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STUTTGART: TOSCA – Wiederaufnahme der Decker-Inzenierung

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STUTTGART: Puccinis „Tosca“ als Wiederaufnahme in der Staatsoper

SPRACHE DER SEELE
Puccinis „Tosca“ in der Staatsoper am 27. Februar 2016/STUTTGART
 
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1. Akt „Tosca“. Copyright: Martin Sigmund

Willy Deckers Inszenierung von Giacomo Puccinis „Tosca“ (Bühne und Kostüme: Wolfgang Gussmann) ist in gewisser Weise eine Hommage an das konservative Regietheater. Im ersten Akt sieht man das große Atelier Mario Cavaradossis , der hier an einem Bildnis der Maria Magadalena arbeitet, das in überdimensionaler Größe mitsam einer riesigen Statue zu sehen ist. Floria Tosca erkennt die Züge einer Frau, die mehrmals sein Atelier besucht hat und ist eifersüchtig, was klar und deutlich zur Geltung kommt. Der Auftritt des gefürchteten Polizeichefs Baron Scarpia gerät dann sehr pompös, es folgt eine gewaltige Zeremonie in der Kathedrale mit Priestern, Bischöfen und dem Papst. Im zweiten Akt kann man ein beklemmendes psychologisches Kammerspiel zwischen der Sängerin Floria Tosca und Scarpia im Palazzo Farnese erleben, der ebenfalls in einer eher historischen Kulisse erkennbar wird. Willy Deckers Regie erreicht hier ihre stärkste Wirkungskraft, Toscas Erregungskurve steigert sich bis zur Ermordung Scarpias unaufhörlich und gnadenlos. Auch die Vortäuschung immer größerer Erregung wird dabei nicht verschwiegen. Und Decker nimmt auf die Sprache der Seele intensiv Rücksicht. Der dritte Akt bringt zuletzt einen wirklichen szenischen Wechsel auf der entfernt angedeuteten Plattform der Engelsburg. Die Erschießung Cavaradossis gerät hierbei zu einer brutalen Farce. Ein ins Helle führendes großes Fenster öffnet schließlich den von Tosca herbeigesehnten Todessprung, die von Scarpias Schergen bis zuletzt verfolgt wird.

Willy Decker gibt ein atemloses Tempo vor, da gibt es kaum szenische Schwachstellen. Nur selten erlebt man wirkliche Momente des ergreifenden Innehaltens. Dies ist aber bei Toscas berühmter Arie „Vissi d’arte“ der Fall, wo Adina Aaron in der Titelrolle ganz differenzierte Töne und lyrische Passagen beschwört, die den Klangfarbenreichtum ihrer Stimme glanzvoll unterstreichen. Das berückende Melos der reifen Gesangsstimme lässt hier nicht lange auf sich warten. Ihre Stimme besitzt einen weichen, fülligen Klang, der zu großer dynamischer Expansion fähig ist. Aber sie ist auch noch erheblich steigerungsfähig – vor allem bei den Spitzentönen könnte das Volumen zunehmen.

Sebastian Holecek unterstreicht als Scarpia die rohe Brutalität dieser Rolle mit ruppigen Gebärden und rigoroser Eroberungslust. Tosca scheint ihm zunächst total ausgeliefert zu sein. Eine positive stimmliche Überraschung ist ferner Dmytro Popov als Maler Cavaradossi, der der Tonmalerei des Dramas mit ebenmäßigen Kantilenen gerecht wird. Bei der berühmten Arie „Und es blitzten die Sterne“ gerät die pathetische Hymne auf die Kunst zum verzweifelten Aufschrei, der durch Mark und Bein geht.

