Quantcast
Viewing all articles
Browse latest Browse all 11208

LUDWIGSBURG/ Forum Schlosspark/ Gastspiel Theater Freiburg: IL TROVATORE – eine aus den Fugen geratene Familie

 „Il trovatore“ von Giuseppe Verdi mit dem Theater Freiburg im Forum am Schlosspark Ludwigsburg

EINE AUS DEN FUGEN GERATENE FAMILIE

Il trovatore“ von Giuseppe Verdi mit dem Theater Freiburg am 19. Januar 2016 im Forum am Schlosspark:

Image may be NSFW.
Clik here to view.
20160119_Il_trovatore_1_c_Rainer Muranyi

Copyright: Rainer Muranyi

Rudi Gaul und Heiko Voss inszenieren Giuseppe Verdis Schaueroper mit suggestiven Mitteln. In der Bühnenmitte sieht man ein blutrotes Kino, in dem ein grotesker Zeichentrickfilm gezeigt wird. Im zweiten Akt wird diese Bühne von Olga Motta (die auch für die Kostüme verantwortlich ist) zu einer wie von Christo verpackten Kuppel, die zunächst wie eine riesige Höhle aussieht, vor der sich die Protagonisten hin- und herbewegen.

Die seelischen Probleme einer völlig aus den Fugen geratenen Familie treten im Laufe des Abends immer offensichtlicher hervor. Aus Rache will die Zigeunerin Azucena, die als Hexe von der Gesellschaft ausgestoßen worden ist, den Adelsspross Manrico bei lebendigem Leib verbrennen, wirft jedoch den eigenen Sohn in die Flammen. Den Mord am eigenen Kind verdrängt sie bei dieser Inszenierung krampfhaft, die visionär auch vor dem Bühnenvorhang mit imaginären Bildern spielt. So gibt sie Manrico als ihr Kind aus und zieht es im harten Umfeld der gesellschaftlich Geächteten auf. Zuletzt schmachten Azucena und Manrico im Kerker. Leonore erscheint, um dem Geliebten das Tor der Freiheit zu öffnen. Dieser glaubt aber an Verrat – bis ihm die Sterbende ihr Liebesopfer offenbart. Graf Luna, der dies gehört hat, schickt Manrico zur Hinrichtung. Und er zwingt Azucena, Zeugin der Exekution zu werden.

Dies alles geschieht in der Inszenierung von Rudi Gaul und Heiko Voss mit Hilfe skurriler Zeichentrickfilme und flimmernd-glühender Bilder, die sich bei den Zuschauern tief einprägen. Im Vordergrund sieht man eine goldene ägyptische Mumie und im Hintergrund ein fahles Gerippe. Zuletzt färbt sich der Hintergrund des „Kinos“ blutrot. Die Flammen scheinen die gesamte Oberfläche zu verschlingen. Die Welt scheint plötzlich still zu stehen. Variete, Kino und Kirche vermischen sich zu einem verstörenden visuellen Kosmos, der an Stanley Kubrick’s Horrorstreifen „A Clockwork Orange“ erinnert. Das alles wirkt zudem expressionistisch und erinnert zuweilen an die zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts. Im Hintergrund sieht man auch immer wieder ein Kreuzzeichen.

