahezu im Übermass.
Schon bei der ersten Liedgruppe – sechs Lieder von Brahms – legte die Sängerin los, nicht nur unterstützt, sondern direkt auch animiert durch das volle Hineingreifen in die Tasten ihres Flügelmannes Matti Hirvonen. Da war nun manches einfach zu grob und zu laut musiziert, vom Text war fast nichts zu verstehen, die Stimme strömte in den Raum. Aber da und dort hörte – und sah – der Sängerin auch an, dass ihr der eine oder andere Piano-Ton in der oberen Stimmlage doch Mühe bereitete. Mit einer kleinen Verzögerung sass dann aber der Piano-Ton: eine Abnützung durch das viele Wagner- und Strauss-Singen? – In der den ersten Teil des Abends beschliessenden Liedgruppe von Mahler war dann die Künstlerin schon ganz „zu Hause“. Der mitunter fast balladeske Erzählton (beispielsweise bei: Wo die schönen Trompeten blasen) lag der dramatischen Sängerin natürlich sehr. Da kamen plötzlich Farben zum Vorschein, leichte agogische Verzögerungen, um die Dramaturgie zu verstärken – das war grosse Klasse. Hier bemühte sich auch der Pianist um feinere Töne und unterstützte die Sängerin mit den Nuancierungen, die nun mal zur Interpretation des Mahlerschen Werks gehören.
Nach der Pause waren ein paar der selten aufgeführten französischen Lieder der Komponisten-Schwestern Nadia und Lili Boulanger zu hören, die aber von der Sängerin in einem wenig idiomatischen Französisch gesungen wurden. Bei den französischen „Mélodies“ geht nun der Sängerin der Zugang zu diesem ganz spezifischen Lied-Typus fast völlig ab. Zu handfest, mitunter zu laut, wurden die Lieder gesungen. Von dem ihnen eigenen Charme der Lieder kündete diese Interpretation wenig. Das Heine-Lied „Was will die einsame Träne“ (Nadia Boulanger) war deutsch vertont und lag auch der Sängerin wesentlich genuiner in der Stimme.
Als krönenden Abschluss sang dann Nina Stemme eine Reihe von Liedern von Jean Sibelius, der ja meist in schwedischer Sprache komponierte und daher für die Interpretin ein „sprachliches Heimspiel“ war. Durch ihre grossen nordischen Kolleginnen (Flagstad, Nilsson, Söderström, Rautavaara) sind diese Lieder in hiesigen Regionen fast „bekannt“ geworden. So das geheimnisvolle „Das Mädchen kam vom Stelldichein“ mit der „roten“ Farbe. Als Zugabe sang Nina Stemme das herrliche Sibelius-Lied „Swarte Rosor“ und beendete ihren Liederabend mit Wagners „Träume“ aus den Wesendonk-Liedern. Da war sie nun ganz „bei sich“ und führte uns in die magische Welt Wagnerscher Harmonien…
John H. Mueller