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WIEN / Staatsoper: LA TRAVIATA

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Rebeka Domingo x
Foto von der Facebook-Seite von Marina Rebeka, wo sie vermerkt:
“What an honor to share the stage with the great Placido Domingo”

WIEN / Staatsoper: 
LA TRAVIATA von Giuseppe Verdi
42. Aufführung in dieser Inszenierung
17. Mai 2016

Die Staatsoper war wieder einmal bis zum letzten Stehplatz ausverkauft, und das ist natürlich nicht die Regel. Das bedeutet, dass es außer Netrebko und Kaufmann noch einen Namen aus einer früheren Generation gibt, der unweigerlich „zieht“: jener von Plácido Domingo. Und wie auch nicht? Die älteren Wiener Opernfreunde haben buchstäblich Jahrzehnte mit ihm verbracht, erinnern sich vielleicht noch an die frühen Auftritte in den sechziger und siebziger Jahren, und sie hatten in ihm einen steten Begleiter durch das Verdi- und Puccini-Fach, mit Ausflügen immer wieder mutig zu Wagner, aber auch zu Offenbach (sein schöner Hoffmann) und manchem anderen. Und die Wiener Treue – sie ist schließlich nicht von ungefähr legendär.

Trotzdem schien es an diesem Abend, als er – nun „Bariton“ (was er in der Staatsoper bislang nur als Boccanegra und Nabucco  hören ließ) – erstmals den Père Germont in „La traviata“ sang (als Alfred haben wir ihn hier live nie gehört), als haftete dem Ereignis etwas Zirkushaftes an. Die tuschelnde Erwartung, ob der große alte Herr es schafft, quasi noch einmal durch den Reifen zu springen. Nun, er kann es, allemale.

Niemand wird behaupten, die Stimme sei jung und frisch, aber wenn sie gelegentlich kantig oder kurzatmig klingt (strömendes Legato ist nicht mehr drinnen), so erlauben Technik und lebenslange Erfahrung doch einen alten Germont (zumal mit Hilfe von Marco Armiliato), der es mit manchem zweitrangigen Sänger in dieser Rolle mühelos aufnimmt. (Wir erwähnen dankend, dass wir als Germont zuletzt Hampson, Keenlyside, Hvorostovsky und Alvarez gehört haben, was auch darstellerisch teilweise interessanter war, vor allem bei Keenlyside.)

Im übrigen schneidet sich Domingo auch diese Rolle auf seine eigene Persönlichkeit zu (und auf den Auftrittsapplaus, den er erhielt, als er zu Beginn des 2. Aktes vor dem Vorhang allein über die Bühne schritt): Das ist ein nur in Grenzen empörter Vater, der allzu schnell bereit ist, dieser Violetta selbst zu erliegen und ihr seine hingerissene Faszination zu schenken. Auch das hat seinen eigenen Domingo-Zauber, ebenso wie die Unverfrorenheit, mit der er die Bariton-Rolle schlicht und einfach als Tenor singt, mit seinem eigenen Timbre, ohne die geringste Tendenz, die Stimme etwa abzudunkeln (was er bei seinen Boccanegra-Anfangsversuchen als „Bariton“ noch angestrebt hat).

Was soll’s – Domingo ist Domingo, hier steht ein Stück Operngeschichte auf der Bühne, mit seinem ganzen Können, seiner ganzen Würde. Dafür muss man, wenn schon nicht die Wiener Liebe, so doch zumindest vollen Respekt aufbringen.

Marina Rebeka ist als Violetta in Wien bekannt, und man bekommt auch immer wieder (leider zu wenig) ihre Qualitäten zu hören – diese Stimme sitzt, sie ist der Pianophrasen ebenso fähig wie des Mezzavoce, aber die Sängerin hat die Tendenz, bei jeder Gelegenheit (auch wo es überhaupt nicht nötig wäre) ins Forte auszubrechen, wo ihr Sopran dann eine Härte und Schärfe entwickelt, die „nicht mehr schön“ sind. Sie bietet eine hochdramatische Traviata, die schon in der ersten Arie Attacken reitet, als sänge sie mindestens Turandot (unter Kappung des finalen Spitzentons übrigens).

Nun mag das ihre Interpretation sein, aber Marina Rebeka bringt sich mit dieser permanenten Neigung zur Schrille selbst um viele Wirkungen. Es ist schade, dass Sänger, wenn sie eine gewisse Größenordnung erreicht haben und erfolgreich durch die bedeutenden Opernhäuser ziehen, meist nicht mehr bereit sind, ihre Leistungen zu überdenken und zu überarbeiten.  

Dmytro Popov, Rollendebutant an diesem Abend, hat seine eigene Karriere an den führenden Häusern, aber wahrscheinlich freut er sich, wenn er mit seiner Gattin im Leben auf der Bühne stehen kann. Es stimmt folglich die Chemie der beiden und auch die Fähigkeit, beim Brüllkonzert (wenn sie es eben im Duett darauf anlegen) mitzuhalten. Gänzlich erstaunlich an der Stimme des Ukrainers ist das Timbre – das ist nämlich so baritonal, dass in der Szene mit Domingo die Rollen vertauscht schienen: der Vater als Tenor, der Sohn als Bariton. Nicht, dass die (auch dunkel gehaltenen) Spitzentöne ausblieben, sie sind alle da. Nur hat man halt die Tenöre lieber, die auch wie solche klingen…

Unter den hauseigenen Nebenrollen ist wieder ein stimmschöner Doktor (Jongmin Park) und eine unendlich sexy wirkende Flora (Zoryana Kushpler) neben anderen braven Comprimarii in dieser unerträglichen, weil dummen Inszenierung unterwegs, die man dem Direktor nie verzeihen wird.

Dafür machte Marco Armiliato (wie üblich ohne Partitur) am Pult der Philharmoniker schrankenlos glücklich, die Hohe Schule der italienischen Maestro-Kunst erweisend, schon in einem unendlich delikaten Vorspiel. Er ist einer der wenigen, bei dem auch die große Germont-Arie nicht wie ein Leierkasten-Gassenhauer klingt, und er differenziert die Stimmungen (das ist ja nun mehr als nur die Lautstärke) geradezu meisterhaft. Wenn das italienische Repertoire aus dem Orchestergraben so klingt, ist das Opernglück durch Details (oder gar durch eine Inszenierung) nur geringfügig zu stören.

Renate Wagner

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