Theater Erfurt / Die Meistersinger von Nürnberg Oper von Richard Wagner / Aufführung am 03.06.2016
Neu-Dramatisierung einer bekannten Oper
Frank van Hove. Copyright: Theater Erfurt/ Lutz Edelhoff
Grundsätzlich, so hat Vera Nemirova einmal gesagt, nähere sie sich einer Inszenierung mit Respekt und Liebe und dabei setze sie viel auf Teamarbeit. Von dieser Teamarbeit ist bei ihrer Erfurter Regiearbeit viel zu spüren. Auch wenn man sich an ihrer Lesart der Meistersinger reiben mag, ihre Regie folgt einer eigenen Programmatik, die natürlich nicht jedem gefallen muss. Aber das ist schließlich immer wieder das Spannende an jeder Neu-Dramatisierung einer bekannten Oper. Die Berghaus und Konwitschny-Schülerin hat ein Brecht-intendiertes- Verfremdungsprogramm. Sie verlegt die Meistersinger in eine Sphäre der deutschen Nachkriegswelt und des Wiederaufbaus. Dabei übertreibt sie vieles bis zur Skurrilität und manchmal wird es auch zotig. Die Kirchenszene ist in einen Kinosaal verlegt und man schaut sich Wochenschaufilme über den Wiederaufbau der Staatsoper in Berlin und der Wiener Staatsoper an. Im Vorfeld hatte Vera Nemirova geäußert, der Meistersinger-Stoff sei geeignet über unsere heutigen Kulturwerte nachzudenken, nämlich, was aufgebaut wurde und was davon bleibt. Für die Aufführung gab es gleich mehrere Kooperationen: das Philharmonische Orchester Erfurt mit der Thüringen Philharmonie Gotha und der Opernchor des Theaters Erfurt mit dem Opernchor des DNT Weimar. Eine Rollenzusammenarbeit gab es auch für die Aufführung am 03.06.2016, da übernahm den Gesangspart des stimmlich-indisponierten, aber szenisch-anwesenden Jörn Eichler (David, Lehrling von Sachs) der schnell angereiste Benjamin Bruns. Diese Zusammenarbeit funktionierte erstaunlich perfekt.
Das Bühnenbild entwickelte Tom Musch, der das Versatzstückhafte der Nachkriegsarchitektur deutlich herausarbeitete. Ja, da ist gewollt auch das Miefige jener Zeit des Schnellaufbaus, der heute noch manche deutsche Innenstadt prägt. Marie-Thérèse Jossen hat die passenden Kostüme dazu entworfen.
Genau in diesem miefig-spießigen Milieu spielt sich aber auch der Wille, wirkliche Kunst zu machen ab und dieser Kontrast, wenn man ihn akzeptiert, ist auch spannend und herausfordernd und lädt zur Assoziation ein. Ein älterer Zuschauer neben mir raunte: „Ja, nach dem Krieg mussten wir unsere Theater aus den Trümmern wieder aufbauen!“ Wie murklig sich dieser Schnellstart aus dem Untergang auch gestaltet haben mag, entscheidend ist das Ringen um die echte Kunst. Dieser Faden zieht sich durch Nemirovas Interpretation. Sie gestaltet den Gegensatz zwischen Walter von Stolzing und Beckmesser sehr plakativ, hier der etwas zerknautschte aber grundehrliche Liedermacher-Typ und dort der eitle, listige und ganz auf seine Karriere fokussierte Beckmesser als Pseudo-Elvis. Heiko Börner als Walther von Stolzing und Bjørn Waag als Sixtus Beckmesser bilden sozusagen ein Traumgegensatzpaar in der muffigen Provinz. Natürlich übertreibt Nemirova schrill und bei der Premiere gab es dafür auch einige Buhs. Doch die Kernfragen des Stückes inszeniert sie nachhaltig-nachdenkenswert. Frank van Hove als Hans Sachs wirkt da dramaturgisch gut nachvollziehbar als der Kunst-Ambitionierte. Frank van Hove spielt den nachdenklich-schalkhaften sehr überzeugend. Seinen kunstsinnigen Vermittlungsanspruch setzt er beharrlich durch. Der wahrhafte Kunstsinnige ist aber auch ein lebenslustiger Mensch mit Maß und Anspruch, der im Leben verwurzelt ist.
