Fotos: Wiener Staatsoper / Pöhn
WIEN / Staatsoper:
VEC MAKROPULOS von Leos Janáček
Premiere: 13. Dezember 2015
Leos Janacek hat wunderbare „Frauen-Opern“ geschrieben, und entsprechend oft werden „Jenufa“ und auch „Katja Kabanowa“ gespielt. Seine faszinierendste Frauengestalt ist allerdings die über drei Jahrhunderte alte Emilia Marty, aber selbst sie schafft es nicht, „ihrer“ Oper, der „Vec Makropulos“, einen fixen Platz in den Repertoires zu verschaffen. Warum?
Die Antwort ist einfach. Weil das Libretto für eine Oper viel zu unklar, zerfahren, zerfasert und unkonzentriert ist. Dauernd ist die Bühne voll von Personen, und die tschechische Sprache zwingt schätzungsweise 90, wenn nicht mehr Prozent der Opernbesucher dazu, den Blick starr auf die Übersetzung zu richten, damit man wenigstens einigermaßen mitkommt, worum es gehen soll. Kurz, ein Werk, das es trotz hochinteressanter und auch wunderbarer musikalischer Passagen allen Beteiligten – Interpreten und Publikum – weidlich schwer macht.
Nachher kann man leicht Ratschläge erteilen – vielleicht hätte sich Janacek einen souveränen Dramatiker (oder zumindest Dramaturgen) holen sollen, der ihm die Komödie (!) von Karel Capek in eine zumindest weitgehend klare, spannende Handlung übersetzt – aber er hat das Werk selbst bearbeitet. Und die an sich schon abstruse Geschichte einer Frau, die auf Grund eines Elixiers, das ihr Vater am Hof von Rudolf II. entwickelt hat, mehr als dreihundert Jahre alt ist, ermangelt jeglicher Überzeugungskraft.
Der erste Akt verwirrt sich in einen jahrhundertealten Prozeß, den niemand durchschaut und wo die Diva Vorfahrin eines der Protagonisten, Gregor, ist, der mit einem Rivalen, Jaroslav Prus, um eine Erbschaft kämpft. Im zweiten Akt tritt diese Diva – eine große Sängerin – im Theater „nach ihrer Vorstellung“ auf, ohne dass die Szene irgendetwas zur Klärung der Geschichte beitrüge, eigentlich nur, um sie entsprechend in Szene zu setzen. Erst im dritten Akt darf sie dann in einer nahezu „Wahnsinns-Szene“ ihr verrücktes Schicksal herausschreien und schließlich ihre Resignation verkünden…
Immerhin dankt man an der Wiener Staatsoper dem Regisseur Peter Stein sehr viel. Man könnte es sich ja auch leicht machen und das inhaltliche Kuddelmuddel ohne Erklärungsversuche über die Bühne schicken (ist schon geschehen!). Aber Stein, der sich immer dem verpflichtet fühlt, was der Schöpfer eines Werkes wollte (eine seltene Haltung bei Regisseuren heutzutage), arbeitet schon einmal mit Hilfe von Ferdinand Wögerbauer punktgenau die Schauplätze heraus: Da ist man in einer Anwaltskanzlei, deren mit Akten-Ordnern verpflasterte Wände sichtlich die Fälle von Jahrhunderten aufstauen. Theater auf dem Theater gibt es dann, indem man mit der Diva auf der Bühne ist, der Zuschauerraum des Opernhauses im Hintergrund, im Zentrum ein „Thron“ für sie: So gliedert man das Geschehen zumindest logisch um das Wesentliche herum. Schließlich ein Zimmer in ihrer Wohnung, sachliche zwanziger Jahre-Einrichtung, wo Emilia sich das Dokument des 300jährigen Lebens von Prus „erschlafen“ hat und nach und nach alle Personen des Stücks (sofern nicht inzwischen tot) auftauchen, um das Geschehen zu seinem Ende zu führen.
Peter Stein ist bemüht, jede einzelne Figur zu umreißen, wenn auch viele kaum eine Funktion haben. Und er stellt – nicht zuletzt mit Hilfe der Kostüme (Annamaria Heinreich) – Emilia deutlich ins Zentrum des Geschehens, faszinierend, enigmatisch, zerrissen als Gestalt. Wenn das Personen-Gewiesel in der Kanzlei, dem Theater, dem Schlafzimmer auch notgedrungen jeweils groß wird, das Publikum weiß, woran es sich halten kann.
