Wiener Staatsoper
Giuseppe Verdi: »SIMON BOCCANEGRA«
27. Mai 2016
75. Aufführung in der Inszenierung von Peter Stein

»Simon Boccanegra«, 2. Akt: Dmitri Hvorostovsky als Simon Boccanegra in der großen Ratsszene
© Wiener Staatsoper/Michael Pöhn
I.
Die Besetzungspolitik der Metropolitan Opera wird gern einmal mit »great names past their prime« (etwa: »große Namen, aber über ihren Zenit hinaus«) umschrieben. Die gestrige Aufführung an der Staatsoper erinnerte ein wenig daran: Verdiente Sänger, große Sänger — aber das vollständige Glück war’s nicht.
II.
Ferruccio Furlanetto kehrte uns als Fiesco wieder. (Gibt es einen anderen?) Spielerisch fordert Peter Steins Steh- und Schreittheater nur den Chor bzw. die Komparserie, man konnte sich auf das Singen konzentrieren. Furlanettos Stimme benötigte länger, um geschmeidig zu werden. Bei »Vieni a me« blühte sie auf, wie gewohnt. Und geliebt. Aber da war das Vorspiel schon vorüber. »A te l’estremo addio« ermangelte jener stimmlichen Geschlossenheit und Kraft in der Trauer, welche uns sonst doch zu Tränen rührt.
III.
Auch für Fiescos Enkeltochter Amelia war eine bewährte Sängerin aufgeboten: Barbara Frittoli. Wer je das Glück hatte, Mirella Freni in der Partie der Amelia zu erleben, wurde für sein Leben verdorben. Aber es ist immer besser, eine erste Frittoli denn eine zweite Freni zu sein. Die Mailänderin gab eine ebenso eindrucksvolle Demonstration ihrer technischen Fähigkeiten wie ihres nicht zu überhörenden Vibrato, welches sich vor allem in lang gehaltenen Tönen bemerkbar machte. Im tiefen Register mangelte es einige Male an nötigem Durchschlagsvermögen — der Preis für eine allein im Haus am Ring über 23 Jahre währende Karriere. Allen Einwänden zum Trotz: Man konnte zufrieden sein. Und viele jüngere Kolleginnen wünschten sich wohl, so lange auf so hohem Niveau singen zu können…
IV.
Amelias Liebhaber, Gabriele Adorno, ging ungestüm zur Sache: Francesco Meli vertraut der Akustik der Staatsoper nicht. Das ist schade, denn in den piano-Passagen klang sein Tenor wunderschön fokussiert, da sang er auf Linie, da blühte die Stimme. Weniger Kraft, mehr Vertrauen in seine ja vorhandenen technischen Fähigkeiten: Mit Leichtigkeit eroberte der 36-jährige Genueser den derzeit vakanten Thron der Verdi-Tenöre.
V.
Noch dazu, wo mit Marco Armiliato einer der wenigen ausgewiesenen Meister für das italienische Fach am Pult stand. Seine Sichtweise auf Verdis 1857 geschaffene und 1881 umgearbeitete Oper ist eine zelebrierende, dunkle. Das Staatsopernorchester folgte willig. Bei Marco Armiliatos Interpretation drängte nichts (anders als unter Claudio Abbado). Nicht Zorn und Wut standen im Vordergrund, sondern Trauer und Resignation. Und natürlich die Liebe — diesfalls die väterliche zwischen Amelia und Simon Boccanegra: Das Duett am Ende des ersten Aktes bildete einen der Höhepunkte des Abends.
VI.
Simon Boccanegra — Dmitri Hvorostovsky sang ihn in dieser Serie erstmals wieder seit 2012. Seine Leistung als René Anckarström berechtigten zu den schönsten Hoffnungen. Aber gestern abend… Schon im Vorspiel klang die Stimme müde, noch mehr in der Ratsszene. Zwar war nichts versungen, aber die gewohnte, erstklassige »Hvorostovsky-Qualität« wollte sich lange nicht einstellen. Erst nach der Pause klang die Stimme frischer, freier, und sein Abschied von der Welt geriet innig und berührend.
Vielleicht war es nach den Ereignissen des letzten Jahres das größte Wunder, daß Dmitri Hvorostovsky heute noch für uns auf der Bühne steht. Dafür und in der Hoffnung auf viele weitere Wiener Abende will ich dankbar sein.
Thomas Prochazka
MerkerOnline
28. Mai 2016