Tom Musch äußert im Programmheft auch einige Gedanken zum Bühnenbild und macht, selbstverständlich, Anspielungen zu Ereignissen unserer Zeit ohne direkt zu werden. Doch er geißelt das Milieu, aus dem bestimmte Demos sich auch in Erfurt speisen. Die Frage, wer denn das Volk ist und wer darüber abstimmt, kulminiert in der Prügelszene. Dargestellt wird das von den Chören aus Weimar und Erfurt. Es wird zwar nicht richtig geklopft, aber die verschieden Gruppen wedeln aggressiv mit ihren Insignien wie Baseball-Schläger oder Sofakissen. Das Volk stimmt ab über den richtigen Gesang und da geht es zur Sache, die Jugend will den dynamisch-scheinenden Beckmesser. Zum Schluss brennt es in einem Plattenbau. Wie es dazu kommt, erfährt man nicht so genau. Doch, wie eine solche Stimmung so etwas möglich macht, dazu gab es in der jüngsten Vergangenheit verschiedene Beispiele. Und wer „das Volk“ ist und was wirklich „deutsch“ ist, das ist ein Thema der Gegenwart und Zukunft.
Prügelszene, 2. Akt. Copyright: Theater Erfurt/ Lutz Edelhoff
Der zweite Akte bietet auch viele skurril überzogene Szenen: z.B. wenn
Pogner mit dem Fahrrad auf die Bühne fährt und Eva wie ein Hundchen hinter sich zieht. Die Schusterstube besteht aus einer historischen Ledernähmaschine. Sachs widmet sich zum Fliedermonolog einem Mini-Fliederbusch. Stolzing trägt auch die schwarze Strickzipfelmütze der Lehrlinge und dazu kommt noch Beckmessers Showeinlage mit der Verstärkeranlage, seine Sportvereinsjacke glitzert elvismäßig. Dazu strippt die verkleidete Magdalene auf dem Balkon. Eva wendet sich sexuell interessiert dem Stolzing zu. Verwirrung der Gefühle und Verwirrung beim Publikum. Nicht jedes Handlungselement ist hier nachvollziehbar und das ist sicherlich auch eine Schwäche von Nemirovas Inszenierung.
Im dritten Akt dirigiert Beckmesser das Vorspiel vor den leeren Stühlen. Vom gegenüberliegenden Balkon aus schaut ihm David zu. David und Beckmesser, die sich als einzige wirklich geprügelt haben, stehen sich mit verbundenen Wunden gegenüber. Sachs sitzt auf einem der Sofas und liest eine Partitur. Das Preislied wird wie in einer Einzelprobe veranstaltet: Sachs am Dirigentenpult und Stolzing auf dem Platz des Kapellmeisters. David ist auch Notenwart, doch die Notenblätter, die er verteilt, sammelt Beckmesser wieder von den Pulten und ringt mit sich, ob er das von Sachs ganz bewusst aufs Dirigentenpult gelegte Blatt mit dem Preislied auch anschaut. Dann zieht er eine Pistole und spielt russisches Roulette. Das er am Leben bleibt, ist klar. Das Ganze ist nur scheingefährlich.
Szenenwechsel, der „Wach auf“-Chor wird dann von den Seitengängen gesungen, ein starkes Erlebnis und viele Zuschauer müssen an sich halten, um nicht mitzusingen. Vera Nemirova schafft hier ein Erlebnis, welchen starken Sog Musik haben kann. Bestimmt war es so Erlebnis-pädagogisch gewollt.
Die Meister trinken inzwischen auf der Bühne eine Maß. Dann erscheint Beckmesser, er kann mit der Technik seiner Verstärkeranlage nicht wirklich gut umgehen, beginnt sein Lied aber sehr kultiviert, um sich dann überzogen ins Absurde zu steigern. Bjørn Waag präsentiert eine Show der Eitelkeiten, die köstlich ist und er versteht es, sich zu steigern. Man wird erinnert an unser Zeitalter der Casting-Shows. Ins Absurde gesteigert wird die Szene dadurch, dass er schließlich erst Magdalene und dann auch noch David von hinten zu vergewaltigen versucht und Sachs die Pistole an die Schläfe hält. Zu den Worten: „Aber ich liebe Euch doch alle“ wird er abgeführt. Stolzing gewinnt den Wettbewerb. Anstelle einer Meisterkette wird Stolzing ein Vereinstrainingsanzug angeboten, den er aber dankend ablehnt und mit Eva davonläuft. Seine Schlussansprache singt Sachs zum Chor, der im Zuschauerraum steht. Beckmesser spielt verworren mit einem roten Luftballon im hinteren Teil der Bühne. Den Schlusschor kann Sachs nicht ertragen, er versucht ihn abzuwürgen und hält sich, von Konvulsionen geplagt, den Kopf. Er verträgt das Bejubeln auf das „deutsche Land“ und die „deutsche Kunst“ schlecht. Nach diesem Schluss kann und sollte man in die Diskussion einsteigen, dafür wirft Vera Nemirova genügend Fragen auf und sicher will sie diese auch provozieren.