Simon Hewett dirigiert das Staatsorchester Stuttgart sehr akribisch und auch klangschön. So kann man die Auflockerung der Begleitstimmen präzis nachvollziehen. Synkopische Bewegungen werden facettenreich nachgezeichnet. Die subtile Zerlegung der Akkorde in Dreiklangsbewegungen prägt sich ebenfalls stark ein. Zuweilen würde man sich noch eine intensivere Betonung der Ganztonmelodik wünschen. Auch die suggestive Leitmotivtechnik Puccinis ist bei einigen Details dieser interessanten Wiedergabe herauszuhören. Polyphone Satzstrukturen machen sich schon in der kurzen Einleitung mit dem dreitaktigen, aus mächtigen Akkorden bestehenden Motiv bei der Ouvertüre bemerkbar. Besonders stark akzentuiert Hewett mit dem Staatsorchester Stuttgart das Scarpia-Motiv, das sich wie eine mächtige Spinne auszubreiten scheint. Den statischen Charakter beim Vorspiel zum dritten Akt betont Simon Hewett mit dem Staatsorchester nicht übermäßig. Die formale Geschlossenheit wird glücklicherweise nicht aufgegeben. Der Sensibilität für Atmosphärisches wird diese Interpretation jedenfalls gerecht. Für Willy Decker wird die Künstlerfrage nirgends so radikal angegangen wie in „Tosca“ – und so inszeniert er das Stück auch. Die deklamatorisch geführten Gesangsstimmen können sich so jedenfalls gut entfalten – das gilt auch für Ashley David Prewett als vom Staat verfolgter Cesare Angelotti, Karl-Friedrich Dürr als Mesner, Heinz Göhrig als Polizeiagent Spoletta und Sebastian Bollacher als Gendarm Sciarrone. Skalen und Streichertremoli beschreiben dabei die Aneinanderreihung von Einzeleffekten bis hin zur musikalischen Zusammenhanglosigkeit. Kurze prägnante Motive gewinnen aber immer mehr die Oberhand und helfen auch den Sängern. Harmonik, Rhythmik und Klangfarbe zeigen bei dieser Aufführung immer wieder einen deutlichen Hang zur Veränderung. Die 45 teils orchestralen, teils vokalen Motive spielen wiederholt mit Extremen. Das „Scarpia-Motiv“ und das „Liebesthema“ unterstreicht Simon Hewett mit starker Intensität. Angst und Schrecken des gehetzten Flüchtlings Angelotti verbreiten sich nicht nur auf der Bühne, sondern auch im Orchester. Ganz besondere Wirkungskraft besitzt bei Willy Deckers Inszenierung jene Szene, wo Tosca an den von ihr getöteten, gefürchteten allgewaltigen Scarpia erinnert, „vor dem ganz Rom zitterte“. Man spürt bei der Inszenierung deutlich, dass die Handlung dieser Oper in die Epoche der napoleonischen Kriege führt, als französische und österreichische Truppen in Italien um die Vorherrschaft kämpften. Nach einer Niederlage der französischen Truppen brach im April 1799 die Republik Rom zusammen. Deren Konsul Angelotti wurde verhaftet und der sizilianische Baron Scarpia als Herrscher eingesetzt. Diese historischen Hintergründe lässt die Inszenierung Deckers mehr als einmal erahnen. Giuseppe

Verdi hat sich übrigens über Puccinis „Tosca“-Projekt geäußert: „Puccini hat ein großartiges Libretto! Ein glücklicher Meister, der so etwas in Händen hat!“ Beziehungen werden hier verdeutlicht, Veränderungen wiedergespiegelt. Die Veränderungen von Struktur, Form, Farbe und Dynamik geraten so nie aus dem Gleichgewicht. Selbst die kleinen Rollen des Schliessers und des Hirten sind bei dieser Vorstellung mit Kristian Metzner und Jasmin Hosseinzadeh überzeugend besetzt. Positiv fällt bei der Aufführung noch die umfangreiche Detailarbeit auf. Sie gipfelt in Scarpias Todeskampf, wo Simon Hewett das einstige herrische, stolze Motiv sich in abwärtsgleitende Linien umwandeln lässt. Dies gelingt dem Staatsorchester besonders eindrucksvoll.

 
Der Staatsopernchor Stuttgart ist mitsamt dem Kinderchor von Christoph Heil wieder sorgfältig einstudiert worden. Der raschen szenischen Veränderung trägt diese Aufführung jedenfalls immer wieder Rechnung. Gut gelingt auch der trügerisch-dämonische Zauber scheinbarer Idylle.
 
Alexander Walther

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