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STUTTGART/ Schauspiel Nord: THE KING’S WIVES von Armin Petras / HERAKLES KINDER nach Euripides (Premiere)

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STUTTGART:The King’s Wives“ im Schauspiel Nord

DER TODESTANZ DES KÖNIGS

The King’s Wives“ von Armin Petras am 11.2.2016 im Schauspiel Nord („Abschied von gestern“)/STUTTGART

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Copyright: Julian Marbach

Robert Kuchenbuch mimt hier den sterbenden König vor einer historischen Kulisse aus dem 16. Jahrhundert. Seine Frauen sitzen fast leblos im Halbrund, man sieht entzündete Kerzen. Das Rondell beginnt sich immer wieder in seltsamer Weise zu drehen. Sieben Schauspielerinnen und Schauspieler sowie Studierende der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart treffen sieben Witwen aus dem Raum Stuttgart. Es werden Fragen gestellt: „Wann hast du zuletzt an deinen Mann gedacht? An welchen Filmstar erinnert dich dein Mann?“ Zahlreiche Gespräche, Spaziergänge und Hausbesuche scheinen die Probleme aber nicht zu lösen. Denn man bleibt sich in seltsamer Weise fremd. Mauern tun sich auf, die nicht durchbrochen werden können. Und der König leidet, wälzt sich auf dem Boden, hat aber keinen seelischen Halt.

Aufgrund von Gesprächsprotokollen hat Armin Petras ein recht kompliziertes Psycho-Stück entwickelt, in dem die Schauspielerinnen und Schauspieler jeweils das Leben ihrer Witwe verkörpern. Und auch die realen Witwen nehmen am Bühnengeschehen aktiven Anteil. Man erfährt, dass der König ein Faible fürs Kino sowie für den Maler Vincent van Gogh hat. Die Witwen schwärmen, dass der König ihnen jeden Morgen Kaffee ans Bett gebracht hat. Aber es werden auch beklemmende Zeitbezüge hergestellt. Man verlässt plötzlich die spätmittelalterliche Bühne und erfährt von den brutalen Plünderungen jüdischer Geschäfte im Jahre 1938 sowie von den Auswüchsen von Pegida 2015. Doch ein klarer Bezug will sich nicht herstellen lassen. Ein Lüftungsgerät stiftet zusätzlich erhebliches Chaos. Der König scheint sich zuletzt im wahrsten Sinne des Wortes zu Tode zu tanzen.

Das sind dann die überzeugendsten szenischen Bilder dieser insgesamt doch etwas sperrigen Inszenierung, deren tieferer Sinn sich den Zuschauern nicht sofort erschließt. Vor allem die vielen Zeitsprünge verwirren den Betrachter. Der tote König soll bei dieser Inszenierung von Armin Petras wieder zum Leben erweckt werden, was sich doch als ziemlich schwierig erweist. Die Witwen sind sich sicher, dass der König immer an sie geglaubt hat. Zur Musik von Simon & Garfunkel wird Optimismus verbreitet, aber der König nimmt seine Umgebung nur noch verschwommen wahr und scheint nicht mehr vollständig bei Verstand zu sein. So haucht er sein Leben aus. Neben Robert Kuchenbuch zeigen die Darsteller Renate Boos, Christian Czeremnych, Alexey Ekimov, Lucie Emons, Anna Haas, Andrea Holländer, Berit Jentzsch, Anne van Kesteren, Erika Krafft, Daniela Krol-Zenkowitz, Manja Kuhl, Denis Koone Kuhnert, Andreas Leupold, Maja Majnik, Irene Oschkinat, Armin Petras, Florian Rummel und Susanne Schieffer ein wahres Kaleidoskop unterschiedlichster Charaktere und Sonderlinge, die die Bühne in immer neuen und auch absurden Variationen bevölkern. In der Mitte tanzt der Schauspieler Robert Kurchenbuch immer wieder den Tanz eines sterbenen Königs – stellvertretend für die verstorbenen Ehemänner. Der Abschied vom Leben korrespondiert mit dem Abschied vom geliebten Menschen. Es geht aber auch um einen Neuanfang.

Ob der sterbende König allerdings eine neue Chance erhält, ist in der Inszenierung von Armin Petras mehr als fraglich. Insgesamt jedoch vermisst man hier den berühmten roten Handlungsfaden.

