Wolfgang Amadeus Mozart: »COSÌ FAN TUTTE«
12. Feber 2016
52. Aufführung in der Inszenierung von Roberto di Simone

»Così fan tutte«, 1. Akt: Annalisa Stroppa (Dorabella), Caroline Wenborne (Fiordiligi).
© Wiener Staatsoper/Christian Pöhn
I.
An der Staatsoper spielt man wieder Così fan tutte. Wenige hätten je gedacht, daß man einmal dem Ex-Generalmusikdirektor dafür danken würde, eine auch für gelegentliche Opernbesucher taugliche Inszenierung gerettet zu haben. Così fan tutte also, das »Bäumchen-wechsle-dich«-Spiel zweier Liebespaare; nie waren Da Ponte und Mozart zynischer und frivoler, decouvrierender in ihrer Darstellung menschlicher Fehler. Blind erscheint dagegen jener Spiegel, welchen uns der Librettist und sein Komponist in Le nozze di Figaro vorhalten.
II.
Die Staatsoper wartete gestern (nicht zuletzt auf Grund von Umbesetzungen) mit fünf Debuts auf: Tomáš Netopil trat zum ersten Mal für den nach Wien übersiedelten Salzburger ans Pult des Staatsopernorchesters (Leitung: Albena Danailova) und musizierte einen unserem Jahrhundert verpflichteten Mozart: flott, ein wenig ungestüm und leider nicht so differenziert und dynamisch abgestuft, wie es die größte Wirkung hervorzubringen im Stande wäre. Ein wenig mehr Agogik und orchestraler Glanz hätte es ohne weiteres sein dürfen. Daß Tomáš Netopil oft dabei beobachtet werden konnte, den Sängern Einsätze zu geben, unterscheidet ihn wohltuend von vielen seiner Kollegen. Ein Aktivum in der Dirigentenbilanz der Wiener Staatsoper.
III.
Das junge Ensemble-Mitglied Maria Nazarova mußte gestern am eigenen Leib erfahren, daß die Partien der Barbarina und der Despina verschiedenen Ligen angehören. Jene der in der Liebe bereits erfahrenen Kammerzofe kam für die junge Sängerin zu früh: Da war wenig musikalisch ausgebildet, da rettete man sich von Nummer zu Nummer… »Una donna a quindici anni« mag das Publikum zu Applaus animiert haben — Maria Nazarova aber wird selbst am besten wissen, daß sie bis zur sie selbst zufriedenstellenden Beherrschung dieser Partie noch einiges an Arbeit investieren wird müssen. Daß sie die gestrige Herausforderung annahm, ehrt sie allerdings.
Ihr Verbündeter Don Alfonso, wurde zum ersten Mal an der Staatsoper von Wolfgang Bankl dargestellt. Nach den ersten drei Terzetten war klar, daß man ihm mit dieser Partie, deren Tessitura — auch nachzulesen in Interviews mit Nikolaus Harnoncourt — höher liegt als jene Guillelmos (heute zumeist: Guglielmo) und somit von einem hellen Bariton interpretiert werden sollte, keinen Dienst erwies: lerchenauisches Poltern anstatt stimmlicher Grandezza eines neapolitanischen Edelmannes, so das wenig zufriedenstellende Ergebnis.
IV.
Die Partie der Dorabella war zum ersten Mal Annalisa Stroppa anvertraut. Die Italienerin gab damit ihr Debut an der Wiener Staatsoper. Ihr Mezzosopran wartet mit einem metallisch klingendem Kern auf, der der Stimme hin und wieder eine Härte verleiht, auf welche man in der Partie der Dorabella lieber verzichtete. »Smanie implacabili« hörten Wiener Opernfreunde selbst in dieser Inszenierung bereits besser und mitreißender gesungen. Apart in Erscheinung und Spiel, war sie ihrem Eroberer Guillelmo eine ebenbürtige Partnerin im Spiel der Täuschungen.
»Come scoglio« ließ schon viele Interpretinnen der Fiordiligi vor Caroline Wenborne verzweifeln. Sie befindet sich damit also in bester Gesellschaft mit jenen, die Opernfreunde in ihrer Verklärung als ideale Interpretinnen dieser Partie in Erinnerung haben. (Man mache die Probe aufs Exempel und studiere ältere Aufnahmen mit dem Klavierauszug.) Daß Caroline Wenborne — vor allem in den ersten Szenen und lauteren Passagen — mit einigem Tremolo und spärlich eingesetztem Legato aufwartete, wo Mozart von letzterem doch viel mehr forderte, wird ihr, so mag man annehmen, mehr zu denken geben als dem Besetzungsbüro oder jenem überwiegenden Teil des Publikums, der, vazierend, keine Wiederbegegnung sucht.
V.
Das Wiener Rollen-Debut von Markus Eiche als Guillelmo mag für einige Opernfreunde ein Grund gewesen sein, die gestrige Vorstellung zu besuchen. Wer kam, wurde nicht enttäuscht. Gewiß, sein Vortrag vertrüge mehr Raffinement und manchmal auch Zurückhaltung, aber mit seiner mitreißenden Interpretation von »Donne miei, la fati a tanti« heimste der ansprechend spielende Deutsche den größten Applaus des Abends ein.
Sein Freund Ferrando und im weiteren Verlauf Konkurrent in der nicht zu gewinnenden Wette um die Treue der Liebsten wurde von Benjamin Bruns gesungen. Der aus Hannover stammende Sänger, seit Beginn der Direktionszeit Meyer Ensemble-Mitglied der Wiener Staatsoper, ließ mit seiner Interpretation des Ferrando so manchen berühmteren Kollegen selbst auf Aufnahmen schlecht aussehen. Ja, auch er machte sich nicht des übermäßigen Legato-Einsatzes (»Un aura amorosa«, »Fra gli amplessi«) strafbar, doch bot er mit seiner bereits erprobten Darstellung des Ferrando die beste Leistung des Abends.
VI.
Alles in allem ist also von einer Repertoire-Aufführung durchschnittlicher bis guter Qualität zu berichten. Eine Qualität allerdings, welche Mozart-Liebhaber und -Kenner nicht zufriedenstellen kann und den selbst formulierten Anspruch, weltweit das führende Haus für die Mozart-Interpretation zu sein, nicht einlöst. Darüber, wie dieses Problem zu beheben ist — ob durch vermehrte Solo-Korrepetitionen oder Wallfahrten in die Steiermark —, mögen Berufenere befinden.
Ein Schelm allerdings, wer Zweitbestes zur Sternstunde hochschreibt, nur weil, wie die Erfahrung lehrt, sorgfältiger durchgearbeitete Aufführungen mittlerweile sogar bei Festspielen schon rar geworden sind.
Thomas Prochazka
MerkerOnline
13. Feber 2016