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WIEN / Staatsoper: LOHENGRIN

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Wiener Staatsoper
Richard Wagner: »LOHENGRIN«
14. Mai 2016
7. Aufführung in der Inszenierung von Andreas Homoki

'Lohengrin', 2. Akt: Camilla Nylund (Elsa von Brabant) besteigt in Ermangelung von Bergen in der Nähe des Dorfes die Hochzeitstafel © Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

»Lohengrin«, 2. Akt: Camilla Nylund (Elsa von Brabant) besteigt in Ermangelung von Bergen in der Nähe des Dorfes die Hochzeitstafel
© Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

I.
Nicht nur manche Inszenierungen, sondern auch die begleitenden Programmhefte bieten Opernfreunden unerschöpfliche Quellen der Freude. Das Programmheft zu Richard Wagners romantischer Oper bildet da keine Ausnahme: Man erfährt beispielsweise, daß der Komponist Lohengrin zum ersten Mal 1861 (elf Jahre nach der Uraufführung) im Kärntnertortheater in Wien auf einer Bühne sah. Wenige Jahre später trat er — bereits im Haus am Ring — »als Dirigent einer Lohengrin-Aufführung sogar persönlich ans Pult«. Das evoziert die Frage, ob man auch »unpersönlich« ans Pult treten kann. Oder nur »sogar persönlich«? Zweckdienliche Angaben bitte an die Redaktion.

II.
»Über den heutigen Abend« liest man im Programmheft unter anderem: »Regisseur Andreas Homoki läßt die Handlung in seiner Inszenierung in der kleinen Welt eines Bergdorfs im 19. oder frühen 20. Jahrhundert spielen — also quasi modellhaft verkleinert —, um die Geschichten so zu erzählen, daß sie dem Zuschauer nahekommen und sich mit dessen Lebenserfahrung hier und heute verbinden.« Kann man die aus dem Alpenbogen anreisenden Opernfreunde auf schönere, zuvorkommendere Art einladen? Interessant auch, daß die Lebenserfahrungen im »19. oder frühen 20. Jahrhundert« jenen im »Hier und Heute« gleichen, vor allem »in der kleinen Welt eines Bergdorfs«. Willkommen in der Provinz.

III.
Richard Wagner war ein Trottel. Er mag ja ganz nette Musik komponiert haben, aber wie man diese »romantische Oper« mit Leben erfüllt — davon hatte der gute Mann keine Ahnung. Da muß schon ein Spielleiter wie Andreas Homoki kommen und uns die Ankunft Lohengrins als vergrößerten Embryo versinnbildlichen, schutzlos, im kurzen, weißen Nachthemd. Unglücklicherweise notierte Richard Wagner diese Szene in A-Dur, jener der drei Heldentonarten »für die höheren, besseren Welten« (© Stefan Mickisch) — Scheitern inklusive. (Nur D-Dur, die höchste Heldentonart, charakterisiert ja den Fürsten, den Sieger.) Sapperment! Daß diese Komponisten nicht einmal ihr Handwerk beherrschen! Und die Helden sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren.

IV.
In seinem Buch »Mein Leben mit Wagner« führt Christian Thielemans im Hinblick auf Lohengrin aus, daß »diese Partien gesungen werden wollen und nicht gesprochen, gerufen oder gebrüllt, ja, daß gerade der Wagner-Gesang seine Wurzeln im italienischen Belcanto hat […].«

Daß es dazu auch des richtigen Dirigenten und eines Bühnenbildes bedarf, welches den Chor nicht dermaßen verstärkt, wie dies in dem fensterlosen, bayerischen Gastraum von Wolfgang Gussmann der Fall ist, erwähnt der Wagner-Spezialist nicht. Denn da lärmte es teilweise, daß kein Solist auch nur den Funken einer Chance besaß, gegen die Klangmassen des Chors anzusingen. Allerdings schienen auch die Chormitglieder mit dem Bühnenbild ihre liebe Not zu haben, denn so unsaubere Intonationen hörte ich vom Staatsopernchor (Leitung: Thomas Lang) schon lange nicht mehr.

