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TRI SESTRI von Péter Eötvös
Premiere: 6. März 2016
Es bedeutet immer eine Schrecksekunde, wenn der Direktor vor den Vorhang tritt – zumal vor einer Premiere. Aber Dominique Meyer wollte an diesem Abend nichts anderes, als gemeinsam mit dem Publikum eine Gedenkminute für den verstorbenen Nikolaus Harnoncourt einlegen. Das ehrt ihn. Die Behauptung, wie eng der Dirigent mit der Wiener Staatsoper verbunden gewesen sei, wird deshalb nicht wahrer, aber man hat sich mit Würde verhalten.
Und dann noch ein Aufatmen – bedenkt man, dass noch vor wenigen Tagen hunderte Karten unverkauft waren, wirkte die Premiere der „Tri Sestri“ gut besucht (nur das Stehplatzpublikum schien nicht so interessiert). Immerhin hat Dominique Meyer Mut bewiesen, diese Oper des Ungarn Peter Eötvös anzusetzen, so wie zuletzt mit dem „Tempest“ von Thomas Adès. In beiden Fällen handelt es sich um klassische literarische Werke, die in eine Musiksprache übersetzt wurden, die für einen Großteil des Publikums – man ist ja doch in der klassisch-romantischen Tradition aufgewachsen – schwierig zu rezipieren ist, so sehr sich die Qualitäten der Kompositionen, zumal bei oftmaligem Hören, auch erschließen.
Der Zugang zum Libretto ist leichter, allerdings nur, wenn man das Tschechow-Original kennt. Eötvös hat nämlich nicht die tragische Geschichte der drei Schwestern so nacherzählt, wie sie in den vier Akten des Theaterstücks steht. Er rückt nacheinander Irina, die Jüngste, denn den Bruder Andrei, schließlich die mittlere Schwester Mascha in den Mittelpunkt, die älteste der drei, Olga, bleibt „schicksalslos“ am Rande.
Ilseyar Khayrullova, Margarita Gritskova, Aida Garifullina
Nur wenige Elemente des Stücks kommen zum Tragen – Irina zwischen zwei Verehrern, die sie beide nicht liebt, die sich duellieren, wobei einer stirbt; Mascha, hinter der ihr alter Gatte hertapst, in ihrer vergeblichen Liebe zu Verschinin; Olga, die Ratschläge gibt und sich um die schlecht behandelte alte Dienerin kümmert; und schließlich setzt die „böse“ Schwägerin, die ihren Gatten Andrei demütigt, einen grellen Farbtupfen in Handlung und Musik. Ein betrunkener Doktor und einige Offiziere wanken noch durch das Geschehen, das von der Handlung her nicht so wichtig ist.
Eötvös ging es vor allem um die tragische Endzeitstimmung, die über Tschechows Menschen liegt, die in unendlicher Traurigkeit nichts mit sich anzufangen wissen. Und diese Stimmung ist es, die die Musik einfängt – und die die Inszenierung von Yuval Sharon bestimmt. Dass er für seine so sorgfältige, dem Werk gegenüber so liebevolle und respektvolle Haltung als einziger ein heftiges Buh entgegengeschleudert bekam, war hochgradig ungerecht und ungerechtfertigt.
Die Idee der „Laufbänder“ bewährt sich in doppeltem Sinn, sie ist für die Logistik der Inszenierung hervorragend und transportiert jenes Gefühl eines „Traumspiels“, das so tief in dem Stück steckt. Zu Beginn, in einem tragischen Rückblick, sitzen die drei Schwestern auf Schaukeln, abgehoben von der Realität des wirklichen Lebens – und das findet auch in der Folge hier nicht statt. Auf den drei Laufbänder, die links und rechts seitlich in große Türen münden (was zwischen diesen hängt, soll wohl etwas wie gewaltige Spinnweben sein), erscheinen langsam und in steter Bewegung Objekte und Accessoires des russischen Lebens: Möbelstücke, auch einmal Birken, riesige Bilder oder stehende Lüster und – besonders gespenstisch – große Türen, hinter denen Menschen hervorkommen oder verschwinden, aus dem Nichts oder ins Nichts. Hier spielt die Ausstattung von Esther Bialas ganz bedeutend mit, gibt dem Abend auch gelegentlich etwas Gespenstisches. (Nur auf die einsame und abrupte Videosequenz, als der Doktor die Uhr der verstorbenen Mama zerbricht, könnte man gut und gern verzichten, sie passt stilistisch gar nicht in den Abend.)
