Wiederentdeckung einer Oper in Braunschweig: „La Falena“ von Antonio Smareglia (Premiere: 15. 4. 2016)
König Stellio (Arthur Shen) ist La Falena (Nadja Stefanoff) bereits verfallen (© Volker Beinhorn)
Mit der Deutschen Erstaufführung der Oper „La Falena“ von Antonio Smareglia gelang dem Staatstheater Braunschweig eine tolle Wiederentdeckung. Die Uraufführung der als „dramatische Legende“ ausgewiesenen Oper fand 1897 im Teatro Rossini in Venedig statt, geriet aber trotz des Erfolgs bald in Vergessenheit.
Antonio Smareglia wurde 1854 in Pula auf der Halbinsel Istrien geboren, die damals noch zu Österreich-Ungarn gehörte. Sein Vater war Italiener, seine Mutter Kroatin. Er studierte zunächst in Wien und Graz Ingenieurswesen, ehe er sich der Musik verschrieb und ab 1872 in Mailand Komposition studierte. Ende der 1880er Jahre ging er von Mailand wieder nach Pula zurück, wo er im Alter von 46 Jahren erblindete. Seine Kompositionen diktierte er daraufhin seinen Söhnen, 1929 starb er in Grado.
Die Handlung der Oper La Falena, deren Libretto von Silvio Benco stammt, in Kurzfassung: Die junge Albina sehnt sich nach ihrem geliebten König Stellio und gibt sich ihrem Liebeskummer hin, wobei sie im Traum ein fremdes Wesen sieht, das Stellio Unheil bringen wird. In dem Augenblick, als Stellio und Albina einander ihre Liebe eingestehen, erscheint eine fremde Frau, die Falena. Sie verlangt, dass sich Stellio ihr hingibt und versetzt ihn, als er sich weigert, in einen todesähnlichen Schlaf, wodurch sie ihn zwingt, die Nacht mit ihr zu verbringen. – In der Nacht ist Stellio von der Schönheit der Falena berauscht, seine Erinnerungen an Albina verblassen mehr und mehr. Uberto, Albinas Vater, scheitert beim Versuch, Stellio aus der Gewalt der Falena zu befreien und wird ermordet. Stellio erliegt vollkommen der erotischen Anziehungskraft der Falena. – Mit der aufgehenden Sonne muss Falena langsam verschwinden und Stellio erkennt, dass er einer erotischen Phantasie verfallen war. Er bereut den Mord an Uberto und beklagt seine verlorene Liebe zu Albina. Sie jedoch verzeiht ihm und erlöst ihn von seiner Schuld, indem sie selbst den Tod sucht.
Michael Schulz inszenierte dieses „Theater der Poesie“, das der Komponist mit seinem Librettisten erschaffen wollte und das frei von allzu realistischen und naturalistischen Bezügen sein sollte, nicht durchgängig phantasievoll. Ausgezeichnet gelang ihm der 2. Akt, in dem er die nächtliche Welt der Falena sehr erotisch darstellt, wobei die Bezüge zu Wagners Venusberg wohl mit voller Absicht gezeigt werden, ist doch auch musikalisch eine große Verwandtschaft zu Wagner hörbar. Warum der Regisseur die Figur des Stellio von Anfang an mit blutverschmierten Händen stigmatisiert und auch noch mit einem Double versieht, erschloss sich dem Publikum nicht, wie aus den Pausengesprächen zu vernehmen war.
Eindrucksvoll gestaltete Kathrin-Susann Brose die nächtliche Welt der Falena durch zauberhafte Spiegelungen, auch nützte sie geschickt die Möglichkeiten der Hebebühne für das „Verschwinden“ der Falena. Für die teils keusch-weißen, teils erotisch-roten Kostüme der Damen und die meist dunkel gehaltenen Anzüge der Männer zeichnete Renée Listerdal verantwortlich.
La Falena (Nadja Stefanoff) im Liebesrausch mit Stellio (Arthur Shen) © Volker Beinhorn
Stimmlich großartig präsentierte sich das Sängerensemble des Staatstheaters Braunschweig. In der Titelrolle brillierte Nadja Stefanoff mit ihrem hochdramatischen Sopran und mit ihrem leidenschaftlichen, raffiniert-erotischem Spiel, das auch das Publikum in seinen Bann zog. Ihr ebenbürtig der amerikanische Tenor Arthur Shen, der als König Stellio ebenfalls schauspielerisch und stimmlich voll überzeugte. Brav und keusch legte die russische Sopranistin Ekaterina Kudryavtseva die Rolle der in Stellio verliebten Albina an, die in der Schlussszene gar als „Heilige“ zu erleben war. Ausdruckstark in Mimik und Stimme war der türkische Bariton Orhan Yildiz als Albinas Vater. Souverän auch der Basssänger Selçuk Hakan Tiraşoğlu in der Rolle des alten Fischers Morio. Der koreanische Bassbariton Michael Ha als Dieb komplettierte das internationale Sängerensemble.
Äußerst stimmkräftig präsentierte sich auch der Chor des Staatstheaters (Leitung: Georg Menskes, Assistenz: Johanna Motter). Das Staatsorchester Braunschweig brachte unter der Leitung von Florian Ludwig die farbenreiche und oft mitreißende Partitur des Komponisten hervorragend zur Geltung. Zur Musik von Antonio Smareglia noch ein aufschlussreiches Zitat des Dirigenten aus einem im Programmheft abgedruckten Gespräch:
„Smareglia hat Wagner zwar nicht kopiert, er ließ sich von ihm aber zweifellos beeinflussen. Wir müssen uns immer vor Augen halten, wie unverschämt früh in der Musikgeschichte Wagners ‚Tristan‘ entstanden ist. 1865! Da steckten seine Kollegen noch in viel konservativeren musikalischen Formen und Harmonien. … Auch die extreme Chromatik, die Kühnheit der Harmonik, der Sog, den der Komponist erzeugen will, kann das Vorbild nicht verleugnen. Jedoch ist die Grundidee eine gänzlich andere. Es geht eben nicht um ein Musikdrama im Sinne Wagners, sondern vielmehr um poetische Musikgemälde, die den Zuhörer hineinziehen in eine Art rauschhafte Zustandsbeschreibung.“
Das von der Vorstellung begeisterte Premierenpublikum belohnte alle Mitwirkenden, auch das Regieteam, mit „rauschhaftem“ Applaus, der minutenlang anhielt. Man muss der Intendanz des Staatstheaters Braunschweig zu dieser Wiederentdeckung gratulieren.
Udo Pacolt