Berlin/ Staatsoper: „MORD AN MOZART“ als pseudo-intellektuelle Baustellenführung, 07.02.2016
Roman Trekel (Salieri), Stephan Rügamer (Mozart), Foto Vincent Stefan
Der Chef ist auf Reisen, und die Mäuse tanzen auf dem Tisch. Das gilt – jedoch gezwungenermaßen – an diesem Abend auch für die Staatsoper im Schillertheater. Während Daniel Barenboim mit dem größten Teil der Staatskapelle Berlin durch Japan tourt, muss die Restmann-/frauschaft ran. Denn staubige Baustellenführungen allein, obwohl ein verbreitetes neues Geschäftsmodell, reichen zum Lückefüllen nicht ganz aus. Immerhin ist das Haus bei dieser 5. Vorstellung nach der Premiere (am 28.01.2016) erstaunlich gut besucht, auch von zahlreichen jungen Leuten. „Mord“ und „Mozart“, das zieht wohl immer.
Unter der musikalische Leitung von Max Renne und in der Inszenierung von Elisabeth Stöppler wird die Uraltversion von der Vergiftung Mozarts durch den eifersüchtigen Salieri erneut aufgetischt. Dass diese Deutung von Mozarts frühem Tod wissenschaftlich nicht haltbar ist, dürfte den Machern dieses 105 Minuten Stückleins bekannt sein. Aber Mord gibt ja was her und wird gleich mit einer Prise Chili überwürzt.
Nach vergiftetem Wein und Brot, von Wolfgang Amadeus munter getrunken und gierig verspeist, ist der nur ohnmächtig, wacht wieder auf und wird schließlich von Salieri erwürgt! So der Inhalt des Krimi-Operneinakters „Mozart und Salieri“ von Nikolai Rimsky-Korsakow, geschaffen nach der „Kleinen Tragödie“ von Alexander Puschkin.
Zwei gestandene Interpreten des Hauses singen und spielen diese beiden Rollen und scheinen daran sogar Spaß zu haben. Im edlen dunkelroten Brokatmantel (Kostüme: Frank Lichtenberg) sitzt anfangs Roman Trekel, ein bekannter Charakterdarsteller mit ausdrucksfähigem Bariton, als Antonio Salieri am Schreibtisch und brütet über einer Komposition.
Jedes Stück ein Arbeitssieg – dieses Klischee wird erneut aufgegriffen. Realiter war Salieri rd. 50 Jahre lang Musikchef am Wiener Hof, der auch in Mailand und Paris bejubelt wurde. Heutzutage wird seine Musik erneut entdeckt.
Doch Mozart war der absolute Genius, dem die Noten nur so aus Hirn und Herz sprudelten. „Du, Mozart, bist ein Gott und weißt es nicht; ich weiß es, ich.“ Äußert Salieri voller Neid und Bewunderung. Der aber, Stephan Rügamer (Tenor) im roten clownesken Kostüm mit ebenso roten Männer-High Heels, antwortet frech: „Mag ja sein…Nur – meine Göttlichkeit hat starken Hunger“ und beißt in einen grasgrünen Apfel.
Auch sonst kehrt Rügamer den unbekümmerten Mozart heraus, baumelt mal kopfunter an einem Gestell, wie früher mancher Junge an einer Teppichstange, und verhunzt dann – ein Toy Piano traktierend – zusammen mit Max Renne (Klavier), Johannes Graner (Vibraphon), Adrian Heger (Flügel) und Valentin Butt (Akkordeon) Salieris „Mio caro Adone“. Die Sache mit dem Unbekannten, der bei ihm nächtens ein Requiem bestellt habe, kommt auch zur Sprache und wird auf dem Klavier angespielt.
Und schon tritt Albert Einstein (Sophie Heinrich als blinder Geiger) in Aktion, geschwind wird seine das Weltbild revolutionierende Relativitätsformel auf eine an der Teppichstange hängende schwarze Tafel gekritzelt (Bühnenbild: Annika Haller).
