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CHEMNITZ: ONKEL WANJA

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Chemnitz: „ONKEL WANJA“ – 10. 4.2016

 Seit dem Amtsantritt von Generalintendant Christoph Dittrich liefern sich Musik- und Sprechtheater einen edlen Wettstreit in dem Bemühen, dem Publikum bislang sträflich vernachlässigte Werke nahezubringen. Als jüngstes Beispiel für dieses mehr als begrüßenswerte Unterfangen wäre Tschechows zumindest nach 1945 noch nie in Chemnitz gegebener „Onkel Wanja“ zu nennen, den Schauspieldirektor Carsten Knödler in einer von ihm selbst vorgenommenen Fassung auf Herz und Nieren prüfte und dabei für höchst bühnentauglich befand. Freilich hätte es dazu nicht unbedingt einer dem Stück beigegebenen Brandrede wider die Umweltvergehen unserer Gegenwart bedurft, der Andreas Manz-Kozar (Dr. Astrow) allerdings glaubwürdige Emphase verlieh.

 Wie bei Tschechow üblich, besteht die Tragik seiner Figuren darin, dass sie einander nur bedingt wahrnehmen, ständig aneinander vorbeireden, unfähig sind, miteinander echte Beziehungen einzugehen und letztlich, trotz vorhandener Potenzen, an ihrer Unfähigkeit, diese zu nutzen, scheitern. Dass die dieser Tragik durchaus innewohnende Komik vom Regisseur Konstantin Stanislawski zugunsten einer die Aufführungen bestimmenden Melancholie unterschlagen wurde, verdross den Autor gewaltig. Carsten Knödler darf man ein solches Vergehen keinesfalls vorwerfen, er trifft den wunden Punkt der Beteiligten dieses Familientreffens, das, wie so oft der Fall, für alle ernüchternd und unbefriedigend endet. Und weil, was hier verhandelt wird, an keine spezielle Zeit und keinen vorgegebenen Raum gebunden ist, verzichten der Regisseur und sein Bühnenbildner Frank Hänig bewusst (sieht man einmal vom reichlich genossenen Wodka ab) auf jegliches russische Ambiente. Allenfalls das den Bühnenboden dominierende Grün verortet das Geschehen auf dem Lande, ansonsten bedient sich Hänig eher eines kargen, die Darsteller in das Zentrum stellenden Entwurfes, dem dessen ungeachtet fesselnde Details (die Gewitterszene, die Uhr ohne Zeiger, der faszinierende Schluss) innewohnen. Dem entsprechen die dezenten Kostüme Ricarda Knödlers, die sich beim Wechsel Sonjas vom stupiden Grau in Grau zum leuchtenden Rot einen das Gefühlsleben dieser Frau mit Vehemenz erfassenden Hingucker leistet.

 Mit einer solchen Vehemenz stattet Dirk Glodde auch die Hauptrolle aus, spielt einen wunderbaren Anti-Helden, einen zeit seines Lebens ausgenutzten Burschen, der sich unbewusst oftmals an die Grenze zum Lächerlichen begibt und als er sich endlich einmal zum Handeln (die Schüsse auf den Schwager) aufrafft, selbst daran scheitert. Dieser glänzenden Leistung reichte Maria Schubert (Sonja), eine der vorzüglichsten Protagonistinnen des Ensembles, ohne Abstriche das Wasser. Durchaus kein hässliches Entlein verleiht sie der inneren Schönheit der Figur berührende Züge, verdeutlicht auf eindringliche Art, wie der ständig unauffällige Dienst an den anderen dazu führt, dass sie ihrer Umwelt nicht auffällt, ihre Werte von dieser nicht wahrgenommen werden. Da blitzt die Komik auf ihren Platz verweisende tiefe Tragik auf, die sich dem Zuschauer unvergesslich einbrennt, als ihrem Wunsch nach „Ausruhen“, korrespondiert von verzweifeltem körperlichen Aufbegehren, die Entgegnung im flammenumloderten Wort „RUHE“ zuteil wird, ein Fanal, das eher das Leichenhaus denn eine bevorstehende Revolution symbolisiert. Als seine Umgebung gleichsam sezierender, sein „grünes“ Bekenntnis leidenschaftlich verfechtender Arzt vermochte Andreas Manz-Kozar durchaus zu überzeugen. Der Mann, der das Interesse zweier völlig unterschiedlicher Frauen erweckt, war er weniger. Den bramabasierenden Professor versagte Wolfgang Adam jegliche vordergründige Attitüde und wirkte mithin desto komischer. Ihre wenigen Auftritte als dessen Schwiegermutter bereicherte Christine Gabsch mittels einer beispielhaften Sprechtechnik, der es Pia-Micaela Barucki bei ihren unabgestützten Ausbrüchen noch empfindlich mangelte. Ansonsten vermochte ihre mit durchdachten Nuancen angereicherte Interpretation der Jelena durchaus zu gefallen. Mit etwas herbeigeholten englischsprachigen Songs bewies Philipp von Schön-Angerer (Telegin) zumindest sein zweifelsfreies musikalisches Talent.

 Joachim Weise

 

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