WIEN / Akademietheater des Burgtheaters:
DIESE GESCHICHTE VON IHNEN von John Hopkins
Premiere am 28. Jänner 2016,
besucht wurde die Vorstellung vom 3. Februar 2016
Gewalt ist eine so schreckliche Realität in unserer Welt, dass „Diese Geschichte von ihnen“ des Briten John Hopkins wahrlich ein Thema hat und sich lohnt, trotz seines Alters (1968) als Stück hervorgeholt zu werden. Ob man es allerdings sehen will, das soll sich jeder vorher überlegen und gut entscheiden – denn was im dritten Akt an brutaler körperlicher Gewalt auf die Bühne gebracht wird, ist von so gnadenloser Scheußlichkeit, dass der Erkenntnisgewinn des Stücks mit der gänsehauterzeugenden Schockwirkung hart bezahlt wird.
Drei Akte, die nicht in der richtigen Reihenfolge gezeigt werden. Der erste ist quasi der zweite – der Polizist Johnson kehrt zu seiner Frau heim und berichtet ihr, dass er beim Verhör wahrscheinlich einen Menschen getötet hat. Akt zwei ist der dritte – die Dienstaufsichtsbehörde versucht im Gespräch mit Johnson dahinter zu kommen, wie es zu dieser Tötung kommen konnte. Beide Male, sowohl gegen seine Frau wie gegen den Chief Inspector, kommt es zu körperlichen Gewaltausbrüchen von Johnson. Und schließlich Akt 3, der eigentlich der Beginn ist, das, worum es geht: Das Verhör mit dem angeblichen Kinderschänder, bei dem Johnson so ausrastet, dass er töten will…
Man spricht von Krimi, von Well Made Play, Elemente, die Regisseurin Andrea Breth wenig interessieren. Bei ihr ist es der Psychothriller, vor allem Psycho (denn für einen Thriller arbeitet sie in dreieinviertel Spielstunden wie üblich viel zu minimalistisch und detailreich) – was geht in diesem Johnson eigentlich vor, ist die Frage, die der Theaterabend stellt. Der Autor wollte sicherlich auf das Problem der Polizisten hinweisen, die in ihrem Berufsalltag mit so viel Grauen konfrontiert werden, dass sie selbst verhärten und verbrutalisieren müssen.
Dennoch ist Johnson alles andere als ein Sympathieträger oder eine Figur, die Mitleid erregt. Aber Nicholas Ofczarek, dem schweren Mann, der so leicht ausbricht, gelingt die quasi zitterende Unsicherheit seines Inneren immer wieder zum Vorschein zu bringen.
Drei Akte, drei Gegenspieler – im ersten ist es seine Ehefrau, die wunderbare Andrea Clausen (warum muss erst Andrea Breth kommen, damit man sie wieder auf einer Burgtheater-Bühne sieht?), geradezu verdorrt in einer unglücklichen Ehe, bei ihrem Vorstoß in das Vertrauen des Gatten brutal zurückgestoßen.
Im zweiten Akt sucht Roland Koch als der polizeiinterne „Untersuchungsrichter“, diesen Johnson zu verstehen, Schaden zu begrenzen, scheitert aber an dessen im Zerfall befindlichen Persönlichkeit.
Im dritten Akt, der – wie erwähnt – eigentlich der erste ist, hat August Diehl die schwierigste Aufgabe. Der Autor sagt nicht, ob dieser Baxter der schuldige Kinderschänder ist, man erfährt es nicht. Er könnte es sein, aber auch ein Wutbürger, der nicht begreift, warum man ihn eines Verbrechens anklagt, das er nicht begangen hat. Vor allem aber leistet er Johnson starken Widerstand – so sehr ihn dieser (unter den unterdrückten Schreckensschreien des Publikums) auf der Bühne auch misshandelt. Am Ende macht die Inszenierung klar, dass hier nicht ein empörter Polizist ein Stück menschlichen Drecks eliminiert, weil er nicht mehr anders kann, sondern dass hier Johnson einen Mann zum Schweigen bringen muss, in dessen Abgründen er sich auch selbst erkennt. Wie der alte Spruch vom Abgrund besagt – wenn man zu lange in ihn starrt, starrt er zurück…
Dass das, in den großzügig gebauten, aber doch schäbiges Milieu reflektierenden Bühnenbildern von Martin Zehetgruber (Kostüme: Moidele Bickel) großes psychologisches Theater ist, kein Zweifel. Ob man es sehen will, steht auf einem anderen Blatt.
Renate Wagner