Image may be NSFW.
Clik here to view.
20160119_Il_trovatore_4_c_Rainer Muranyi

Copyright: Rainer Muranyi

Dem Dirigenten Daniel Carter gelingt es, mit dem intensiv musizierenden Philharmonischen Orchester Freiburg die harmonischen Zusammenhänge offenzulegen. Der Reichtum der Melodien blitzt auch beim von Bernhard Moncado ausgezeichnet einstudierten Chor- und Extrachor des Theaters Freiburg (zusammen mit Studierenden der Hochschule für Musik Freiburg) hell auf. Unmittelbarkeit und Wärme der Empfindung werden hier voll ausgekostet. Das liegt auch an den vorzüglichen Sängerinnen und Sängern – allen voran die strahlkräftige Leonora von Liene Kinca, die ihren Kantilenen blühende Belcanto-Kultur verleiht. Außerdem kommen Parlando- und Mezza-voce-Kultur nicht zu kurz. Man begreift bei dieser Inszenierung jedoch sofort, dass die von Anja Jung ohne Vibrato und mit ausdrucksvoller Fülle verkörperte Zigeunerin Azucena die wichtigste Figur in dieser Oper ist. Posttraumatische Belastungen werden hier mit hoher spieltechnischer Intensität ausgekostet. Die große Schuld, die die Liebe zwischen Mutter und Sohn ermöglicht, drängt sich immer mehr ins Zentrum des Geschehens. Sehr forsch beginnt die Oper mit dem Auftritt des Hauptmanns Ferrando (furios: Andrei Ivan), der die Vorgeschichte erzählt. Vor vielen Jahren ließ der alte Graf Luna eine Zigeunerin verhaften, nachdem die Amme seines zweitgeborenen Sohnes sie an dessen Wiege überraschte. Das verhexte Baby wurde von einem heftigen Fieber heimgesucht. Der Graf verurteilte die Zigeunerin zum Tod auf dem Scheiterhaufen. Ihrer Tochter aber gelang es, den Jungen zu rauben. Kurze Zeit später wurden an der Stelle des Scheiterhaufens die verbrannten Reste eines Babys gefunden. Alle glaubten, dass es sich um den geraubten Sohn des Grafen handelte. Sehr einfühlsam erscheint Liene Kinca als Leonora, die von ihrer ersten Begegnung mit dem von ihr geliebten Manrico erzählt. Und in der Arie „Condotta ell‘ era“ („In Fesseln geführt“) gelingt es Anja Jung, die ungeheure dämonische Besessenheit der Zigeunerin Azucena darzustellen, die Vergangenheit und Gegenwart in geheimnisvoller Weise zusammenführt. Aber man begreift auch, dass sich Vergangenheit und Gegenwart erst im dritten Teil wirklich verbinden können, als Azucena gefangen genommen wird. Rudi Gaul und Heiko Voss legen außerdem auf psychologische Details bei ihrer Inszenierung großen Wert. Bei dieser Inszenerung gewinnt das Feuer eine ganz zentrale Bedeutung und zieht sich wie ein roter Faden durch die Handlung. Elisandra Melian als Inez macht Leonora klangfarbenreich deutlich, welch gefährliche Flamme sie nährt. Den Charakter der episch-romantischen Ballade arbeitet der Dirigent Daniel Carter kontrastreich heraus. Melos und Rhythmik beherrschen die weiteren gesanglichen Auftritte von Juan Orozco als Luna, Daniel Magdal als höhensicherem Manrico, Shinsuke Nishioka als Ruiz, Pascal Hufschmid als Zigeuner und Jung-Nam Yoo als Bote.

Die typischen Elemente der Schauerromantik kommen bei dieser fantasievollen Inszenierung nicht zu kurz. Man nimmt ganz deutlich wahr, dass es hier überall spukt. Das nächtliche Zigeunerlager strahlt eine dunkle magische Kraft aus. Das Motiv der feindlichen Brüder steigert sich immer mehr zum Inferno. Rache scheint die Gerechtigkeit zu vertilgen. Miserere und Trauermarsch verdeutlichen Leonoras Opfertod in fahlen harmonischen Klangbildern. Leonoras Opfertod ist genauso sinnlos wie Lunas Rache. Scharfe Rhythmen und hochschnellende Melodien beschreiben die Flammen als wiederkehrende Obsession. Leidenschaftliche Gefühlsaufschwünge lassen stellenweise sogar Bizets „Carmen“ bereits erahnen. Das merkt man insbesondere bei Azucenas glühender Kanzone „Stride la vampa“ („Lodernde Flammen“), wo Anja Jung mit loderndem Brio über sich selbst hinauswächst. Das bizarre Geschehen auf der Bühne verschmilzt so immer mehr mit den musikalischen Vorgängen, die sich in geheimnisvoller Weise verdichten. Stretta-, Martellato- und Staccato-Passagen erklingen aufpeitschend aus dem Orchestergraben.

Und der Dirigent Daniel Carter feuert die Sängerinnen und Sänger immer wieder in elektrisierender Weise an. Da sprühen Ton-Funken ins Parkett, die vom Zigeunerfeuer entfacht zu sein scheinen. Furios geballte Dramatik vermischt sich mit mobider Tönung. Wort- und Tonseele im Arioso erreichen wiederholt glanzvolle Höhepunkte, insbesondere bei Liene Kinca als ergreifender Leonora. Die von innerer Leidenschaft erfüllten Kantilenen hinterlassen bei den Zuhörern einen unvergesslichen Eindruck. Selbst die Natur- und Seelenstimmung blitzt bei den dunklen Zigeunerszenen in reizvoller Weise hervor. Die Neigung zu kontrapunktischer Gestaltungsweise wird von Daniel Carter ebenfalls nicht verleugnet. Auch Anja Jung vermag die Passaggio-Passagen präzis zu verdeutlichen. Bei manchen Szenen hätte man sich allerdings noch eine größere visuelle Intensität gewünscht. Dies gilt insbesondere für die Szenen zwischen Manrico und Leonora, die sich in der Festung ihre Liebe versichern. Insgesamt jedoch ist diese Aufführung ein großer Wurf, der Giuseppe Verdi als souveränen Musikdramatiker in alptraumhaften Szenen zeigt. Sie wurde deswegen vom Publikum gefeiert.   

Alexander Walther 

Diese Seite drucken


Viewing all articles
Browse latest Browse all 11208