Berlin/ Philharmonie: FESTTAGE der Staatsoper mit Jonas Kaufmann und Daniel Barenboim, 21.03.2016
Jonas Kaufmann, Daniel Barenboim. Copyright: Thomas Bartilla
Endlich ist er wieder da, der Startenor Jonas Kaufmann. Zu den FESTTAGEN der Staatsoper kommt er nach Berlin. Seinetwegen ist die Philharmonie schon lange komplett ausverkauft, und die Spannung ist groß. Wegen des Wörtchens wieder.
In Berlin ist er eh viel zu selten zu erleben, an anderen Orten musste er wochenlang vieles absagen und seinen erkrankten Stimmbändern eine längere Pause gönnen. Ist sein strahlender Tenor wieder voll da?
Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten. Jedenfalls hat Kaufmann ein schonendes Programm gewählt bzw. er macht eines daraus und bringt Gustav Mahlers traurig-verträumte „Lieder eines fahrenden Gesellen“ fast ausschließlich im hochfeinen Piano. Auch Daniel Barenboim mit der Staatskapelle Berlin trägt dem Rechnung. Selten hat man die Musikerinnen und Musiker so transparent gehört.
Kaufmann singt die vier Lieder mit Delikatesse und zeigt so die ganze Schwermut, die Mahler, selbst von letztlich unerfüllter Liebe verwundet, in diese Lieder gelegt hat, die dann jedoch zum Wendepunkt seines Schaffens wurden.
Enttäuschte Liebe, Weltschmerz und Weitermüssen bestimmen auch Kaufmanns Gestaltung der Texte. Von einem möglichen Aufbegehren gegen das Schicksal ist zunächst nichts zu hören. Selbst die Erheiterung beim Gang übers Feld durch die Morgensonne, die die Natur glänzen lässt, bringt dem traumverlorenen Gesellen nur ein Aufflackern von Zuversicht. Ihm blühe das Glück nimmer mehr, klagt er.
Spätestens im 3. Lied: „Ich hab’ ein glühend Messer. Ein Messer in meiner Brust,“ ist eigentlich ein Aufschrei zu erwarten, ein trotziger, strahlender Stimmaufschwung, ein Markenzeichen von Jonas Kaufmann. Tatsächlich schimmert kurz etwas vom gewohnten Glanz durch den großen Saal, ebbt aber gleich wieder ab.
Das passt jedoch zu dem Gesellen, der sich zuletzt eine Bahre wünscht. Selbst der Lindenbaum, unter dem er geträumt hat, gibt ihm keinen anhaltend frischen Lebensmut, zumal dieses Lied im traurigsten Moll endet. Alle diese Facetten bringt uns Kaufmann nahe und verleiht diesen Mahler-Liedern eine berührende, schwebend melancholische Feinheit. Schließlich heftiger Beifall für Kaufmann, Barenboim und die Staatskapelle.
Das genaue Gegenteil bietet Edward Elgars „Sinfonie Nr. 1 As-Dur“ op.55. Barenboim dirigiert das 50-minütige, vielschichtige Werk auswendig und ruft alles ab, was Elgar als 51jähriger an Erfahrung und Können hineingepackt hat. Selbst die fitte Staatskapelle ist in diesen 4 Sätzen gefordert.
Barenboim zieht rund ums deutlich herausragende As-Dur-Thema, das immer wieder auftaucht und durch die Instrumentalgruppen weitergereicht wird, große Bögen und bahnt den Weg durch diese farbige, anspruchsvolle Partitur mit ihren Rhythmenwechseln und eingestreuten Märschen.
Der Brite, dem wegen einiger Ohrwürmer speziell von deutscher Seite lange Zeit das Adjektiv kitschig angehängt wurde, straft hier solchen Hochmut Lügen und zeigt sich als einer, der als Autodidakt begann und als Meister endete, sich aber nicht scheute, auch mal etwas Naturidylle hinein zu komponieren.
Das gesangliche Andante gelingt besonders gut, gefolgt von der prachtvoll gestalteten Wiederkehr des As-Dur-Themas im letzten Satz. Auf die Frage, welches Programm in seiner 1. Sinfonie stecke, hatte Elgar eine verblüffend einfache Antwort: „Es gibt kein Programm außer einer reichen Lebenserfahrung mit einer großen Nächstenliebe und einer massiven Hoffnung auf die Zukunft.“ Wie schön.
Also: wer Ohren hat zu hören, der (die) höre. Das Publikum hat zugehört, feiert Barenboim und die Seinen mit Ovationen und könnte das Hörerlebnis am 24. März weiter vertiefen, wenn Barenboim und die Staatskapelle Edward Elgars „Sinfonie Nr. 2 Es-Dur“ op. 63 darbieten.
Ursula Wiegand