
Begegnung der beiden Priester: Markus Butter als Fotis und Wilfried Zelinka als Gregoris (Foto: W.Kmetitsch)
Opernhaus Graz
Bohuslav Martinů DIE GRIECHISCHE PASSION
Grazer Erstaufführung
Premiere 5.März 2016
Keine Frage, man spürt sofort die Aktualität des Stoffes von Martinůs “Griechischer Passion”, die in der Zeit, die seit der Wahl dieser Oper als Erstaufführung für das Haus in Graz vergangen ist, um eine erschreckende Dimension angewachsen ist. Martinů hatte Motive aus der Novelle “Christus wird wieder gekreuzigt” des Griechen Nikos Kazantzakis über den Freiheitskampf gegen die türkischen Besatzer gemeinsam mit dem Autor zu einem Opernstoff verarbeitet. Vorlage war die bereits ins Englisch übersetzte Fassung mit dem Titel “Greek Passion”.
Covent Garden distanzierte sich jedoch von der eingereichten Komposition und gemeinsam mit dem Dirigenten Paul Sacher überarbeitete der Komponist das Werk, erlebte aber die Uraufführung in Zürich 1961 nicht mehr, denn er starb drei Jahre zuvor, nach Vollendung der Umarbeitung. Auch Kazankatzis verstarb 1957 noch vor der Fertigstellung der Oper.
Zur Aufführung in Graz gelangt jetzt die für die Bregenzer Festspiele 1999 neu eingerichtete Londoner Fassung, deren einzelne, in alle Winde verstreuten Teile der Partitur erst gesammelt und auch ergänzt werden mußten.
Die unmittelbare Handlung des Stücks setzt ein, als das griechische Dorf Lykovrissi mitten in den Vorbereitungen zum Osterfest von einer Schar griechischer Flüchtlinge überrascht wird, die, geflohen vor den Repressionen türkischer Besatzer Zuflucht, Quartier und Verpflegung erhoffen. Was dann einsetzt und auch die weitere Handlung bestimmt, ist eine “Parabel auf den Wohlstandschauvinismus”, die sich zu allen Zeiten in so einer Situation abspielt. Wir haben da heute nicht lange zu suchen, wir erleben das alles vor unserer Haustür.
Sowohl dem Schriftsteller aber vor allem auch dem Komponisten waren die Herausstellung christlicher Werte ein wesentliches Anliegen bei der Vertonung des Stoffes. Immerhin traf aber Kazantzakis durch dessen Auseinandersetzung mit der Figur Christi der Bannfluch des Vatikans, brachte seinen Roman “Die letzte Versuchung Christi” auf den katholischen Index und damit dem Autor und Schöpfers des “Alexis Sorbas” einen weiteren, letzten Schub in seiner internationalen Bekanntheit.
Und für Martinů galten jene zwei Grundgedanken, die den handelnden Personen des Stücks mit christlicher Gesinnung bestimmend sein sollte: “Die vererbten christlichen Grundsätze des Menschen und die Verantwortung für den Mitmenschen. Den Gläubigen, die nach Nächstenliebe streben, stehen die Selbstsüchtigen gegenüber, die ihre Hilfe den Mitmenschen verweigern.”
Bohuslav Martinůs wirkungsvolle Tonsprache in dieser Oper ist unverkennbar jene Böhmens und Mährens in der Nachfolge Janáčeks, jedoch mit anthmosphärischen Anklängen an die griechische Folklore in den bäuerlichen Szenen, etwa in der Hochzeitsszene im 4.Akt und mit den prachtvollen, vom griechischen Autor als besonders wichtig angesehenen gewaltigen Chören der Flüchtlinge, aus denen man die Anlehnung an die Musik der griechisch-orthodoxen Liturgie heraushören kann.

Bildmächtige Szenen bei der Begegnung mit den Fremden (Foto: W.Kmetitsch)
Jedenfalls werden diejenigen aus der Dorfgemeinschaft aufgerüttelt, die seitens des Rates der Dorfältesten mit den Rollen für die alle sieben Jahre stattfindenden Passionsspiele betraut wurden. Ihre Auseinandersetzung mit der aktuellen Situation, ihrer persönlichen Einstellung zu der auferlegten
Aufgabe und die daraus folgenden Konflikte mit der Dorfgemeinschaft sind der Handlungsfäden des Stückes. Es endet mit der Exkommunikation und Beseitigung des Christusdarstellers Manolios, der zum lästigen Prediger im urchristlichen Sinne geworden war. Die Flüchtlinge ziehen letztlich ab und es wird fröhlich Ostern gefeiert.
