WIEN / „Die Met im Kino“:
FALSTAFF von Giuseppe Verdi
14. Dezember 2013
Gleich zu Beginn bemerkt: Die Besucher in Saal 5 in den Village Cinemas an der Landstraße waren von Pech verfolgt. Von Anfang an krankte die Tonanlage – was man hörte, war bestenfalls mono-flach, nicht einmal stereo, von Quadrophonie keine Rede. Und dann fiel der Ton im zweiten Bild im Quartett der „lustigen Weiber“ ganz aus und kam gut eine Viertelstunde nicht wieder. Dann drückte jemand offenbar auf den richtigen Computerknopf, der Ton war wieder da (bis auf eine Schrecksekunde in der Nannetta-Arie im letzten Bild), allerdings in einer so „schepprigen“ Qualität, dass man sich schwer tut, die Sängerleistungen zu beurteilen (was man ja schon gar nicht darf, wenn man eine Viertelstunde gar nichts gehört hat…).
Die Met hat sich also, es wurde mehrfach als eine Sensation gewertet, nach mehr als vier Jahrzehnten von dem Zeffirelli-„Falstaff“ getrennt (von dem es übrigens eine Aufzeichnung mit Mirella Freni als Alice gibt). Eingekauft wurde die „50er Jahre“-Version des Kanadiers Robert Carsen (als Co-Produktion mit Mailand, London und Amsterdam). Ein optisch ungemein aufwendiges Unternehmen, was man in der Fernsehübertragung so richtig würdigen konnte, weil man ja die (ziemlich langen) Umbauten nicht bei geschlossenem Vorhang abwarten musste, sondern Backstage bei den Umbauten dabei war.
Hollywood-Kino der Fünfziger stand als optische Idee hinter dem Bühnenbild von Paul Steinberg und vor allem den Kostümen von Brigitte Reiffenstuel, die da einen Hauch von Doris Day ins Geschehen brachte. Die Ausstattung war höchst kompakt – Falstaff zuerst nicht im Wirtshaus, sondern in seinem großen Bett, die Damen nicht im Freien, sondern im Restaurant, der Besuch bei Alice fand in der 50erJahre-Küche statt. Statisterie und Requisite bis zum letzten ausgereizt.
In der Pause (an sich von Renée Fleming und ihren Interviews mit den Mitwirkenden bestritten) sprach auch Intendant Peter Gelb – aufgezeichnet – mit James Levine und Robert Carsen, der davon schwärmte, dass der letzte Akt des Werks „in die Natur“ hinausgehe. Die Optik realisiert das nur sehr ungenau. Falstaff, nass aus der Themse, findet sich erst im Pferdestall (mit echtem Pferd, das den Kopf aus einem Kobel streckt und seelenruhig Heu frisst, statt sich verständnisvoll ansingen zu lassen), und wenn sich dessen Mauern öffnen, gibt es nicht „Natur“, sondern bloß einen Sternenhimmel.
Dennoch, die Umsetzung funktioniert, weil Carsen erstens ein so intelligenter Regisseur ist, zweitens, weil er immer im Sinn des Werks einfach auf die Fröhlichkeit und vor allem Menschlichkeit hin gearbeitet hat, hoch musikalisch, allen Interpreten darstellerische Details abverlangend, die genau zeigen, dass sie ihre Rollen verstanden haben.
Beim Hauptdarsteller war das nicht nötig, der weiß vermutlich mehr über das Werk als alle anderen zusammen: An diesem Abend sang Ambrogio Maestri den 202. Falstaff seiner Karriere, und das klingt umso erstaunlicher, als er (laut Wikipedia) erst 43 Jahre alt ist. Seinen letzten Falstaff erlebte man in der Salzburger Altersheim-Inszenierung, in Wien konnte man ihn 26mal in dieser Rolle sehen, und da sich Bryn Terfel nicht so um diese Aufgabe reißt, wie er sollte, ist Maestri wohl der konkurrenzlose Falstaff unserer Tage.
Zu Recht, wie die „Nahaufnahmen“ auf der Kinoleinwand zeigten. Nicht nur, weil dieser auffallend große Mann den dicken Bauch des Falstaff nicht anschnallen muss, sondern selbst stolz vor sich herträgt. Sondern weil er diesen Verdi-Schelm in den Fingerspitzen und voll auch (mit einer breiten Bariton-Mittellage und genug Kraft für alle Anforderungen) in der Kehle hat. Ein Schwerenöter, der sich nicht unterkriegen lässt, sich auch am Ende schnell wieder errappelt. Ein Siegertyp, der nichts Unsympathisches an sich hat, obwohl er seine vielen schlechten Eigenschaften durchblitzen lässt. Kraftvoll trägt er den Abend mühelos.
Zumindest zwei Damen der Besetzung konnten es optisch im Umfang mit ihm aufnehmen, aber da war dann auch etwas dahinter. Angela Meade, die als Alice teilweise auch selbstironisch in grellgelb herumwogte (eine gefährliche Farbe schon für schlanke Frauen), hat einen blühenden Sopran mit schönen Höhen, die sie voll oder auch leicht ansetzen kann, und Verdis perlendes Lachen kommt ihr wunderbar aus der Kehle. Stephanie Blythe, in Europa kaum bekannt, weil sie selten über den großen Teich kommt, ist ein Met-Star, und das zurecht – das ist ein Mezzo mit Kraft, toller Tiefe und auch in den Höhen noch dunkel timbriert. Wenn sie mit der vollen Grazie der Sehr-Dicken Falstaff „Reverenza“ wünscht, dann hat er seine ebenbürtige Partnerin im eleganten Umgang mit dem Leibesumfang gefunden.
Jennifer Johnson Cano als Hausfrau-Blondinchen Meg Page mit schönem Mezzo und Lisette Oropesa als sehr reizvolle Nannetta mit leichtem, klarem Sopran machten das Quartett der Lustigen Weiber komplett.
Franco Vassallo, in Wien zuletzt Jago neben Seiferts Otello, plagte sich ein wenig mit dem Ford, Paolo Fanale gab, mit starkem Stimmkern, dennoch einen schmelzenden Fenton. Leider hat nicht einmal die Website der Met die Gnade, die Darsteller von Cajus, Bardolf und Pistol zu nennen, die schreiend komisch waren.
Traurig anzusehen, wie ein sichtlich gealterter James Levine im Rollstuhl dirigierte, aber er ist wieder zurück und gab dem Falstaff Tempo und Temperament, vielleicht nicht übertrieben viel Delikatesse. Aber was will man schon angesichts einer Übertragung von musiktechnisch so anfechtbarer Qualitäten sagen? Am besten gar nichts – außer, dass man viel Freude an diesem „Falstaff“ haben konnte.
Renate Wagner