Musikalisch gelingt es Joana Mallwitz die Meistersinger leicht und festlich erklingen zu lassen. Am Pult zeigt sie sich schwungvoll und quirlig, sie reißt das Publikum mit und begeistert es. Bei den Chordirigaten wirkt sie so eifrig wie eine Unterstufen-Lehrerin, doch das stört wenig, sondern lässt am Eifer teilhaben. Auch das Vorspiel zum dritten Akt kann sie trotz des schnellen Tempos, sehr stimmungsvoll und bezaubernd formen und korrespondiert dabei mit dem Beckmesserdirigat auf der Bühne. Sie versteht es auch dynamisch zu steigern und ihre Einsätze sind präzis.
Klangschön und wie aus einem Guss hören sich die vereinigten Chöre aus Erfurt und Weimar an und auch die Prügelfuge gelingt ihnen meisterlich. Andreas Ketelhut und Markus Oppeneiger haben als Chorleiter ausgezeichnete Arbeit geleistet.
Gesanglich ragt Frank van Hove als Sachs heraus. Zwar verliert er im dritten Akt ein bisschen an Volumen, aber das hatte Dramaturg Arne Langer vor der Vorstellung angedeutet, jedenfalls eine mögliche Indisponierung Hoves. In seinem Spiel wirkt er vielleicht manchmal wie ein ambitionierter Nerd, aber mit seiner perfekten Artikulation schafft er eine Bühnenpräsenz, die bis zum Schluss anhält. Ohne Zweifel wird er diese Partie in den weiteren Aufführungen noch weiter entwickeln. Man darf gespannt sein.
Heiko Börner gibt als Walter von Stolzing sein Debüt. Er entwickelt schöne Töne, wenn er in der Mittellage singt, erstrammpelt aber die meisten Spitzentöne mit viel Kraft, allerdings trifft er sie auch immer. Mit dem Preislied in der Schusterstube überzeugt er das Publikum. Larissa Krokhina zeigt sich als Eva mit viel Spielästhetik und einer starken, aber auch leicht klingenden Stimme. Die Farben ihres Soprans leuchten an diesem Abend. Bjørn Waag als Beckmesser zeigt sich auch stimmlich als facettenreicher Bariton. Aus dieser, sicher überzogen konzipierten Rolle, holt er spielerisch und stimmlich alles raus. Gesanglich ist Sayaka Shigeshima als Magdalene eine Juwel-Entdeckung an diesem Abend. Auch ihr Spiel ist sinnlich weiblich und kraftvoll-sinnlich wirkt ihre Stimme.
Dae-Young Kim singt mit sonorem Bass den Pogner, Juri Batukov gewinnt das Publikum als wohltönender Kothner und Máté Sólyom-Nagy beruhigt als ein vollklingender Nachtwächter alle erhitzten Gemüter. Richard Carlucci, Jörg Rathmann, Alexander Günther, Yong-Jae Moon, Gregor Loebel und Vazgen Ghazaryan bekommen für ihr köstliches Spiel, besonders bei der Meister-Aufwärmszene, zu Recht viel Beifall. Anders als bei der Premiere hörte man keine Buhs, nur während der Aufführung knallte mal eine Tür.
Benjamin Bruns bereichert mit seiner Stimme als David enorm die Vorstellung und zeigt, was ein richtig guter Sänger leisten kann. Wenn man bedenkt, dass er kurzfristig am selben Tag aus München angereist ist.
Langer Applaus für ein Ensemble, das sich musikalisch überzeugend und kooperativ ins Zeug gelegt hat. Für die Kunst gibt es eben doch noch immer Verständigung.
Larissa Gawritschenko und Thomas Janda