Danach liest Angela Winkler in ganz deutlicher, fein artikulierter Sprache (die den meisten heutigen Theaterschauspielern abhanden gekommen ist) eine Antwort Sigmund Freuds auf einen Brief Einstein, der 1932, den kommenden Krieg voraussehend, fragt, warum es einer Minderheit gelänge, die Massen für einen verhängnisvollen Krieg zu begeistern, und ob im Menschen ein Bedürfnis lebe, zu hassen und zu vernichten. „Wir glauben an die Existenz eines solchen Triebes,“ lautet Freuds lapidare Antwort!
Vermutlich sind es solche gegenwartstauglichen Sätze, die dazu führen, die schlichte Mozart-Salieri-Tragödie kräftig anzufüttern. Es bleibt also nicht beim Genius Mozart, noch andere Große jeder Couleur werden bemüht, wie Beuys, Dostojewski und sogar Stalin und Jesus, wobei die Protagonisten zumeist mehrere Rollen spielen.„Ham’se det nich een bisschen kleener,“ könnte jeder echte Berliner kopfschüttelnd fragen.
Erhellend ist ein dem Programmheft beigelegter Zettel. Bei der Produktion dieser „relativen Vernichtungstheorie“ handele es sich um eine Stückentwicklung nach längerer Vorbereitungszeit während eines mehrere Wochen umfassenden Probenprozesses,“ wird dem Publikum erklärt. Aha, da hat wohl jede und jeder seinen Senf dazugegeben. Das Ergebnis ist eine pseudo-intellektuelle Baustelle, vulgo eine zusammengemixte Mahlzeit aus Wort und Ton, garniert mit Mozart- und Schostakowitsch-Häppchen.
Genie stört, soll wohl klar werden, und der barmherzige Jesus stört mit seinem stillen Widerstand gegen Staatswillkür und Machtmissbrauch sowieso. Eindringliche Passagen sind es, die Angela Winkler aus Dostojewskijs „Der Großinquisitor“ , einer Episode aus seinem Roman „Die Brüder Karamasow“, liest. Erst küsst ihm das Volk die Füße, dann sammelt es Holz für den Scheiterhaufen, auf dem Jesus verbrannt werden soll. Die Dornenkrone darf auch nicht fehlen.-
Eine Wohltat das folgende „Streichquartett Nr. 8 c-Moll“ von Dmitri Schostakowitsch und seine Kammersinfonie op.110a, engagiert gespielt von Sophie Heinrich, Tobias Sturm, Sophia Reuter und Johanna Helm sowie Mitgliedern der Staatskapelle im Hintergrund. Die Vier erhalten zuletzt besonderen Applaus. Würde doch bloß nicht Frau Winkler nun mit Hut, Mantel und hohem Wanderstab über die Bühne gehen. Soll das etwa Christus, der gute Hirte sein? Und die hohe, hohle Figur im Purpurmantel ist sicherlich ein Kardinal.
Für den Epilog müssen Passagen aus Mozarts „Requiem“ herhalten, genannt „Requiem-Filtrage“, elektronisch gemixt von David Robert Coleman mitsamt einer Tonaufnahme von 1941, dirigiert von Victor de Sabata.
Positiv der Mozart-Gesang von Narine Yedhiyan (Sopran). Gewaltig brausen schließlich auch die Schrecken des Jüngsten Gerichts durchs Haus. Mozart lässt sich halt nicht ermorden, ist zuletzt sogar persönlich (Rügamer) wieder da. Salieri (Trekel) ebenfalls, und der verschluckt sich nun an Wolfgangs grünem Apfel zu Tode. Mozart rutscht daraufhin fröhlich eine Schräge hinunter. Ende gut, alles gut???
Kräftiger Applaus gilt schließlich allen Beteiligten, denn die haben sich wirklich redlich um dieses „Süpplein mit Anspruch“ bemüht. Noch einmal lässt es sich am 13. Februar verkosten.
Ursula Wiegand.