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WIEN/ Staatsoper: TURANDOT. Premiere

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TURANDOT – Premiere Wr. Staatsoper – 28.4.2016

(Heinrich Schramm-Schiessl)


Lise Lindstrom, Anita Hartig. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Es kommt – wenn überhaupt – sehr selten vor, daß sich ein Parlament mit einer Opernvorstellung befasst. In Österreich hat es das gegeben. Nach der „Turandot“-Premiere des Jahres 1961 (Nilsson, Price, di Stefano) stellte ein Abgeordneter des österreichischen  Nationalrates (ist  in Deutschland der Bundestag) an den zuständigen Minister eine Anfrage nach der Höhe der Kosten für die Schleppe, die Turandot im 2. Akt getragen hat. Diese Neuinszenierung, einer der vielen Höhepunkte der Ära Karajan, ersetzte eine noch aus dem Theater an der Wien übernommene Produktion und wurde bis 1976 gespielt. Im Jahre 1983 gab es dann, als letzte Premiere der ersten Saison der Direktion von Lorin Maazel eine Neuinszenierung unter seiner Leitung (Marton, Ricciarelli,Carreras) die bis 2004 auf dem Spielplan war. Es war also durchaus Zeit für eine neuerliche Neuinszenierung.

„Turandot“ gehört zweifelsohne mit zu den populärsten Opern, insbesonders durch „Nessun dorma“, das dank Pavarotti gleichsam zum Welthit wurde. Allerdings blieb die Oper insofern ein Torso, als Puccini die Partitur nur bis zum Tod der Liu vollendet hat und für den Schluss, über den er sich offenbar nicht wirklich im Klaren war, existierten nur einige Skizzen. Der Dirigent der Uraufführung, Arturo Toscanini, beauftragte dann den Komponisten Franco Alfano mit der Vollendung des Werkes.Bei der Uraufführung endete die Aufführung mit dem Tod der Liu – eine Variante die übrigens auch die Münchner Oper in ihrer jüngsten Produktion gewählt hat. Erst bei der 2. Aufführung erklang dann das komplette Werk, wobei Toscanini bei der Komposition Alfanos einige Striche vornahm, die seither Aufführungspraxis sind. Glücklich war man allerdings über den Alfano-Schluß nie wirklich und so schuf 2002 Luciano Berio einen neuen Schluß, der sich allerdings nicht wirklich durchsetzte. In der Staatsoper wählte man nun wieder den Alfano-Schluß, machte allerdings einen Toscanini-Strich auf.

Um es gleich auf den Punkt zu bringen: Diese Premiere ist missglückt. Das beginnt bereits bei der Inszenierung. Marco Arturo Marelli, der auch für die eher nichtssagenden Bühnenbilder verantwortlich war, hat in einem Pressegespräch die Behauptung aufgestellt, dass „Turandot“ gar keine grosse Oper sei, sondern eigentlich ein Kammerspiel. Außerdem sei es ihm wichtig, die einzelnen Personen tiefenpsychologisch auszuloten. Abgesehen davon, dass das eine mit dem anderen nichts zu tun hat, ist dieser Zugang völlig falsch. Ich glaube nämlich gerade, dass Puccini endlich einmal eine große Choroper schreiben wollte. Da zahlreiche Puccini-Biographen speziell viel Privates aus den letzten Lebensjahren des Komponisten speziell in die Figur der Liu hineingeheimnist haben, sieht Marelli den Kalaf quasi als Puccinis alter Ego. Demzufolge beginnt die Aufführung mit einem stummen Vorspiel, das man als unheimlich lang empfindet, im Arbeitszimmer Puccinis. Dieses Arbeitszimmer kehrt immer wieder, wobei mit Ausnahme des Finales der komplette 3. Akt darin spielt. Der Chor, der laut Marelli nur kommentierend agiert, was natürlich auch nicht stimmt, wenn man sich den Text genau ansieht, sitzt demzufolge fast die ganze Aufführung im Bühnenhintergrund. Im Grunde bedient sich Marelli des alten Tricks des Theaters auf dem Theater. Die Choristen, grösstenteils in Smoking und Abendkleid gehüllt, sitzen wie in einem Zuschauerraum in einem Varieté oder Zirkus – so genau ist das nicht zu erkennen – in dem das Märchen von Turandot gespielt wird, wobei die einzelnen Figuren immer wieder aus der Handlung treten. Von der tiefenpsychologischen Ausdeutung bemerkt man allerdings nicht viel, denn im Grund stehen oder gehen die Personen mehr oder weniger belanglos herum. Natürlich fehlen gewisse Attribute des zeitaktuellen Theaters nicht. So haben die Minister in ihrer Szene am Beginn des 2. Aktes kleine Koffer und der Kaiser sitzt in einem Rollstuhl. Dazu kommt noch die neueste Mode – eine zusätzliche Figur, hier ein weißer Clown. Die Kostüme von Dagmar Niefind sind, solange sie chinesisch anmuteten, recht hübsach, ansonsten eher belanglos.

