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FREIBERG: HÄNSEL UND GRETEL

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Freiberg: “HÄNSEL UND GRETEL” – 7. 1.2013

 Intendant Ralf-Peter Schulze hat sich der Neuinszenierung von Humperdincks Dauerbrenner  höchstpersönlich angenommen und eine Lesart vorgelegt, deren Stringenz auf den ersten Blick nicht von der Hand zu weisen ist, die sich jedoch fragen lassen muss, ob dem Grimmschen Märchen vertrauende Kinder in der Lage sind, den Gedankengängen der Regie zu folgen. Bei Schulze klopft das Prekariat energisch an die Pforte, und mithin tritt Peter als sich selbst vermarktender Vertreter seines Besenbinderhandwerks auf, ein angeschlagener Mittelständler, dem um das täglich Brot für seine Lieben angst und bange ist. Die Hexe hingegen muss als Sinnbild für eine außer Rand und Band geratene Gesellschaftsordnung herhalten, die sich den erforderlichen Nachwuchs “zu gehorsam funktionierenden Eliten bäckt.” Und obschon Gretel wahrscheinlich zu den begeisterten Fans der unzähligen TV-Castingshows zählt (das dazu erforderliche Empfangsgerät haben die Eltern zwischenzeitlich versetzt), immerhin möchte sie Tänzerin werden, widersteht sie der Manipulation der gewieften Knusperfrau und setzt im Verein mit dem Bruder kapitalistischen Versuchungen pure Gewalt, die als Notwehr durchgehen könnte, entgegen. Da feiert die Marxsche Klassenkampftheorie fröhliche Urständ, und die Geschwister wandeln in den Fußstapfen der Oktoberrevolution. Folgte man der Schulzeschen Logik in letzter Konsequenz, müsste die Hexe den Backofen als überdimensionaler Manager verlassen, aber so weit treibt es der Regisseur nun doch nicht.

 Tilo Staudtes Gesamtausstattung verquickt grauen Alltag mit Märchenhaftem, findet schöne Entsprechungen für Sand- und Taumännchen, belebt den Kindertraum mit der Gothic-Szene nachempfundenen Engeln und einer allerliebsten Teddyfamily. Das Lebkuchenhäuschen entpuppt sich wahrlich als solches im Mini-Format, und die Besitzerin tritt (alles Täuschung!) gar im Gewand der Mutter auf, beschwört dieselbe (wieder Täuschung) sogar noch auf die Bühne, als ob die ausgehungerten Kleinen solch faulen Zaubers bedurft hätten. Immerhin werden mittels dieser Trickserei dem Tenor ein paar exponierte Töne abgenommen. Unter der Leitung von Raoul Grüneis wartete die Mittelsächsische Philharmonie mit einer ansprechenden, klangschönen Leistung auf, bei der der Dirigent noch ein wenig mehr Rücksicht auf die Solisten nehmen sollte. Ein gelegentlich ausgedünnt anmutender Streicherklang lässt sich ohne Zweifel beheben.

 Der angesprochenen Rücksicht bedurfte auf keinen Fall Uta Simone, die als Gast die Gretel übernommen hatte. Vormals einstige Soubrette des Hauses, kann die Künstlerin auf einen verblüffenden stimmlichen Reifeprozess verweisen, infolge dessen sie das Orchester mühelos in die Schranken wies, aber auch in gedämpfterer Version genau so beglückt hätte wie ihr darstellerisch dem Märchenbuch entsprungenes Besenbinderkind. Barbora Fritschers burschikoser Hänsel konnte da recht gut mithalten. Würde ein Wettbewerb für die undankbarsten Partien der Opernliteratur ausgeschrieben, Humperdincks Gertrud brauchte kaum um einen der vordersten Plätze zu bangen. Diese Rolle übernahm mit Bettina Denner ein weiterer Gast. Leider setzte sie alles daran, das angesprochene Manko akustisch zu verdeutlichen. Dem Besenbinder verlieh Guido Kunze die von der Regie vorgegebenen biederen Züge. Jens Winkelmann, vom Haus in den unterschiedlichsten Partien (Max, Nemorino, Higgins, Mariza-Zsupan u. a.) gefordert, musste nun auch die Hexe geben und geriet damit deutlich an seine Grenzen. Manch ein Charaktertenor brilliert in dieser gesanglich nicht zu unterschätzenden Aufgabe, die für den verdienstvollen Winkelmann eher eine Belastung bedeutete. Sand- und Taumännchen müsste Elena Patsalidou eine Spur beherzter singen.

 Kindern wird diese Inszenierung so manche Nuss zu knacken geben. Ob die in der von mir besuchten Aufführung vornehmlich anwesenden Senioren dazu imstande waren, wage ich nicht zu entscheiden.

 

  Joachim Weise

 

 

 

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