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WIEN / Burgtheater: DIE UNSCHULDIGEN, ICH UND DIE UNBEKANNTE AM RAND DER LANDSTRASSE

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Unschuldige_alle DieUnschuldigen 
Alle Fotos: Barbara Zeininger

WIEN / Burgtheater:
DIE UNSCHULDIGEN, ICH UND DIE UNBEKANNTE AM RAND DER LANDSTRASSE von Peter Handke
Uraufführung
Premiere: 27. Februar 2016

Da schreibt einer beharrlich Stücke und hat es auf Grund seiner Reputation geschafft, dass er dem Theater seine eigenen Gesetze aufdrücken darf. „Normale“ Theaterstücke hat Peter Handke nie auf die Bühne gebracht, weshalb es um ihr Überleben und Weiterleben nach den Uraufführungen auch nicht so rasend gut bestellt ist. Aber um ein bisschen Sensationsmache rund um die „erste Nacht“ sind sie allemale gut.

Und wenn dann noch so schöne Zahlenspiele bemüht werden können – 1966, also vor akkurat einem halben Jahrhundert, hat Claus Peymann in Frankfurt die „Publikumsbeschimpfung“ des Peter Handke uraufgeführt, pudeljung waren sie damals, gemeinsam wurden sie berühmt. Sie hielten an einander fest, in der Burgtheater-Ära Peymann spielte man Handke in dichter Folge, dann dünnte es aus.

Immerhin, 50 Jahre danach nun wieder eine Uraufführung (vielleicht nicht die letzte, so hoffnungslos alt sind die beiden ja noch nicht): „Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße“ hat, wie bei Handke meist, einen komplizierten Titel, mit dem man auf Anhieb nichts anzufangen weiß, und eine komplizierte – bzw. genau gesagt, wieder einmal keine Dramaturgie. Da ein Handke’sches „Ich“ so genau wie selten auf der Bühne steht, darf er auch in einem Nebensatz das Problem seiner Stücke andeuten: Sie seien „löchrig“. Ja, so kann man es nennen.

Man hat gehört, dass das Münchner Residenztheater auf seine Aufführung des Stücks verzichtet hat – zweifellos weil Regisseur Philipp Preuss (das ist jener, der uns am Volkstheater drei Romeos und drei Julias beschert hat) in diesem dünnen Text gewaltig umgerührt hätte. Nun bei Claus Peymann, der Handke geradezu fundamentalistisch ergeben ist, war das nicht zu befürchten. Ein paar Schauspieler (vor allem Happel und Nell) brillieren bis an die Grenze der Exzentrik, im übrigen ist der Abend inszenatorisch so „brav“, wie man es sich nur wünschen kann…

Die titelgebende „Landstraße“ ist Ort der Handlung und Metapher für das Leben, wo Menschen an einander vorüber ziehen. Karl-Ernst Herrmann baut einen solchen Raum, belebt ihn mit allerlei Kunststücken und Lichtzauber, das langt schon. Dass der Abend dennoch ununterbrochen gegen das Grundgesetz „Du sollst nicht langweilen“ verstößt, liegt nicht an der Optik.

Im Zentrum steht also das Handke’sche „Ich“, der/das sich gleich zu Beginn fragt, wer er eigentlich ist (er oder ein anderer oder wie er das Problem seit Kaspar dreht und wendet), jedenfalls verwandelt sich das wahre Erzähler-Ich hier in ein dramatisches Ich, das er nur spielt, sagt er… und dann gibt es Donner und Blitz und magisch, wie von Zauberhand, wachsen ein paar Requisiten aus dem Boden.

Immer wieder wurde, damit auch jeder es merkt, im Vorfeld betont, dass Handke hier an Raimund denkt. Tatsächlich fällt einmal der Begriff „Rappelkopf“, während er selbst im Burgtheater-Werbetext das „Ich“ als „eine Mittelgestalt zwischen Caliban und Prospero, ein Monstrum, ein Irrer, ein Tier und zugleich ein Zauberer“ bezeichnet (ein bisschen viel, aber sei’s drum). Ein paar Scherzchen des Raimund’schen Zaubertheater gibt es tatsächlich, auch ein bisschen von dessen Seelenreinheit. Ist doch nett, ein wenig österreichische Tradition zu beschwören.

Unschuldige_ChristopherNell

Das „Ich“ erscheint in Gestalt von Christopher Nell, den Wienern noch unbekannt, im Berliner Ensemble der Hamlet- und Mephisto-Star, und da der Abend ja als Gemeinschaftsproduktion im Mai bei Peymann in Berlin gezeigt wird, ist es mehr als legitim, dass der Regisseur seinen Star mitgebracht hat. Mit seinen überaus markigen Zügen wirkt Nell wie ein jüngerer Bruder jenes Wolfgang Michael, der sich derzeit in der Josefstadt mit dem Thomas Bernhard plagt, während Nell keinerlei Mühe dabei erkennen lässt, den dreieinviertelstündigen Abend, wo er permanent auf der Bühne ist, zu stemmen. Ein guter Sprecher, tänzelnd, komödiantisch, hält er auch dort durch, wo bei Handke gedankliche Leere herrscht – etwa zu Beginn des Stücks, wo er einen mehr als 20minütigen Monolog durchhalten muss, bei dem man einzuschlafen droht, weil nicht klar wird, was Handke uns eigentlich sagen will. (Aber er möchte ja auch gar nicht, wie er in einem Interview sagte, verstanden sein. Er tut alles dazu, dies zu erreichen.)