Solcherart behandelt Stein die Oper wie ein Theaterstück, das reicht ihm als „Interpretation“, und Besseres hätte er für das Werk, hätte er für Janacek nicht tun können. Die Aussage, dass es keinen wirklichen Reiz hat, jahrhundertelang über ein Menschenleben hinaus zu existieren, liegt auf der Hand – und darüber hinaus wäre da nicht mehr herauszuholen oder hineinzustopfen. So erlebt man den Versuch mit, die seltsame Geschichte wirklich zu erzählen, im klaren Licht einer vermeintlichen Realität, ohne Flucht ins Diffuse. Das ist Souveränität, in Ansatz und Handwerk.
Laura Aikin singt Emilia Marty, immer elegant, eine Zwanziger-Jahre Diva (sie erinnert an die Herzogin von Windsor, als diese noch ansehnlich war). Der Hauch von Künstlichkeit, der sie umgibt, ist Konzept – dafür darf sie dann in ihrem großen Verzweiflungs-Monolog im dritten Akt alles hinter sich lassen, die Coolness wegwerfen und einen tollen Ausbruch hinlegen. Schauerlich-einleuchtend ist der finale Schlusseffekt, wenn sie mumienhaft erscheint, allerdings als eine jener braunledernen Schrumpelmumien, nicht als weißes Gespenst. Stimmlich hört man geradezu die Kompetenz der Sängerin, die mit der größten Selbstverständlichkeit der Moderne verpflichtet ist, wobei ihr die Höhe immer, die Mittellage nicht immer gelingt.
Einspringer Ludovit Ludha konnte von einer Makropulos-Produktion in Brünn nahtlos in die Staatsoper überwechseln, hatte also spürbar keine Probleme mit der Rolle. Er ist Emilias Nachkomme der im ersten Akt als „Unehelicher“ um das Erbe kämpft, gegen Markus Marquardt als der kraftvolle und auch „moralisch“ selbstgerechte Bürger, der sein Geld nicht preisgeben will – eine nachdrückliche Erscheinung. Wenn beide Herren stimmlich manchmal angestrengt wirkten, fällt das bei Janacek etwas weniger ins Gewicht als bei Belcanto…
Minimal ist ein jugendliches Paar gezeichnet, wobei Margarita Gritskova die Funktion hat, Emilia als Künstlerin anzuhimmeln, dabei aber nur zeigen darf, wie hübsch sie ist. Carlos Osuna belästigt sie als Prus’ Sohn die längste Zeit tenoral (auf dem Theaterthron des 2. Aktes, was nicht so überzeugend wirkt), um mit fliegenden Fahnen zu Emilia überzugehen und im dritten Akt, weil selbstgemordet, nicht mehr dabei zu sein.
Eine drollige Rolle ist der alte Verehrer Emilias in deren früherer Inkarnation als Zigeunerin – dafür wird der köstliche Heinz Zednik im letzten Akt von zwei Irrenwärtern davon geschleppt. In der Kanzlei sind Wolfgang Bankl als voluminöser Chef und Thomas Ebenstein als zappliges, wenn auch nicht unelegantes Faktotum beschäftigt. Marcus Pelz als Maschinist und Aura Twarowska als Aufräumerin tauchen im zweiten Akt auf, Ilseyar Khayrullova ist das Kammermädchen im dritten.
Es erscheint äußerst ungerecht, dass Franz Welser-Möst, der diesen Janacek Zyklus in Wien initiiert hat, nicht für das Dirigat dieses Werks zurückgeholt wurde, aber jedenfalls hat die Staatsoper in Jakub Hrůša einen absolut würdigen Interpreten, geradezu spürbar liebevoll im Umgang mit der Musik, die auch noch im scheinbaren Parlando der Sänger immer mit Dramatik vorwärts drängt und zu gloriosen Aufschwüngen findet (vor allem im Finale, was dann auch für den darauf folgenden Applaus günstig ist).
Es gab Jubel, Jubel, Jubel und wenn ein einziger Buh-Rufer gegen Peter Stein es nicht lassen konnte, dann ist er angesichts einer offenbar begeisterten Zuschauerschar eine zu vernachlässigende Promille-Kleinheit. Die Frage ist, ob eine Rarität wie diese, zumal ohne vordergründige Star-Besetzung, ihr Publikum finden wird: Schon bei der Premiere waren nicht einmal die Parterre-Stehplätze ausverkauft. Aber die Mundpropaganda wird’s schon verkünden, dass sich der Abend lohnt.
Renate Wagner