So irrational, wie das Geschehen im vollsten Wortsinn an dem Zuschauer vorüber gleitet, so verhalten sich auch die Menschen. Da wird keine realistische „Seelensuppe“ gekocht, sondern eher in der Stilisierung von Stummfilmen agiert – ein fast Brecht’sches Zeige-Theater, das auch mit der „Künstlichkeit“ der Musik Hand in Hand geht.
Diese Musik ist zweigeteilt, und der Regisseur zeigt das Orchester, das den Abend lang unbedankt hinter der Bühne spielt, gegen Ende bei Verschinins Abschied oben im Hintergrund – gekleidet wie eine russische Kurkapelle in Uniformen (und geleitet von Jonathan Stockhammer). Entscheidend ist, was sich vor der Bühne begibt, ein Kammerorchester, das fast nur aus Instrumentalsolisten zu bestehen scheint, die nicht nur die einzelnen Figuren begleiten, sondern auch diese seltsame, nie tonale Klang / Geräusche-Welt des Komponisten erzeugen. Peter Eötvös stand selbst vor diesem vorderen Orchester – und vielleicht sollte der Komponist Eötvös dem Dirigenten Eötvös sagen, dass er dazu neigt, die Sänger zuzudecken…
Es ist mittlerweile allseits bekannt, dass die Oper mit einer reinen Männerbesetzung uraufgeführt wurde, mit drei Countern als die (damals japanisch ausstaffierten) drei Schwestern. Mittlerweile gibt es die Fassung für Damen, und die Staatsoper hat mit drei Russinnen von Typ her die Idealbesetzungen aufbieten können, die darstellerisch so souverän sind wie gesanglich.
Irina, die bis zur Pause im Mittelpunkt steht (wobei die Pause keine so gute Idee ist, man könnte das Werk mit stärkerer Wirkung durchspielen), bekommt anfangs die stärksten Möglichkeiten, um später in den Hintergrund zu treten. Die hinreißend das „junge Mädchen“ vergegenwärtigende Aida Garifullina ist im Aussehen süßer als mit ihrer Stimme, aber bei dieser Art von Gesang, der keiner melodischen Linie folgt, ist der Ausdruck wichtiger als der Klang.
Margarita Gritskova, ganz in Schwarz, gibt den Typ einer tremolierenden Stummfilm-Diva ohne geringsten parodistischen Ansatz: So wird „Tragödie“ gespielt. Und wenn Ilseyar Khayrullova als auch optisch leicht hausbackene Olga eher am Rand bleiben muss, so lässt sie doch immer wieder einen bemerkenswerten tiefen Mezzo hören.
Die Staatsoper hat nur einen Gast für den Abend geholt – schrill in Aussehen, Gehaben und Stimme (obwohl man sich letztere noch schneidender vorstellen könnte) gab Eric Jurenas die böse Schwägerin Natascha.
Eric Jurenas, Gabriel Bermúdez
Der Rest sind Mitglieder des Ensembles, die ihre Sache fabelhaft machen (wobei man als des Russischen gänzlich unbeleckter Laie natürlich nur die darstellerischen und gesanglichen, nicht die sprachlichen Leistungen beurteilen kann). Ganz leicht zur Komik neigt Clemens Unterreiner, der seinen Verschinin immer wieder in den Mittelpunkt rückt, stark komisch ist der vorzügliche Norbert Ernst als meist betrunkener Doktor, leicht komisch Dan Paul Dumitrescu als der so traurig tapsige Kulygin, Maschas Gatte.
Clemens Unterreiner, Norbert Ernst
Der vor Härte klirrende Viktor Shevchenko als Soljony steht dem hilflos liebenden Tusenbach des Boaz Daniel gegenüber, Marcus Pelz als Dienerin Anfissa ist eine wie vertrocknete alte Frau, und Jason Bridges und Jinxu Xiahou in Uniform sind auch dabei.
Schließlich bekam man erstmals Gelegenheit, auf Gabriel Bermúdez wirklich aufmerksam zu werden, nicht nur, weil man ihm als dem unglücklichen Bruder Andrei eine so beklagenswerte Versager-Maske gegeben hat: Dieses Unglück eines verpfuschten Lebens auch zu singen, hat er bemerkenswert gemeistert.
Ein triumphaler Abend also, ohne Einwände? Also, damit die Begeisterung jetzt nicht allzu einseitig überbordet, darf schon eines gesagt sein: Es mag Menschen geben, denen die Eötvös-Musik die reine Folter bereitet. Aber die waren an diesem Abend nicht gekommen, die Fans hingegen offenbar vollzählig. Ihr Bravo-Gebrülle wirkte doch etwas forciert (man merkt die Absicht und ist verstimmt…).
Ein großer Erfolg war es jedenfalls. Jetzt muss nur noch das Publikum die Folgevorstellungen füllen.
Renate Wagner