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WIEN / Staatsoper: ONEGIN – Ein Klassiker kehrt zurück

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Peter Iljitsch Tschaikowski/John Cranko: »Onegin«
6. Feber 2016
35. Vorstellung in der Choreographie von John Cranko

Probenfoto zu »Onegin«, Pas de deux, 3. Akt: Nina Poláková (Tatjana), Roman Lazik (Onegin). © Wiener Staatsballett/Ashley Taylor

Probenfoto zu »Onegin«, Pas de deux, 3. Akt: Nina Poláková (Tatjana), Roman Lazik (Onegin).
© Wiener Staatsballett/Ashley Taylor

Nur dann hat man ein gutes Ballett gemacht, so John Cranko, wenn es gelingt, die literarische Vorlage so in Tanz zu übersetzen, daß jeder Zuschauer die Handlung genau verstehen kann und vor allem mitfühlen, ohne jemals eine Zeile der Werke gelesen zu haben.

Daß John Crankos Onegin zur Musik Peter Iljitsch Tschaikowskis zu den großen Handlungsballetten des 20. Jahrhunderts gehört, davon konnten wir uns am gestrigen Abend überzeugen. Wer auf Melodien aus der gleichnamigen Oper hofft, wird vergeblich warten. Kurt- Heinz Stolze hat Musik Tschaikowskis, zum Großteil aus Klavierwerken, zusammengestellt.

Zu Beginn der Ära Legris, im Herbst 2010, zuletzt auf dem Spielplan, kehrte dieser Neoklassiker nun in wechselnden Besetzungen in das Haus am Ring zurück und legt Zeugnis darüber ab, welch enormen Reifungsprozess die Tänzer in den vergangenen Spielzeiten durchlaufen haben.

Technisch so gesteigert, so daß sie heute zur Weltspitze gehören und dazu die Intensität im Ausdruck, die zum einen natürlich der persönlichen Entwicklung geschuldet ist, die sich zum anderen auch umso besser entfalten kann, je ausgefeilter die Technik ist. John Cranko gab den Tänzern seiner Ballette sowohl die Möglichkeit tänzerisch zu brillieren als auch schauspielerisch.

Nina Poláková ist Tatjana und Roman Lazik ist Onegin. Tatjanas Traum, die Briefszene, ist so stark, daß der Zuschauer meinen könnte, es gäbe keine Steigerungsmöglichkeiten mehr. Der Pas de deux im letzten Bild belehrt ihn dann eines besseren. Beide Tänzer demonstrieren ihre hervorragende Technik und zugleich vermitteln sie das Gefühl, daß sie die Rollen auch leben.

Die lebensfrohe Schwester Olga wird erstmals von Kiyoka Hashimoto getanzt. Die eine oder andere Unsauberkeit sei dem Rollen-Debut geschuldet. Geradezu übermütig läßt sie sich an Tatjanas Geburtstag von Onegin zum Tanz verführen.

Probenfoto zu »Onegin«, Pas de deux, 1. Akt: Kiyoka Hashimoto (Olga), Denys Cherevycko (Lenski). © Wiener Staatsballett/Ashley Taylor

Probenfoto zu »Onegin«, Pas de deux, 1. Akt: Kiyoka Hashimoto (Olga), Denys Cherevycko (Lenkst).
© Wiener Staatsballett/Ashley Taylor

Denys Cherevychko tanzt und spielt den schwärmerischen Dichter Lenski, seine Soli, vor allem »Kuda, kuda« sind hervorzuheben. So sauber sind die Touren, so exakt die Sprünge, so fließend die Bewegungen — es ist eine wahre Freude zuzusehen. Er ist sicherlich derzeit der technisch beste Solist am Hause.

Anders als in der Oper tritt der Fürst Gremin, Kirill Kourlaev, bereits im zweiten Akt zu Tatjanas Geburtstag in Erscheinung. Daß er die Schwärmerei seiner zukünftigen Frau für Onegin hier miterlebt, gibt der Handlung eine ganz neue Dimension. Nun erst wird klar, welche Größe er zeigt, wenn er Jahre später Onegin als seinen Gast empfängt. Die Choreographie des Gremin ist erfüllt von Grandezza und Noblesse, von Kirill Kourlaev mit ebensolcher präsentiert.

Der Pas de deux Tatjanas und Gremins im letzten Akt vermittelt genau die innige Liebe und Bewunderung, die der Fürst in der Oper in seiner großen Arie besingt. Cranko ist es gelungen, diese Szene zu einer großen beiderseitigen Liebeserklärung umzuwandeln, die schon jetzt deutlich zeigt, daß Tatjana sich schlußendlich gegen Onegin entscheiden wird.

Das finale Bild ist der emotionale Höhepunkt des Abends und zugleich auch der tänzerische: Die Briefszene kehrt sich um. Onegin wird zum Bittsteller, und Tatjana, gefestigt in ihrer Position und in der Liebe ihres Mannes, findet trotz der einen oder anderen Schwäche die Kraft, Onegin zurückzuweisen. Wie Cranko diesen emotionalen Orkan choreographiert, ist fast nicht zu beschreiben. Die komplizierten Hebungen, Touren und Sprünge sind atemberaubend. Das muß man in dieser Qualität erst einmal tanzen können. Wie Nina Poláková im Interview erzählte, bekommt sie schon Gänsehaut, wenn sie die Musik zum letzten Pas de deux hört, und Tränen steigen ihr in die Augen vor Intensität. Dies sei ihr der liebste Pas de deux des Abends. Und das war glaubhaft mitzuerleben.

Neben vielen Debuts im Corps de ballet gaben Erika Kováčová als Madame Larina und Liudmila Trayan als Amme ihre Rollen-Debuts.

Das Staatsopernorchester, angeführt von Rainer Küchl und Daniel Froschauer, wurde geleitet vom balletterfahrenen Dirigenten James Tuggle.

Weitere Vorstellungen in wechselnden Besetzungen am 8., 11. und 27. Feber, sowie am 2. und 5. März 2016.

Ulrike Klein
MerkerOnline

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