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DER MEDICUS

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Ab 25. Dezember 2013 in den österreichischen Kinos
DER MEDICUS
Deutschland  /  2013
Regie: Philipp Stölzl
Mit: Tom Payne, Ben Kingsley, Stellan Skarsgård, Emma Rigby, Olivier Martinez u.a.

Für Liebhaber historischer Romane war „Der Medicus“ von Noah Gordon immer schon ein Tipp und wurde nicht von ungefähr millionenfach verkauft: Diese Geschichte aus dem 11. Jahrhundert bietet alles, was man sich nur wünschen kann. Nicht nur die verschiedenen Welten zwischen Europa (in diesem Fall ein England im tiefsten Mittelalter) und dem vergleichsweise fortgeschrittenen „Orient“ (konkret Persien), es geht auch an einem ganz konkreten Beispiel um die  Geschichte der Medizin. Eigentlich ist es bloß verwunderlich, dass es mehr als ein Vierteljahrhundert dauerte, dass dieses Buch von 1986, das sich so vorzüglich für das Kino eignet, auf die Leinwand gekommen ist.

Unternommen hat es der deutsche Regisseur Philipp Stölzl, gewissermaßen ein Hansdampf in allen Gassen, weil er sich in keine Genres einengen lässt, er inszeniert Opern (Wien verdankt ihm den skurrilen „Troubadour“, der für Netrebko und Domingo nach Berlin gewandert ist) ebenso wie Filme und da vom Thriller bis zum Goethe-Bio-Pic und zum Bergfilm-Drama ebenfalls alles. Ordentlich Geld aufstellen kann er auch, um mit dieser Romanverfilmung nun eine deutsche Produktion für den internationalen Markt zu machen, die sich in nötiger Opulenz nicht lumpen lässt (Drehort Marokko stellte den „Orient“ ideal dar).

Erzählt wird zuerst die Geschichte kleinen Jungen Rob Cole aus ärmsten Verhältnissen in London, der hilflos ansehen muss, wie seine Mutter an Blinddarmentzündung stirbt: Der herbeigeholte Bader (Stellan Skarsgård) kann da gar nichts tun. Der kleine Waise schließt sich dem Mann an, zieht herum, versorgt kleinere Wunden, macht kleinere Eingriffe, nur um zu erkennen, was die Medizin alles noch nicht weiß und kann. Nun trägt er schon die Züge von Tom Payne, der diesem Rob Cole idealen, weil so idealistischen Umriss gibt.

Der Film ist zweieinhalb Stunden lang, die man absolut nicht als „lang“ empfindet, denn er hat auch unglaublich viel an Handlung, an historischer Milieuzeichnung und an Verständnis für die Problematik der Medizin in dieser Zeit einzubringen. Da hört Rob Cole also durch jüdische Ärzte von dem legendären „Ibn Sina“ (bei uns auch als Avicenna bekannt), der in Isfahan eine berühmte medizinische Schule betreibt. Von England bis Persien ist es nicht nur heute weit, damals noch viel weiter – und eigentlich unmöglich, denn Christen werden dort nicht geduldet. Aber der Enthusiasmus, ja Fanatismus des jungen Mannes ist so groß, dass er sich selbst beschneidet (Au!!!), um als Jude durchzugehen, und so kann er – auch von einer jüdischen Gemeinde zur nächsten weitergereicht – endlich ans Ziel kommen.

Wobei gerade dieses Handlungselement der Juden in der moslemischen Welt besonders wichtig ist. Nicht nur, weil Rob hier seine Liebste findet, es gibt auch schlicht und einfach Amüsantes, das höchst glaubhaft ist: Natürlich wollen die Juden den Gast aus fernem Land ehren, indem sie ihn immer wieder bitten, die Rituale zu vollziehen – und natürlich konnte sich Rob nicht genug abschauen, um das auch korrekt zu tun. Mitleidig-freundliches Kopfschütteln der Juden, „Macht man das so in England?“, ist die Reaktion…

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Endlich in Isfahan, wo er schwerkrank landet und nicht ohne Mühe im Krankenhaus dann zum Medizinstudenten avanciert, taucht endlich Ibn Sina auf, und Ben Kingsley ist der große Gewinn dieses Films: Diese klugen und dabei wachsamen Augen!  Denn er muss ja nicht nur all die jungen Männer beurteilen, die bei ihm lernen wollen (so begabt und ambitioniert wie Rob ist allerdings keiner, was ihn bei seinen Mitstudenten nicht unbedingt beliebt macht). Er lebt auch unter einem völlig exzentrischen Herrscher (Olivier Martinez mit dem müden Blick des Mannes, der zu viel Rauschgift inhaliert), der mit einem Fingerschnipsen Menschen töten lassen kann, wenn ihm etwas nicht passt…

Ibn Sina weiß mehr als die abendländischen Ärzte, aber auch er hat zu lernen – Rob ist es, der angesichts der Pestepidemie erkennt, dass die Ratten die Krankheit übertragen. Und da ist dann schließlich noch das große Tabu, dass man den Menschen zwar behandeln soll, aber nicht in ihn „hineinschauen“ darf… Es ist Rob, der einen Todkranken findet, der so verklärt ist, dass er sich aus seinem toten Körper nichts macht, und an dem er endlich das Experiment unternehmen darf, zu sehen, wie der Motor Mensch funktioniert. Wunderbar, wie Ibn Sina zwar die allgemein konforme Empörung dazu äußert, als man Rob „erwischt“ (womit die Handlung dann schon auf ihren Klimax zurast) – und wie er doch seine ärztliche Neugierde nicht zähmen kann, sich alles schildern zu lassen, was Rob entdeckt hat…

Weil Medizin und Politik allein Romanlesern nicht reicht und auch im Kino noch das Salz der Geschichte fehlen könnte, die Liebesgeschichte im Roman-Original aber für einen Film zu abstrus wäre, hat Philipp Stölzl sie geschickt verändert, vereinfacht und durchaus glaubwürdig gemacht. Da ist nun eine schöne junge Jüdin Rebecca (Emma Rigby), unglücklich verheiratet, die zur doppelt verbotenen Liebe wird (natürlich muss sich auch noch herausstellen, dass er gar keine Jude ist…).

Immerhin, man verrät natürlich nicht zu viel (weil ohnedies die meisten Kinobesucher kommen, weil sie den Roman gelesen haben), dass das Ende wieder in England spielt. Und dass sich der alte Bader, als er wieder nach London kommt, wundert, warum er so gar keine Kundschaft hat. Die gehen alle ins Spital, erfährt er. Das hat ein Arzt, der aus dem Orient zurückkam, mit seiner jüdischen Frau gegründet. Ein glückliches Lächeln zieht über das Gesicht von Stellan Skarsgård – und auch über das des Kinobesuchers, der sich nach zufriedenen zweieinhalb Stunden von seinem Sessel erhebt.

Denn Philipp Stölzl hat diese unglaublich „runde“ Geschichte, die eben die breiten „Roman“-Qualitäten hat, in jedem Detail befriedigend erzählt und mit allen positiven Qualitäten eines soliden Historienfilms auf die Leinwand gebracht.

Renate Wagner

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