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WIEN / Theater an der Wien: PETER GRIMES

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Alle Fotos Theater an der Wien / Copyright: Monika Rittershaus

WIEN / Theater an der Wien:
PETER GRIMES von Benjamin Britten
Premiere: 12. Dezember 2015

Auch Christof Loy kann überraschen. Ganz automatisch erwartete man nach seinen letzten Theater an der Wien-Arbeiten wieder einen optischen Theater auf dem Theater-Effekt. Nichts da bei „Peter Grimes“: Er hat das Fischerdorf abgeschafft, er ist auf leerer Bühne unterwegs, auf die sich der Chor gelegentlich seine Sessel mitbringt, einmal gibt es auch ein Sofa, sonst nichts. Bis auf das Bett des Peter Grimes, das schief am Bühnenrand hängt (Bühne: Johannes Leiacker).

Aber nicht nur der einigermaßen reale Rahmen des Werks ist weg, mehr noch: Eine Oper, die das Meer und die stürmische Natur so wesentlich beinhaltet, klammert in dieser Aufführung dieses Element total aus. Gewiß, man ist sehr froh, wenn einmal nicht dauernd Videos laufen, aber mit zumindest angedeuteten Meeres-Projektionen hätte man schon leben können. Aber nein, die Welt des Peter Grimes ist leer – er und die anderen, so, wie sie ihn, den Außenseiter, bedrängen, ihn, den Verdächtigen, dem seine Fischerjungen wegsterben…

Der Chor spielt in dieser Oper eine übergroße Rolle, und da geht Loy mit dieser bedrohlichen „Umwelt“ weit souveräner und intelligenter um als es in der Staatsopern-Inszenierung der Christine Mielitz der Fall ist (die ja auch im luftleeren Raum spielt, aber nicht so überzeugend wie hier). Stellenweise ist das Auftreten der wieder einmal ganz vorzüglichen Herrschaften (wie allermeistens im Theater an der Wien der Arnold Schoenberg Chor, geleitet von Erwin Ortner) geradezu choreographisch (Choreographie: Thomas Wilhelm), immer dicht, geschmeidig, meist sehr bedrohlich. Sie beginnen damit, Peter Grimes mit aufgeblendeten Taschenlampen zu suchen – und das Ende bemüht dann denselben Effekt.

Einziger Nachteil einer Welt ohne szenischen Anhaltspunkt: Man versteht (da ja auch das gesungene Englisch sehr ungleichmäßig in seiner Deutlichkeit ist) immer wieder Handlungsdetails nicht, wenn man das Werk nicht sehr gut kennt, da ja schließlich sehr viele Nebenfiguren ihren Platz behaupten. Was in dieser Inszenierung den Damen übrigens besser gelingt als den Herren…

Aber Christof Loy wäre nicht Christof Loy, wenn er es dabei beließe, ein Stück mehr oder minder „abstrakt“ auf die Bühne zu bringen. Er stellte sich – was allerdings heutzutage keinerlei Risiko mehr bedeutet – einem zentralen Problem von Brittens Werk. Da er selbst im Interview im Programmheft immer wieder den Begriff „schwul“ verwendet, kann man ihn wohl als politisch korrekt ansehen. Dass Benjamin Britten und sein Lebenspartner Peter Pears, für den er seine tenoralen Rollen schrieb, ein schwules Paar waren, wurde nie verheimlicht, allerdings auch nicht ausgestellt (wie es heute auf allen Klatschseiten der Fall ist). Dass die Geschichte des Fischers Peter Grimes, dem zwei seiner „Boys“ – die Jungen, die er zum Fischen mitnimmt – unter ungeklärten Bedingungen sterben, eine schwule Geschichte sein kann, schwebte immer im Raum, wurde aber von Inszenierungen selten deutlich angetippt. Man beließ es, wie auch die Frage, ob die Tode vielleicht Morde waren, als „Geheimnis“ des Werks. Was, offen gestanden, immer etwas unbefriedigend war.

Nun, Christof Loy räumt die Schwulen-Frage aus, indem er sie darstellt, und zwar mit einer fast erschreckenden Deutlichkeit. Er bezieht, und das ist durchaus einsichtig, auch den einsamen Freund Balstrode (von dem man ja nicht viel erfährt) in diese Problematik ein. Zwischen Balstrode (der sich gerne in Grimes’ Bett räkelt) und Grimes besteht erstaunlich viel körperliche Aggression, als wollte zumindest Grimes das Problem mit Gewalt wegdrängen. Dann kommt es wieder, wenn der zweite „Boy“ erscheint, der hier kein kleiner Junge ist, sondern ein Tänzer (Gieorgij Puchalski).

