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WIEN / Volkstheater:
ROMEO UND JULIA von William Shakespeare
Premiere. 23. Jänner 2016
Besucht wurde die Vorstellung am 2. Februar 2016
Anna Badora kommt dem Publikum des Wiener Volkstheaters hardcore. Auf dem Programm mögen zwar Namen wie „Nestroy“ oder „Shakespeare“ stehen, was man zu sehen bekommt, sind jedoch die Willkür-Spielchen von Regisseuren, die hier tun dürfen, was sie wollen. Nicht zum Wohl des Hauses, nicht zum Wohl des Theaters im allgemeinen. Aber vermutlich zu ihrem eigenen Spaß. Hoffentlich. Denn wenn dahinter noch bierernste Überzeugung stünde – Mann o Mann…
„Romeo und Julia“ von Shakespeare ist ein Theaterstück – es hat seine Figuren, seine Geschichte, seine Struktur, seine Aussage, seine Poesie, seine Magie… kurz, ein Shakespeare, voll und reich. Regisseur Philipp Preuß – geboren 1974 in Bregenz und alles andere als ein Anfänger – interessiert sich für all das gar nicht. Er hatte nur eine „Idee“, und die zieht er durch.
Die Idee? Drei Schwestern, Dreimäderlhaus, Trio Infernal? Dazu drei Buben. Dafür kann man den Rest des Personals einsparen. Mama Capulet und Amme, eine Person (damit es was zu lachen gibt). Gerade noch Vater Capulet und Lorenzo, Paris und Tybalt, und auch die alle nur am Rande, pfeif auf den Rest, pfeif auf die Handlung. Kaum angedeutet der tödliche Familienzwist. Nichts an-, geschweige denn ausgespielt von der realen Geschichte (da passiert nämlich eine Menge bei Shakespeare). Nur die „Idee“ des Regisseurs.
Romeo und Julia mal drei, drei Männlein, drei Weiblein, Sex for Six. Dass die drei Romeos, die drei Julias nun so verschieden wären, spielerische Kontrastentwürfe zu einer Figur, das war offenbar nicht gemeint. Die drei Damen und die drei Herren agieren als Gruppe mit verteilten Rollen, hampern gelegentlich sogar choreographisch herum. Manche wichtige Passagen müssen alle spielen dürfen, also dann: dreimal hintereinander. Da so viel sonst gestrichen ist, kann man sich den Zeitaufwand leisten. Was wird mit all dem gewonnen? Diese Sinnfrage bleibt schrecklich offen.
Mit Worten allerdings lässt sich trefflich streiten und argumentieren: Wir zeigen nicht das eine außergewöhnliche Paar als große Ausnahme, als “Wunder”. Indem man es verdoppelt oder verdreifacht, wird es zur Gruppe. Und dann funktioniert es vielleicht wie Gesellschaft. Man sieht, was passieren würde, wenn man diese Liebesbeziehung eben nicht als individuelle, sondern als gesellschaftliche Angelegenheit denkt. Das macht auch anschaulich, wie eine Identität konstruiert ist, wie viele Dinge in einer als “Ich” definierten Person sich eigentlich komplett zuwiderlaufen. Wenn man die Figuren der beiden Liebenden jeweils zu dritt spielt, kann man diese oft widersprüchlichen Antriebskräfte auf die Bühne bringen. Aber was nützen solche Erklärungen des Regisseurs angesichts dessen, was man auf der Bühne sieht?
Ramallah Aubrecht hat auf die an sich leere, mit schwarzen wehenden Nylonbahnen begrenzte Drehbühne faktisch nur ein paar Klaviere gesetzt, mehr als die sechs Pianisten brauchen, die immer wieder für die Live-Musik sorgen (Kornelius Heidebrecht), deren Charakter aufdringlich und in ihrer Einfallslosigkeit dann wieder unauffällig ist.
Die drei Romeos und Julias sind männlicher- und weiblicherseits mit zwei schmaleren Typen (Nils Rovira-Muñoz, den man angesichts seiner miserablen Sprechtechnik nicht auf eine Bühne lassen dürfte, und Nadine Quittner, eher laut maulig) besetzt, mit zwei „mittleren“ (Katharina Klar und Kaspar Locher, ohne besondere Eigenschaften) und zwei sogenannten „Resterln“, wie man in Wien zu den voluminösen Typen sagt: Stefanie Reinsperger und Thomas Frank drehen dementsprechend am lautesten und gröbsten auf. Da wird Liebe wirklich zum grölenden Protest.
Im übrigen hat sich die Regie nur um die Doppelbestzung Amme und Lady Capulet gekümmert: Da muss Steffi Krautz eine Schmiere erster Ordnung abziehen (teils unsäglich per Video auf die ganze Bühne vergrößert) , was sie allerdings virtuos tut. Der „liebe“ Vater Capulet (Stefan Suske) wird als Brutalinski entlarvt, der Rest (Rainer Galke als Lorenzo, Sebastian Klein als Tybalt, Christoph Rothenbuchner als Paris) bleibt gänzlich unauffällig.
Gestorben wird lapidar, indem man sich selbst mit roter Farbe aus Plastikflaschen überschüttet, damit es vorher noch lustig wird, prustet man diese (oder auch Wasser) so nachdrücklich dem Vis a Vis ins Gesicht, als spielte man den dritten Akt „Fledermaus“. Alles gibt sich heutig-flapsig, haucht auch mal einen Song ins Mikro (diese Klischees „moderner“ Inszenierungen sind sterbens-ermüdend), und gebärdet sich selbstverständlich jenseits von Psychologie, Verstand und Geschmack. Auch das gehört dazu. Willkür ist alles, je wilder und kreischender, desto besser. Nicht einmal der Schwan von Stratford on Avon hat es heutzutage mehr verdient, dass man mit ihm respektvoll (geschweige denn liebevoll) umgeht…
Wessen Theaterverständnis sozusagen noch Hand und Fuß hat, für den kann das Gebotene nur unter „sehr quälende Abende“ rangieren. Ein Großteil des jugendlichen Publikums applaudierte allerdings begeistert, auch das muss ehrlicherweise vermerkt werden. Vielleicht haben sie es sich schon vorher auf Facebook zuge“liked“ und wissen, dass es ihnen gefallen muss…
Renate Wagner