Unschuldige MariaHappel

Dann tröpfeln nach und nach die restlichen Titelhelden ein, die „Unschuldigen“, zuerst in Gestalt ihres Anführers Martin Schwab, der zu Beginn nur Kaugummi an die Wand kleben darf und erst im Lauf des Abends ein paar schauspielerische Effekte zu seiner Langhaar-Pferdeschwanz- Frisur bekommt. Maria Happel, als seine Frau ganz in Rot, später (wohl um ihre Wut kenntlich zu machen) auch noch mit den total gesträubten Haaren einer Struwwelpeter-Frisur, darf mehr loslegen, während die titelgebende „Unbekannte“ ganz in Schwarz zwar viel scheinbar Bedeutungsschweres, aber eigentlich nichts Nachvollziehbares zu sagen hat: Regina Fritsch wirkt auch dann noch wie eine – mehr oder minder – Raimund’sche Fee, wenn sie ihren Kopf hart an jenen des „Ich“ knallen lassen muss…

Unschuldigen  Fritsch

Die „Unschuldigen“ schließlich, acht an der Zahl, kommen erst in bunten Gewändern (Kostüme: Margit Koppendorfer), in ihre Handys schnatternd, Lärm verursachend und wieder gehend, um dann am Schluß halb als Prozession, halb als Demonstration zu erscheinen, in Schwarz, maskiert und abgewrackt… Sie sind keinesfalls die „Guten“ des Stücks, wie ihre Bezeichnung vermuten lassen könnte, im Gegenteil – ihnen wirft Handke nicht weniger als die Zerstörung der Welt vor, seiner Welt, wie sie war, mutiert in die Welt, wie sie heute ist. So geschehen in aller Unschuld… Spöttisch wirft ihnen der Autor ununterbrochen Zitate ihrer trivialen Alltagskultur entgegen, auch in Rechnungen, Werbungen, Briefen, die er von den Verachteten vom Boden aufliest und kommentiert.

Bis zur Pause währt das Stück eine Stunde und 50 Minuten, und wer ehrlich sagen kann, er verstehe auch nur die halbe Zeit, wovon Handke redet, ist wahrscheinlich seinen Mitmenschen intellektuell haushoch überlegen. Die verstehen nämlich nur, wenn sie es zugeben, Bahnhof. Nach der Pause errappelt sich der Dichter allerdings, es ist ihm klar, dass er ein bisschen Botschaft und Aussage mitgeben muss, damit er sein Werkl nicht ganz in den Graben fährt.

Da erfährt man es dann, des Dichters wehmütige, auch weinerliche Auseinandersetzung mit unserer Welt, die ihm nicht gefällt (und alle, die inetwa seiner Generation angehören und noch andere Zeiten erlebt haben, werden ihm zustimmen). Das Handke-Ich leidet schrecklich an der Um- und Mitwelt, ja, er beginnt sogar zu schimpfen (das tun alle Österreicher gern), dann klagt er wieder, dass die Träume (meint er Ideale?) so gänzlich abgeschafft wurden, sucht aber doch – das ist das hehre Raimund-Bewusstsein – den Menschen, den echten Menschen…

So könnte das Ganze dann einigermaßen befriedigend zu Ende gehen, aber da kommt noch ein „Nachspiel“, das Satyrspiel, der Abgesang, das mindestens zehn nervtötende Minuten dauert. Ein Schluß wird an den anderen gehängt, das irritierte Publikum wartet nur darauf, dass es endlich aus ist, man klatschen und heimgehen darf, aber nein, irgendwas fällt dem „Ich“ immer noch ein, auch wenn er (wie ja auch die meiste Zeit des Abends) gar nichts mehr zu sagen hat. Soll lustig sein, ist es aber nicht wirklich.

Handke kam natürlich nicht zur Premiere. Wenn man nicht längst wüsste, dass er ein Sensibelchen ist, hätte er es mit seinem „Ich“ hier wieder kundgetan – allerdings ist er ein krakeelendes, ziemlich eitel-selbstbespiegelndes Ich. Aber die Show, die Peymann dann beim Schlussapplaus abzog (der auf diese Art dann auch lächerlich verlängert wurde), hätte einem empfindlichen Autor wirklich nur hochnotpeinlich sein können. Möge Handke die Nachricht reichen, dass seine Uraufführung über die Burgtheaterbretter ging und kräftig beklatscht wurde.

Renate Wagner

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