Leider war an diesem Abend auch die musikalische Seite alles andere als zufriedenstellend. Ich möchte ganz bewußt bei Yusif Eyvazov beginnen, der nach bekanntwerden des Umstandes, dass er den leider noch immer erkrankten Johan Botha ersetzt, total in die Schusslinie einiger Kleingeister – auch in unserem Forum – geraten ist. Er verdankt diesen Umstand seiner privatwen Situation, denn jeden anderen Sänger seiner Güte hätte man achselzuckend zur Kenntnis genommen. Dabei war er von den drei Hauptrollensängern, am Niveau dieses Abends gemessen, noch der beste. Natürlich, er verfügt weder über eine schöne Stimme noch über ein spezifisches Timbre, aber er hat eine sichere Höhe und er versucht sogar stellenweise zu phrasieren. Außerdem bewies er, dass er gute Nerven hat, denn er hat sicher gewusst, mit welchem Rucksack er an diesem Abend auftritt. Dass er darstellerisch eher unbeholfen agierte, kann ihm nicht ankreiden, denn es wäre bei Botha nicht anders gewesen.

Das ganz große Manko des Abends aber war, dass die Sängerin der Titelrolle, Lise Lindstrom, mit der Rolle überhaupt nicht zurecht kam. Die Stimme ist von Haus aus zu klein für diese Partie und es fehlt ihr die entsprechende breite Mittellage. Das führt dazu, dass sie ständig forcieren muss, was wiederum viele nicht gerade schöne Töne zur Folge hat. In der Höhe wird sie dann sehr schrill. Auch darstellerisch blieb sie blass.

Eine Enttäuschung war für mich Anita Hartig als Liu. Sie sang die Partie praktisch in einer Einheitslautstärke, von den speziell in der Arie im 1. Akt notwendigen schwebenden Piani war überhaupt nichts zu merken. Außerdem sang sie irgendwie gefühllos. Die Todesszene, eigentlich der emotionale Höhepunkt des Werkes, liess mich völlig kalt.

Dan Paul Dumitrescu war als Timur wie immer verlässlich und das Ministerterzett (Gabriel Bermudez, Carlos Osuna und Norbert Ernst) blieb bemerkenswert unauffällig. Paolo Rumetz war als Mandarin zufriedenstellend, Heinz Zednik hätte man den Auftritt als Altoum besser erspart.

Leider hörte man auch aus dem Orchestergraben nicht wirklich erfreuliches. Gustavo Dudamel, der Jungstar unter den Dirigenten, absolvierte mit dieser Premiere sein Staatsoperndebut. Ich persönlich habe ihn immer für etwas überschätzt gehalten und wurde in meiner Ansicht an diesem Abend bestätigt. Er mag im Konzertsaal, speziell bei Werken späteren Datums, durchaus seine Meriten haben, die Oper ist seine Sache nicht. Gewiss, die „Turandot“ ist kein „leises“ Werk, aber eine derartige Einheitslautstärke ist nicht notwendig. Auch verstand er es nicht, Akzente zu setzen. So war z.B. das Ministerterzett viel zu langsam dirigiert – man hatte das Gefühl, es würde endlos dauern – und auch die Begleitung des Todes der Liu, wo es mir sonst eiskalt über den Rücken läuft, war völlig emotionslos. Wie bei fast alle Dirigenten, die das Opernhandwerk nicht von der Pike auf gelernt haben, hat man das Gefühl, er sucht gar nicht den Kontakt zu den Sängern. Das Orchester versuchte zwar, noch das beste daraus zu machen, aber wenn die Einstudierung nicht stimmt, nützt das nichts. Der von Thomas Lang einstudierte Chor erledigte seine Aufgabe zufriedenstellend.

Die Reaktionen des Publikums waren geteilt. Der Jubel für Anita Hartig war eingentlich zu groß, der starke Applaus mit vereinzelten Bravos für Evyazov in Ordnung und die Buhrufe für Lindstrom und Dudamel, aber auch für das Regieteam, berechtigt.

Heinrich Schramm-Schiessl     

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