V.
Graeme Jenkins am Pult ließ vor allem im ersten Akt ziemlich laut und mit ungenauer Zeichengebung aufspielen, was vom Staatsopernorchester unter der Führung von Rainer Küchl und Rainer Honeck sofort mit verwackelten Einsätzen und einem genialisch hingeschluderten Vorspiel honoriert wurde. Auch das Vorspiel zum dritten Akt hätte mehr Delicatesse vertragen.

VI.
»Nach Namen, Stand und Ehren frag‘ ich ihn laut vor aller Welt.« sang Thomas Johannes Mayer in der Partie des Friedrich von Telramund. Zu diesem Zeitpunkt hatte er seinem Vorhaben schon den ganzen Abend hindurch entsprochen, was des öfteren zu unruhiger Tongebung geführt hatte. Wortdeutlich war er, der Friedrich von Telramund; — aber von Belcanto keine Spur.

Ähnliches ist auch von Michaela Schuster zu berichten: Starkes Tremolo vor allem bei forte-Stellen im oberen Register legten beredt Zeugnis einer oftmaligen Überforderung der Stimme ab. Nun zählt die Partie der Ortrud nicht zu den leichtesten des dramatischen Sopranfachs. Allerdings erwartete ich mir als Zuseher als Kompensation zumindest packendes, spannendes Spiel. Dieses erlaubt Andreas Homokis Spielleitung jedoch nicht, sieht man vom wiederholten Besteigen von mit weißen Tischtüchern eindeckten Hochzeitstafeln ab. Warum? Ich weiß es nicht.

VII.
Heinrich der Vogler, von Kwangchul Youn als netter Bürgermeister dargestellt, sollte sich um einen engagierteren Heerrufer umsehen: Denn Adam Plachetka wird, wenn ich seine stimmliche und szenische Gestaltung der Partie Revue passieren lasse, bald kündigen. Den ganzen Abend hindurch vermochte ich mich des Eindrucks nicht zu erwehren, daß er mit der Trachten- und Gamsbartorgie des Andreas Homoki nichts anzufangen wußte. Die Hoffnung, der nächste Saison als Mustafà in Rossini L’Italiana in Algeri und Mozarts Don Giovanni angesetzte Sänger werde sich auf seine technischen Fertigkeiten besinnen und unbeirrt an den dynamischen Notierungen in der Partitur festhalten, wurde auf’s Schönste enttäuscht. Da stand ich, mit den besten Absichten: Aber ich kann doch nicht verschweigen, was ich hörte?

VIII.
Camilla Nylund hatte die Elsa von Brabant bereits in der Premièren-Serie im April 2014 gesungen. Klug dosierte sie auch diesmal ihren Stimmeinsatz. So gelang es ihr, die Stimme den ganzen Abend hindurch focussiert zu führen, wenngleich sie sich in einigen Szenen mit weniger Volumen als zuletzt präsentierte. Insgesamt jedoch bot Camilla Nylund eine gute und an diesem Abend die beste Leistung. Wir wollen niemals mit einer schlechteren Elsa vorlieb nehmen müssen.

IX.
Und wie war der Lohengrin des sein Rollen-Debut an der Staatsoper feiernden Herbert Lippert? Nun, das hängt von der Betrachtungsweise ab: Als Einspringer rettete das Ensemble-Mitglied die Vorstellung und entzieht sich schon allein deshalb jeglicher Beurteilung. Wollte ich dennoch eine solche versuchen, wäre auf der Habenseite eine beeindruckende Disziplin zu verbuchen: Da besann sich ein Sänger auf sein technisches Rüstzeug und bot eine gute, für seine Verhältnisse vielleicht sogar ausgezeichnete Leistung. An der Partie des Lohengrin mit seiner unangenehm hohen Tessitura scheiterten schon ganz andere.

Herbert Lipperts Stimme muß man ebensowenig mögen wie seine Vorliebe für den Einsatz der Kopfstimme unter weitgehender Umgehung des Passagio-Bereiches. Aufmerksam zuhörende Opernfreunde werden jedoch concediren, daß der Tenor — diesfalls auch unterstützt von Graeme Jenkins — eine mehr als ordentliche Gralserzählung sang.

X.
Es war — ordentliches Repertoire. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Groß geträumt wird in Sachen Lohengrin in diesen Tagen anderswo. Und wenn man will, illustriert dieser Umstand eines der dringendsten Probleme des Besetzungsbüros der Staatsoper.

Thomas Prochazka
MerkerOnline
15. Mai 2016

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