MIT STARKEN PAUKENWIRBELN
- Sinfoniekonzert des Staatsorchesters Stuttgart am 7. Dezember 2015 im Beethovensaal der Liederhalle/STUTTGART
Unter dem Motto „Wachgewordenes Hören“ brachte der Dirigent Sylvain Cambreling die beiden Komponisten Helmut Lachenmann und Ludwig van Beethoven zusammen. Übrigens leitete Cambreling damals die Uraufführung der „Tanzsuite mit Deutschlandlied“ für Orchester mit Streichquartett aus den Jahren 1979/80 von Helmut Lachenmann, die jetzt mit dem Arditti Quartet und dem Staatsorchester Stuttgart erneut zu hören war, das mit glanzvoller Präzision und Wachheit agierte. Als Landschaft voller Überraschungen kam Lachenmanns komplizierte Partitur hier daher, deren tänzerischer Rhythmus von Sylvain Cambreling minuziös eingefangen wurde. Die Uraufführung bei den Donaueschinger Musiktagen stellte die Zuhörer damals vor gewaltige Probleme, denn die minimalen Pianissimo-Aktionen zu Beginn fordern immer wieder eine völlig neue und geradezu revolutionäre Art des Hörens. Die rhythmische und harmonische Kühnheit arbeitete Cambreling dabei deutlich heraus, man konnte wiederholt spannungsreiche und aufregende Entdeckungen machen, die sich tief einprägten. Glissando-Passagen, Pauken-Donnern, suggestive Schlagzeug-Effekte regten sich deutlich und rebellisch im Orchester. Die Musik sprang laut Lachenmanns eigenen Worten hier tatsächlich auf Rhythmen auf wie auf fahrende Vehikel und die rhythmischen Stationen legten immer wieder neue und veränderte Tänze und Strukturen frei, die sich extrem verdichteten. So entstand ein Flirren und Zirpen im Orchester, das immer mehr unter die Haut ging und an die Ohren teilweise hohe Anforderungen stellte, denen man sich aber gerne stellte, denn man hörte einen bemerkenswerten Spielwitz aus dieser ungewöhnlichen Partitur heraus. Darin wurde die Musik des Solo-Streichquartetts einfallsreich mit eingeflochten. Klangdimensionen öffneten Tuttifelder, wobei Lachenmann das „Deutschlandlied“ in skurriler Weise in einem Morserhythmus demontierte und persiflierte, was streckenweise von durchaus reizvoller Wirkung war. Gestrichene, geschlagene und gestoßene Töne mischten sich mit Pizzicato-Effekten. Zuletzt fiel die Musik dann in ein tonloses Nichts, das das Staatsorchester Stuttgart unter der Leitung von Sylvain Cambreling mit nie nachlassender Konzentration einfing. Die Klangflächen schienen dabei in geheimnisvoller Weise mit dem gebannt lauschenden Publikum zu sprechen und zu flüstern.
Danach überraschte Sylvain Cambrelings ungewöhnlich forsches Dirigat bei Ludwig van Beethovens Sinfonie Nr. 3 „Eroica“ in Es-Dur. Die Paukenwirbel wirkten hier extrem hart und revolutionär, so entstand fast eine neue „Sinfonie mit dem Paukenschlag“. Beethoven soll im Zorn über den tyrannischen Napoleon das Widmungsblatt seiner Sinfonie zerrissen haben. Das konnte man bei dieser robusten Wiedergabe gut nachvollziehen. Den beiden Akkordschlägen hauchte Cambreling sofort heftig pulsierendes Leben ein, das sich auf den weiteren Verlauf des ersten Satzes erstreckte. Das Hauptthema meldete sich vehement als Es-Dur-Dreiklang, wobei die Violinen drängend den enormen Schwung auffingen. Wie das Thema in seiner ganzen Größe wiederkehrte, verdeutlichte der Dirigent Sylvain Cambreling glanzvoll, ergreifend und energisch zugleich. Das Seitenthema in den Holzbläsern und Geigen besaß ungewöhnlichen Feinschliff. Zwischen den überzeugend akzentuierten klanglichen Auseinandersetzungen fiel das sensible Zusammenspiel von Streichern und Holzbläsern auf, wobei die Oberstimme in den Trompeten zuweilen noch genauer akzentuiert hätte werden können. Großartig gelang der zweite Satz mit dem berühmten „Trauermarsch“, dessen erschütternde dynamische Tiefe Cambreling nicht nur in den Celli-Passagen in reizvoller Weise auslotete. Im mittleren Dur-Teil geriet die Wiedergabe ganz in den Bann sphärenhafter Höhen. Geheimnisvoll wirkte ebenso das recht wild und ungestüm gespielte Scherzo. Und die frohe Jagdweise der Hörner im Trio bettete Sylvain Cambreling samtweich in den ausgewogenen Orchestergraben, dessen Bass-Fundamente sich im Finale immer unheimlicher öffneten. Großen Anteil daran hatten auch die gewaltig-monumentalen Einsätze der Pauke, die fast eine virtuose Stellung erhielt. Da meinte man Beethovens grimmigen Blick zu erkennen. Der Meister kämpfte hier sehr deutlich mit den Dämonen seiner eigenen Fantasie. Und die Kette der Variationenfolge zerriss bei dieser geglückten Interpretation nie. Die Oberstimme des Themas in den Holzbläsern wurde sehr schön herausgearbeitet. Selbst die Erhabenheit eines strengen Fugensatzes zeigte im Schluss-Presto ihr wahres Gesicht. Großer Jubel des Publikums.
Alexander Walther