Man weiß, dass es zu den musikalischen Schwerpunkten von „Peter Grimes“ gehört, dass hier prachtvolle Orchesterpassagen sowohl von wilden Seelenregungen wie vom Wüten der Natur erzählen. Normalerweise fällt der Vorhang und das Publikum „genießt“ diese Musik als Höhepunkte des Abends. Bei Loy fällt kein Vorhang. Er benützt diese Orchesterpassagen für stumme Szenen – eine, in welcher „Gehilfe John“, wie er hier heißt (normalerweise kommt der „Boy“ im Programmzettel kaum vor, da er ja stumm ist), mit aller Routine eines Strichjungen (so, wie man sie halt aus Filmen kennt!) Balstrode verführt, und da muss man sich ganz schön viel ansehen (was vielleicht gar nicht jeder sehen will).

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Grimes stößt dazu, auf einmal gibt es eine Dreiecksgeschichte, die wahrlich nicht im Libretto steht, und die Szene, wo Grimes an sich – unwirsch und unfreundlich – mit dem Boy zum Fischen aufbricht, wird hier zu leidenschaftlich-verzweifelter sexueller Interaktion.

Bringt er den Jungen um? Das sagt auch Loy nicht zweifelsfrei aus, sondern lässt Grimes den Boy wie eine Leiche herbeischleppen, wobei dieser dann (als Traumsequenz?) wieder zum Leben erwacht, bevor er endgültig in den Hintergrund verschwindet. Natürlich kann man sich bei so viel aufgepeitschter Sexualität hier einen Lust- oder Eifersuchtsmord durchaus vorstellen…

Loy zieht diese Problematik bis zum Ende durch – wenn es schließlich Balstrode ist, der dem Freund (hier wohl aus anderen Motiven denn rettender Freundschaft) in den freiwilligen Tod schickt. Da schreitet Grimes durch eine Lichtschneise in die Richtung, wo der Boy verschwunden ist, und plötzlich wird hier eine Liebestod-Vision daraus… Und Balstrode, der sich wieder ins Bett von Grimes legt wie schon früher, muss büßen: Ihm hält man nun brutal die Taschenlampe ins Gesicht, er ist als der nächste Außenseiter der Gesellschaft auserkoren…

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Man kann nicht sagen, dass Loys Interpretation am Werk vorbeigeht, sie ist möglich, sie ist tragisch, sie hat Opern-Größe. Und am Ende, beim Applaus, regte sich nicht der geringste Widerspruch. Aber es gab ja viel zu beklatschen an diesem Abend, voran das ORF Radio-Symphonieorchester Wien unter der Leitung von Cornelius Meister, der zwar die Lautstärke von Orchester und Chor gelegentlich bis zum Maximum ausreizte, aber es keinesfalls an Differenzierung fehlen ließ und den Abend als prachtvolles musikalisches Ganzes zusammenhielt.

Es gab auch eine Entdeckung: Man mag den kanadischen Tenor Joseph Kaiser schon in der Staatsopern-„Alceste“ gehört haben, aber jetzt erst, als dieser Peter Grimes, sperrte man Augen und Ohren auf angesichts seiner Persönlichkeit. Er ist stimmlich erst einmal ein prachtvoller, klangschöner Heldentenor mit souveräner Technik, und man darf diese Partie in ihrem Schwierigkeitsgrad wirklich nicht unterschätzen. Und wie ein so starker, viril wirkender Mann die Zerrissenheit und Ängste vermittelt, die Loy ihm abverlangt (und die man eher von Neurotiker-Typen wie Shicoff kennt), ist einfach bemerkenswert: eine große Leistung.

Aber auch der Brite Andrew Foster-Williams überzeugte als Balstrode nicht nur mit  markiger Stimme, sondern auch einer Studie von Unsicherheit und Traurigkeit, die seine Figur deutlicher machte als üblich. Ebenfalls sehr schön die Ellen Orford der Skandinavierin Agneta Eichenholz – einmal keine alte Jungfer, sondern eine verzweifelte Intellektuelle im Hosenanzug.

Zwei Damen standen auf der Bühne, die einst Superstars der Opernwelt waren, und sie machten auf sich aufmerksam: Hanna Schwarz, die unvergessene Fricka von Chereaus „Jahrhundert-Ring“ in Bayreuth, hatte als „Auntie“ im engen roten Gewand unübersehbare Auftritte, gelegentlich gefolgt von ihren Nichten in Rosa (Kiandra Howarth und Frederikke Kampmann). Und Rosalind Plowrigh, einst britische Sopranistin von Weltruf, gab – im Spät-Hippie-Orient-Look – die Mrs. Sedley nicht als kleinbürgerliche Komikerin, sondern als köstliches Original.

Der schöne Baß von Stefan Cerny (als Swallow) lässt immer aufhorchen, Tobias Greenhalgh (als Ned Keene) machte sehr gute Figur, Andreas Conrad, Lukas Jakobski und Erik Årman ließen nichts zu wünschen übrig.

Es war ein Abend, der dank der kühnen Regie, des Hauptdarstellers wegen und als musikalisch gelungenes Ganzes in Erinnerung bleiben wird.

Renate Wagner

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