WIEN / Unteres Belvedere:
KLIMT, KUPKA, PICASSO UND ANDERE – FORMKUNST
Vom 10. März 2016 bis zum 10. Juni 2016
Die Form, die aus der Mathematik kam
Es zählt zum Ehrgeiz heutiger Ausstellungsmacher, in einer nur scheinbar abgegrasten, nur scheinbar mit allen Erkenntnissen gesättigten Welt der Kunst etwas Neues zu finden. Alexander Klee ist es für die Belvedere-Ausstellung mit dem etwas umständlichen Titel „Klimt, Kupka, Picasso und andere – Formkunst“ gelungen. Er kann überzeugend beweisen, dass es das Schulsystem der Habsburger Monarchie war, das dort so früh und auf so breiter Ebene zur so genannten „Formkunst“ geführt hat – dass der künstlerische Weg zur Abstraktion also durch den Mathematik- und geometrischen Zeichenunterricht an den damaligen Schulen in hohem Maße gefördert wurde. Zudem will er – der Reizname „Picasso“ steht im Titel, der weniger bekannte Name „Kupka“ gesellt sich zu Klimt – das künstlerische Schaffen der Monarchie um 1900 in weit breiterem Kontext betrachten als nur mit Fokus auf die Wiener Secession, wie es meist geschieht.
Von Heiner Wesemann
Mathematik hat keine Sprache und keine Nation Ein Vielvölkerreich, das ohnedies immer auseinander strebte, durch ein Schulsystem zu binden, konnte nicht, wie in Deutschland, sich etwa auf deutsche Philosophie oder deutschen Idealismus beziehen. Mathematik ist ideologiefrei dieselbe in Wien, Budapest, Prag oder Lemberg. So hat man sich in einer Schulreformen um 1850 den Prinzipien des deutschen Pädagogen Johann Friedrich Herbart verschrieben. Man lehrte nicht nur die geometrischen Trigonometrie, man sorgte auch im Rahmen eines verpflichtenden, flächendeckenden, einheitlichen Zeichenunterrichts dafür, dass die Kindern rhombische, kubische und flächige Formen so vertraut waren, dass sie diese auch freihand zeichnen konnten. Und dass sie von sich aus diese geometrischen Formen kombinierten. Die Künstler, die später ihre eigenen künstlerischen „Sprachen“ entwickelten, kamen alle vom gleichen Ausgangspunkt: Alexander Klee nennt es „dasselbe Handwerkzeug“, auf das sie alle zurückgriffen. Es erstaunt folglich nicht, dass sie mit der „Abstraktion“ nicht die geringste Schwierigkeit hatten.
Nicht nur die Wiener Es ist dieser Ausstellung wichtig, die Künstler der Monarchie schon deshalb gleichwertig nebeneinander zu stellen, weil im allgemeinen Bewusstsein Wiener Secession und Wiener Werkstätte so dominieren, dass der Anteil der Tschechen am Kubismus ebenso zu wenig beachtet wird wie etwa der ungarische Konstruktivismus. Auch der Wiener Kinetismus, selbst wenn er erst in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts entstand, hat letztlich seine Wurzeln noch in der Mathematik der Schulen.
Die Formkunst der Gegenstandslosigkeit „Abstraktes“ feiert an den Wänden des Unteren Belvederes ein Fest. Ob es Moritz Melzer ist, ob Emil Filla, ob Vaclav Spala, ob Franz von Zülow, ob Rudolf Kalvach, ob Adolf Hölzel, die Theorie des mathematisch streng Abstrakten lässt sich eindeutig nachvollziehen. Frantisek Kupka, der mit der Vielfalt, mit der er Farben und Formen kombinierte, seinen Weg nach Paris machte, muss heute vom Centre Pompidou in Richtung seiner ehemaligen Heimat zurück-geliehen werden. László Moholy-Nagy zählte zu jenen Ungarn, die nicht von ungefähr ihren Weg ins deutsche „Bauhaus“ fand, wo ähnliche Kunstprinzipien herrschten.
Am Ende aber wirft man auf die „Wiener“, so wie sie hier ausgewählt sind, einen anderen Blick – zweifellos kann man eines von Schieles Krumau-Gemälden, wenn man es recht betrachtet, auf geometrische Formen zurückführen. Ebenso die „Fritza Riedler“ des Gustav Klimt mit den Ornamenten am Lehnstuhl und dem Fenster hinter ihrem Kopf.
Möbel, Glaskunst, Spielzeug Die Ausstellung weitet ihr Repertoire von Malerei und Plastik in Bereiche der „angewandten“ Kunst aus. Hier stehen Möbel von Josef Hoffmann in ihrer ganzen eckigen Pracht (abgesehen von einem Modell des bis heute zu Recht berühmten Sanatoriums Purkersdorf), desgleichen seine Vasen, Kästchen, Geschirr. Dazu gibt es zahlreiche Stoffmuster-Entwürfe aus seiner Hand. Geradezu Exzentrisches in Form von Vasen kam aus den Ideen tschechischer Künstler. Einen Höhepunkt nicht nur für verspielte Gemüter stellen dann die einzelnen Spielzeugstücke da, aus geometrischen Teilen zusammen gesetzt, tatsächlich am Ende aber das, was sie sein sollen – ein Püppchen, ein Vogel, eine Schlange. Und auch dort, wo sie gänzlich abstrakt werden, zumindest in der Absicht erkennbar, Spielzeug zu sein… Die Ästhetik der reinen Form feiert in dieser Ausstellung einen ganz besonderen Triumph.
Unteres Belvedere, bis 10. Juni 2016, täglich 10 bis 18 Uhr, Mittwoch bis 21 Uhr