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WIEN/ Staatsoper: FIDELIO – Erlösung vom Salzburger Trauma

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Wiener Staatsoper: 7.1.2016: „FIDELIO“ – Erlösung vom Salzburger Trauma

Jörg Schneider (Jaquino), Stephen Milling (Rocco). Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Das Stück gibt keine Probleme auf. So wie es Otto Schenk und Günther Schneider-Siemssen inszeniert haben und Peter Schneider dirigiert, versteht es sich von selber. Tonangebend bleibt Ludwig van Beethoven – im wörtlichen und übertragenen Sinn. Offene Fragen beantworten sich automatisch: Warum singen Rocco, Marzelline, Jaquino und Leonore ein Quartett, noch ehe die eigentliche Handlung begonnen hat? Antwort: Weil Beethoven es so wollte und – sich dabei etwas gedacht hat: Alle vier brauchen Zeit zur Besinnung. – Warum singt Rocco, wenn es ihm um das echte  Glück der beiden jungen  Leute geht,  die Gold-Arie? Wollte der Komponist damit nicht begründen, warum ihm Pizarro einen Beutel Geld für die Ermordung Florestans anbietet? – Warum bedankt sich Florestan für ein bisschen Wein und ein Stück Brot mit so großen Worten wie „Euch werde Lohn in bessern Welten, der Himmel hat Euch mir geschickt“? Ich denke, damit wird erklärt, was dieses Ehepaar so fest aneinander bindet – beide sind ganz starke Persönlichkeiten mit visionären Gaben. – Wenn Leonore Pizarro mit der Pistole bedroht, warum entreißt er sie ihr nicht, anstatt sich daneben zu stellen und zu singen? Doch deshalb, weil er in Beethovens Augen immer noch Mensch bleibt. (Es ist ja auch keine auf der Bühne sichtbare Hinrichtung eingeplant.)

Der langen Einleitung kurzer Sinn: Wir haben an diesem Abend einen durch und durch menschlichen „Fidelio“ erlebt. Im dafür wie geschaffenen Bühnenrahmen gibt es keinen gravierenden Unterschied – und schon gar keinen Bruch – zwischen den „harmlosen“ „Spielopern“-Szenen zu Beginn und den heroischen Folge-Ereignissen. Die ersteren waren so munter und herzlich, die letzteren ohne jegliches Pathos – dafür aber umso ergreifender.

Das unverfälschte Beethoven-Glück fing mit dem Dirigenten an. Peter Schneider hat es nicht nötig, irgend etwas „beweisen“ zu wollen. Es gibt keine Gewaltaktionen und keine forcierten Tempi. Die ersten Akkorde kommen schlicht und schön, mit warmem philharmonischem Klang. Die melodischen Phrasen der Ouverture lassen Hoffnung keimen, dass aus den menschlichen Wirrnissen Gutes erwächst. Besorgnisse und schöne Visionen wechseln einander ab. Auch im Staatsgefängnis leben Menschen. Dem Jaquino des Staatsopern-Rollendebutanten Jörg Schneider gefällt offenbar sein „job“ als Pförtner und er versucht auf sympathisch verspielte Weise sein Glück bei der Tochter des Kerkermeisters, noch dazu mit schöner Tenorstimme. Das aparte junge Mädchen in Gestalt von Valentina Nafornita spielt gerne mit, in recht schönem Deutsch und mit hübscher Stimme. Dass Rocco das Bestechungsgeld nicht annimmt, macht Stephen Milling mehr als glaubhaft. Er ist ein so warmstimmiger Rocco, nicht nur, wenn er seinen Nobelbass zum Einsatz bringt, sondern auch mit seiner Sprechstimme suggeriert er Vertrauen. Wie warmherzig er zu Fidelio sagt: „Meinst du, ich könne dir nicht ins Herz sehen?“ – das berührt. Und so agiert er auch im weiteren Verlauf des Abends. Bei dem hat Pizarro keine Chance, und der für Jewgeni Nikitin eingesprungene Albert Dohmen belässt mit gewissen Ängsten und Zweifeln dem Gouverneur auch ein Quäntchen Menschlichkeit. Gänzlich Pathos-frei spricht, singt und spielt auch die Leonore von Anja Kampe. Erst ein strammer junger Bursch, der Marzellinchen so nett anblickt, dass sie wirklich meinen könnte…Dann die entschlossene Frau, die mit aller Kraft um den geliebten Mann kämpft, wiederholt großen Schrecken bekundet, wenn ihre Befürchtung, Florestans Leben sei unmittelbar bedroht, immer mehr Boden gewinnt, und zuletzt vor Entschlusskraft fast explodierend, wenn es um die finale Entscheidung geht. Mit ihrem hellen jugendlich-dramatischen Sopran weiß sie souverän umzugehen, beschwört glaubwürdig, mit sicheren Höhen, die treue Gattenliebe und macht Pizarro mit „Töt erst sein Weib!“ erzittern. Tenöre, die aus dem Florestan keine permanente Zitterpartie machen, sind rar. Klaus Florian Vogt bewältigt die Partie nicht nur topsicher, mit seiner hellen, klaren, in allen Lagen gut sitzenden Stimme, sondern gestaltet auch die Rolle perfekt – ein Idealist, ein Poet, ein Visionär, ehrlich und furchtlos. Unter Don Pizarros Regime unerwünscht. Im Finale blüht dieser Mann wieder auf und die Umarmungen und inbrünstigen Küsse zwischen dieser Leonore und diesem Florestan sind so herzlich, dass man sicher ist: anders hätte es gar nicht kommen können. So wie die Chor-Herren mit ihren prächtigen Stimmen, prächtig einstudiert von Thomas Lang, sich hörbar am Sonnenschein labten und die beiden Solo-Gefangenen, Dritan Luca und Hiro Ijichi, noch zwischen Gefühlen wie „Wir werden frei“ und „Haltet Euch zurück“ schwankten, so vollkommen ist das Glück aller, auch der Chordamen, nachdem Boaz Daniel als Minister verkündet hat „Es sucht der Bruder seine Brüder“, im Jubel-Finale, das gar nichts Utopisches an sich hat, sondern hier und jetzt glaubwürdig stattfindet.

