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WIEN/ Staatsoper: BALLETT-HOMMAGE – oder die hohe Schule des tänzerischen Drills

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Premiere in der Wiener Staatsoper: „BALLETT–HOMMAGE“  – oder Die hohe Schule des tänzerischen Drills. 15.12.2013

Eine Hommage? Eine richtige Huldigung an die Kunst des Balletts, auf Tradition und auch Gegenwart des klassischen Bühnentanzes?

Oder, von einer anderen Seite gesehen: Das erste und das letzte Stück des dreiteiligen neuen Ballettabends erzählen von diesem Drill, der Zucht, den Mühen, Bemühungen, welchen die Tänzer ausgesetzt sind, um mit ihren Körpern diese Virtuosität zu erreichen, welche von den Tanzpädagogen, von manchen ihrer Zuchtmeister oder von allzu kritischen Beobachtern gefordert werden. Oder, in überhöhenden, in berührenden Momenten auf der Bühne: Um eine überzeugende, eine eindringliche poetische Aussage zu erzielen.

 Betrachten wir es jedoch lieber so, wie es sich das Opernhaus erwünscht, damit auch Publikum in die Ballettabende gelockt wird: Als eine geglückte Ehrerbietung an die Tanzkunst. Diese “BALLETT–HOMMAGE” von rückwärts begonnen, mit den “Études”, dem abschließenden und attraktivsten Schaustück des Abends: Der dänische Choreograph Harald Lander studierte diese halbstündige handlungslose Tanzdemonstration 1948 mit dem Ensemble des Königlichen Theaters in Kopenhagen ein. Diese “Études”, in vielen Städten nachgespielt, auch im Repertoire der Wiener Staatsoper von 1967 bis 1977, sind durch die Jahre ein Paradebeispiel für eine Einführung des Betrachters in den Ballettsaal und in das strenge Reglement  der hohen Schule der akademischen Tanzes geblieben.

Klavieretüden des Wiener Komponisten Carl Czerny (1791 bis 1857, Schüler Beethovens und nicht so ganz auf dessen Niveau), bisweilen recht originell und auch leicht schräg von Knudage Riisager orchestriert, erklingen (Dirigent: Peter Ernst Lassen). Und auf der leeren, doch abwechslungsreich eingeleuchteten  Bühne führen die Mädchen und Burschen vor, wie sie sich in der Gruppe oder als Solisten zu exercises à la barre,  mit Grand battements, mit Ronds des jambes, mit Relevés, mit Fouettés, dem ganzen anderen Regelwerk der Danse d´école abmühen müssen. Nein, nicht abmühen! Elegant muss es wirken, höchst elegant, virtuos. Und exakt abgestimmt. Präzision! Wehe, wenn da eines der Figürchen aus der Ordnung herausfällt – macht keinen guten Eindruck.

 Dies ist die eine Seite. Schließlich wirbeln sie alle aber dann mit großen Sprüngen in der Diagonale und im Kreis und Hin und Her und immer eindrucksvoll herum. Alle Achtung! Diese international zusammengesetzte Kompanie, dieses Wiener Staatsballett präsentiert sich hier als ein sehr gutes, als ein absolut erstklassiges  Ensemble! Eszter Ledán, Flavia Soares, Maria Tolstunova sowie Denys Cherevychko, Davide Dato und Roman Lazik führten am Premierenabend die zur Leistungsshow angetretenen Kollegen an. Die grazile Kiyoka Hashimoto war ihnen als elegante, technisch sichere, doch noch nicht so ganz als eine rollendeckend hierarchische Größe ausstrahlende Primaballerina an die Spitze gestellt.

 Und auch im modernen Tanz funktioniert es nicht ohne beinharten Drill. Choreograph William Forsythe führt dies in “The Second Detail”, einem  1991 für das Kanadische Nationalballett konzipierten Perpetuum mobile für rund ein Dutzend Tanzartisten vor. Anonym bleiben diese hier in einem alle ihre Energien herausfordernden Spielraum. Grotesker, immer wieder abreißender Computersound von Thom Willems dröhnt unangenehm laut ins Ohr. Bühne, Tänzer, Kostüme grau in grau. Frauen und Männer mit identen Gesten, identem körperlichen Einsatz, strikt eingebunden in eine kraftvolle Bewegungsmaschinerie. Durchaus eine genialische. Denn diese von Forsythe bereits vor über zwei Jahrzehnten entwickelte artistische Körpersprache wird heute mit ähnlicher Perfektion und auf nicht so unähnliche Art von einer Reihe von Choreographen der jüngeren Generation beherrscht. Und kann bereits auch als etwas abgestanden, ausgereizt angesehen werden. 

 Zwischen diesen beiden Drill-Etüden wird denn doch auch die Seele beschworen. “Contra Clockwise Witness” hat Natalia Horecna – in Bratislava geboren, früher Solistin in ihrer Heimatstadt und in westeuropäischen Kompanien – ihre uraufgeführte Kreation für das Wiener Staatsballett betitelt. Auch sie zählt zu diesen jüngeren Choreographen, welche das aktuelle Schrittvokabular perfekt beherrschen. Von ihrer Phantasie inspiriert  – und vom Tod ihres Vaters – erzählt Horecna in dreizehn Szenen von einem im Affekt alle Lebenshoffnungen aufgebenden Selbstmörder (András Lukács), von dessen übersensibler Seele (Andrey Kaydanovsky), von strengen Todesengel. Erzählt aber auch, erfreulicher, von heitereren, Liebe ausstrahlenden Engelsgestalten, welche sich verspielt und skurril herumtummeln dürfen und die Seele schließlich wieder zurück in den Körper des Mannes geleiten. Das menschlich sehr ansprechende Stück wirkt in seinen überwiegend kürzeren, abrupt abbrechenden Sequenzen zu einer abwechslungsreichen bunten Klangmixtur (frisch und  munter von George Crumb, Max Richter bis zu The Tiger Lillies und Alberto Iglesias) spontan aufbereitet und mit Herzblut gestaltet, nicht aber immer schlüssig durchdacht.

Meinhard Rüdenauer

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