Alexander Walther

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Herakles Kinder“ nach Euripides im Schauspiel Nord

DIE FATALE WELT DER FLÜCHTLINGE

Premiere von „Herakles Kinder“ nach Euripides im Schauspiel Nord am 11. Februar 2016/STUTTGART

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Copyright: Julian Marbach

Eine starke Inszenierung bietet Armin Petras zusammen mit Adelheid Schulz (Bühne: Natascha von Steiger; Kostüme: Cinzia Fossati) bei „Herakles Kinder“ nach Euripides – vor allem deswegen, weil er den antiken Chor in grandioser Weise in den Vordergrund rückt. Nach Herakles‘ Tod müssen seine Kinder aus Argos fliehen. Gewaltige Sturmböen verunsichern die Landschaft, immer wieder werden imaginäre Szenen eines Videofilms eingespielt. Vor den Toren Athens glauben sich die Verfolgten allerdings sicher und bitten verzweifelt um Asyl. Das sind starke Bilder, die an die gegenwärtige Situation in Deutschland erinnern. Da kommen wirklich beklemmende Gefühle auf, die auch psychologisch geschickt über die Rampe transportiert werden. Demophon, der Sohn des Königs von Athen, stellt diese außer Rand und Band geratenen Flüchtlinge unter seinen persönlichen Schutz. Daraus ergibt sich ein ganz erheblicher Gewissenskonflikt. Entweder er schickt die Flüchtlinge in den sicheren Tod oder er riskiert einen bestialischen Krieg am eigenen Volk. Wie kämpfe ich mich durch? Diese Frage steht zentral im Raum.

Armin Petras hat den fast zweieinhalbtausend Jahre alten Stoff in aufregender Weise neu bearbeitet. Der Chor der Flüchtlinge geht dabei direkt auf die Zuschauer zu, sie flehen immer wieder um Schutz und Unterstützung. Man nimmt schreiende Mütter und zerfetzte Soldaten wahr: „Als Fremde sind wir jetzt verbannt!“ Das Motto lautet aber auch: „Niemand ist eine Insel“. Sie recken die Hände empor, stimmen die berühmte Weise „Kein schöner Land“ an. „Schon rottet sich das Volk zornig zuhauf“ – man spürt förmlich die brodelnd-elektrisierende Stimmung, die sich immer mächtiger emporschraubt. Herakles erscheint in goldener Rüstung (Manolo Berling), ein explosiver Rhythmus begleitet die einzelnen Auftritte: „Vom Tod eines alten Mannes will niemand etwas wissen…“ Es folgt eine Frontal-Anklage des Chors der Flüchtlinge wegen seiner ausweglosen Situation. Dazu hört man groteske Klang-Fetzen des Songs „Hey Buffallo Bill…“ Der Bühnenhintergrund öffnet sich in geheimnisvoller Weise, ein Auto fährt vor, ein Gefesselter stürzt atemlos auf die Bühne, versucht sich mit letzter Kraft zu befreien. Insbesondere Elmar Roloff hat dann einen furiosen Auftritt, verkündet tobend: „Das ist zu viel für mich!“ Das hebt die ganze Welt aus den Angeln. Man glaubt Täler von Blut wahrzunehmen, der Chor stürzt auf die Zuschauer zu, durchbricht die pyramidenhafte Anordnung der in die Höhe ragenden Bühne, die auseinanderzubrechen scheint: „Den Mann zu töten ist dir nicht erlaubt!“ Man erfährt, dass hier in der Stadt niemand ist, der ihn sterben lassen will. Sicher ist nur, dass man von Athen wirklichen Schutz erwartet.

Petras verleugnet hier den Charakter der hohen griechischen Tragödie nicht. Man begreift auch, wie sehr Euripides gerade den Menschen zum Maßstab des dramatischen Geschehens macht. Die Leiden und Leidenschaften kommen in Armin Petras‘ ausgezeichneter Inszenierung drastisch zum Vorschein. Auch die psychologischen Voraussetzungen werden akribisch durchleuchtet. Aristoteles nannte Euripides nicht umsonst den tragischsten unter den Dichtern. Nietzsche bezeichnete ihn statt dessen als den Zerstörer der griechischen Tragödie, weil er den Mythos durch rationale Reflexion und Psychologie ersetzt. Gerade diesen beklemmenden Zwiespalt greift Petras in seiner Inszenierung sehr geschickt auf. Die Konfliktstellungen werden so allgemeingültig und lassen sich sehr gut auf die Gegenwart übertragen. Aristophanes hat Euripides einst die konsequente Leugnung der Existenz der Götter vorgeworfen, was Armin Petras bei seiner Inszenierung ebenfalls untergründig thematisiert. Denn hier wirken die Götter angesichts des unendlichen Leids machtlos.

Die große Stärke dieser Vorstellung beruht jedenfalls auf der unmittelbaren Bühnenpräsenz und entwaffnenden Direktheit aller Akteure. Nasim Alkhouli, Gari Avetissov, Pia Becker, Manolo Bertling, Fabian Brodbeck, Silas Denz, Ibou Faye, Clara Ketterer, Matti Krause, Marie Launay, Christian Lienou, Doris Lindner, Marietta Meguid, Jay Modi, Kimia Mokari, Feriz Redjepovski, Elmar Roloff, Arnaud Tomo Mbida, Jacob von Römer und Michael Wörner wachsen so als Ensemble ganz zusammen, bilden eine bewegende Einheit. So gab es zu Recht tosenden Schlussapplaus.

Alexander Walther              

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