Dafür hat Peter Schneider einen Abend lang den Boden bereitet. Die philharmonischen Musiker kennen ihn und kennen Beethoven. Man kann also gar nicht von Gefolgschaft sprechen, denn es handelt sich um ein gemeinsames Vorgehen. Um nur ein paar Momente hervorzuheben: Die Überleitung zum 2. Bild, dem Auftritt Pizarros und der Soldaten: Hier ist Tempogleichmaß bis an den Rand des Lachhaften angesagt (so wie Schenk deren Auftritt auch inszeniert hat – fragloser Gehorsam ohne Sinn und Zweck), zugleich aber „schöne Musik“,  die eben dazu verführt. Die  Einleitung zum Gefangenen-Chor, so charismatisch und hoffnungsträchtig intoniert : Das sind keine bösen Rebellen, die da singen „ O welche Lust, in freier Luft den Atem leicht zu heben“. (Sie sind auch passend gekleidet, in recht zivilisierte Hemden, Hosen und Jacken.) Die Einleitung zum Kerker-Akt nimmt etliche  – helle und dunkle – Gedanken voraus, die von Florestan dann in Worte gefasst werden. Nicht alles ist demnach Bedrohung, sondern es bleibt ein Tor offen…Die „namenlose Freude“, die Schneider aus dem Graben hinauf hievt zum glücklich wieder vereinten Paar, das sich geistig und seelisch darin badet, kann man nicht ohne Freudentränen übernehmen! Anders als viele andere Maestri fetzt Schneider die 3. Leonoren-Ouvertüre nicht effekthascherisch herunter, sondern baut sie organisch auf, mit ihren besinnlichen Passagen und zuletzt in ihrer Siegesgewissheit, an der nicht zu rütteln ist!  Wie auch im großartig crescendierten Finale, dessen Textwiederholungen hier gar nicht unnötig scheinen, nein, man braucht sie zur Bekräftigung der stücktragenden Botschaft: „Nie wird es zu hoch besungen…:“

Wenn dann in dieser sinnreichen Inszenierung das gesamte Chor- und Solisten Ensemble (außer dem bereits von der Polizei abgeführten Pizarro) sich um Leonore und Florestan zusammenschart, während der Vorhang fällt, mag das symbolisch gesehen werden für ein echtes Opernerlebnis: alle Künste und Künstler vereinigen sich um einer Botschaft willen, die keine einzelne Kunstsparte bieten kann.

Und während ich zwischen Abfassung dieser Zeilen im meinem alten Reclam-Textbuch aus dem Jahre 1952 etwas nachschauen will, springen mir in der Einleitung folgende Zeilen entgegen:

Beethovens „Fidelio“ zählt zu jenen Opernschöpfungen, die sich, ungeachtet ihres großartigen musikalischen und künstlerischen Gehaltes, dem Zuschauer und Hörer ohne jeden Kommentar, gewissermaßen voraussetzungslos erschließen.“

Das wusste man anscheinend seit fast 200 Jahren. Sind wir Heutigen um so viel dümmer geworden, dass wir Regisseure brauchen, die es uns mit großem szenischem Aufwand erklären???

Sieglinde Pfabigan

PS: Hätte ich die Mittel dazu, würde ich dieses Wiener „Fidelio“-Gesamtpaket nach Syrien schicken…Und wenn es dort nur eine Handvoll Menschen zum Umdenken anregte…

 

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