Lorenzo Fioronis Regie verzichtet auf allzu aufgesetzte Deutungen oder gar naheliegende Aktualisierungen, die Konflikte zwischen den Parteien des Dorfes behalten ihren stückimmanenten interreligiösen Charakter der Romanfassung, einziges aber auffällig Heutiges ist die laufende Präsenz der TV-Allmacht, die ihre Eindrücke über die Geschehnisse stark vergröbernd auf eine zusätzliche Video-Wall projiziert. Wir entkommen nicht der oktruierten Aktualität, nicht dem täglichen Bebildern jener Wirklichkeit, die einem als Besucher diesmal bis in den Theatersaal verfolgt. Sogar so etwas wie Absperrseile gibt es vor den Verfolgten – der Grenzzaun läßt grüßen. Leider ließ der Regisseur die heutzutage allzu bigott wirkenden Szenen mit dem, einem religiösen Wahn verfallenden Christusdarsteller die Zügel schießen. Fast landete das allzu aufgesetzt wirkende Grelle des Religiösen in einer ausufernden Show meditteranem Glaubenskitsches, der, so dargestellt, schon zu Uraufführungszeiten peinlich gewirkt haben müßte.

Das Passionsspiel mit bigotter Überfrachtung (Foto:Kmetitsch)
Dazu schuf Paul Zoller einen optischen Rahmen mit einem undefinierbaren grauen Steinblock in der Mitte, der letztlich für die Golgathavisionen des Christusdarstellers herhielt. Dass der radikale Teil des Ältestenrates der Dorfbewohner, der zusammen mit dem Popen die Vertreibung der Flüchtlinge fordert, seitlich auf einem, dem Logenrund der Grazer Oper nachgebildetem Balkon agiert, stellt natürlich ein besonders feinsinniges Aperçu dar.
Annette Braun sorgte für die Kostüme, die Dorfgemeinschaft mit einem heutigen Touch im Kontrast zu den Flüchtlingen, die ihre Orthodoxie, auch optisch weitaus besser, nicht verleugnen
Dirk Kaftan setzte die musikalische Seite mit dem Grazer Philharmonischen Orchester mit bemerkeswertem Einsatz um, immerhin war Chor-und Extrachor der Oper, als auch der Chor der Kunstuniversität Graz mit Erfolg aufgeboten, dem besonderen, seinem Komponisten gegenüber geäußerten Wunsch Kazantzakis nach einer “Massenoper” zu entsprechen. Bernhard Schneider und Franz Jochum studierten die Chöre ein.
Nicht hoch genug ist wieder einmal das gesamte Grazer Ensemble zu bewerten, insgesamt 21 Rollen galt es zu besetzen.
Rolf Romei gab bis zur Selbstentäußerung den verzweifelten Manolios, sein jugendlicher Charaktertenor besang eindringlich sein ihm aufgebürdetes Schicksal im Rollenspiel, sein Scheitern, seinen selbstgewählten Weg in den Tod. Eine auch schauspielerisch aufwühlende Leistung.Dshamilja Kaiser war die sich heftig vor ihrer Rolle als Dirne wehrende Katerina, eine mitfühlende und schönstimmige Partnerin bei Manolios Entscheidung zum Opfergang.
Die beiden Priester waren mit dem Fotis von Markus Butter und dem Grigoris von Wilfried Zelinka vertreten, Manuel von Senden war der eindringliche Yannakos, Tatjana Miyus die verzweifelte Braut Manolios.
Die undankbare Rolle des Judas im Passionsspiel hatte sehr zu seinem köstlich gespielten Mißvergnügen Taylan Reinhard übernommen, als Dorfältester war Ivan Orescanin im Einsatz und der “Hausgrieche” Konstantin Sfiris fügte zu seinen 140 Partien, die er im Repertoire hat, noch die des “Alten Mannes” hinzu.
Diese Namen stehen für das gesamte Ensemble, jeder einzelne erbrachte an diesem Abend seinen gelungenen Beitrag für den Gesamterfolg!
Fazit: Es geht in diesem Stück nicht um Obergrenzen, sondern um seelische Befindlichkeiten, nicht um Aufnahmequoten und nicht um Hotspots sondern um Reaktionen innerhalb einer Gemeinschaft auf die Problematik des Auslebens religiöser Werte einer kleinen Gruppe Außenseiter vor dem Hintergrund eines Flüchtlingsdramas. Bemerkenswert dazu diese herrliche Musik Martinůs. Ein sehens- und hörenswertes Stück Musikgeschichte des 20.Jahrhunderts mit aktuellen Bezügen.
Lang anhaltender Beifall, auch ungebrochen für das Leading Team der Regie beim Schlussapplaus.
Peter Skorepa
MerkerOnline