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STUTTGART/ Liederhalle: VERDI-REQUIEM –“Gottes- oder Dirigenten-Zorn?”

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Stuttgart „VERDI-REQUIEM“ am 8.7. 2o13 (Liederhalle) – Gottes oder Dirigenten-Zorn?

 Wie weit sich momentane Stimmungen auf die Wiedergabe oder spontane Interpretation eines Musikwerks auswirken können,
bezeugte das letzte der Sinfoniekonzerte des Staatsorchesters Stuttgart in derlaufenden Saison. Unter dem Übertitel „Gottes Zorn und Verdis Beistand“ wurdedessen berühmte Totenmesse wieder einmal zur Diskussion gestellt und mit der voran gegangenen Präsentation des 1973 von der Schostakowitsch-Schülerin Galina Ustwolskaja konzipierten „DIES IRAE“ kombiniert.

In frei assoziativer Form verwendet die 1919 geborene Russin das Kernmotiv der Mess-Teile, um alle Verbrechen, die der Mensch im 20. Jahrhundert begangen hat, anzuklagen. Die ungewöhnlicheKombination von acht Kontrabässen mit einem Klavier und diversem auf einerHolzkiste entladenem Schlagzeug verspricht indes mehr als es die praktische Ausführung einzulösen vermag. Zwar schafft die rhythmische Verschiebung der tiefen Streicher mit dem Klavier eine bildreiche Kontrastwirkung, doch die sich
über die Dauer von 18 Minuten kaum verändernde oder entwickelnde Keimzelle des hämmernden Klavier-Akkords sowie das über Gebühr ausgereizte Niedersausen eines Hammers (eine deutliche Repetition von Mahlers gigantischen Sinfonien, wo das nur kurze Einsetzen eine ungleich gewaltigere Wirkung hat) lassen das Stück nach einigen Minuten auf der Stelle treten und eine anfangs noch entstandene Betroffenheit in Penetranz und letztlich Langeweile abgleiten. Also viel verlorene Liebesmüh um ein Stück, das den Abend mit einer noch eingeschobenenPause unnötig künstlich ausdehnte und schließlich von Verdis genialer Schaffenskraft regelrecht überflügelt oder besser gesagt überrollt wurde, denn– jetzt kommen wir zur eingangs erwähnten Stimmungsabhängigkeit – GMD Sylvain Cambreling  ließ vor allem die bewegten Abschnitte mit einer so unerbittlich niedermachenden Radikalität und Grelle in den Raum meißeln, als ob er persönlichen Zorn austoben wollte, den in der Stille vor dem ersten Einsatz ein klingelndes Handy (nach unmittelbar voraus gegangener Bitte um Abschaltung aller Mobiltelefone!) sowie die daraus resultierende Heiterkeit im Publikum in ihm ausgelöst hatten. Ein Profi wie Cambreling sollte dennoch aller unmittelbaren und auch verständlichen Gefühle zum Trotz über den Dingen stehen und seine Wut nicht auf die Aufführung übertragen.

Die rigorose Strenge seines Dirigats entfachte bei dem bis in die heiklen Fanfaren hinein bestens disponierten Staatsorchester Stuttgart  wohl ein Feuer, aber eines, das nicht wärmt und aufgrund der über Linien und Bögen oft dreinfahrenden und hinweg wischenden Bewegungen Cambrelings, Emotionen weitgehend erstickte. Lediglich in den verhaltenen  und orchestral zurück haltenden Passagen gewährte er eine freiere und gelöstere Entfaltung.

Letztlich spricht es für das Niveau der Solisten und des Chores, dass Verdis blühende, menschlich ergreifende Botschaft begeisternde Anteilnahme erwecken konnte. Johannes Knecht  hatte den Staatsopernchor mit dem Philharmonia Chor Stuttgart  zu einem Ensemble zusammen geschweißt, das von leise schwebenden bis machtvoll ergreifenden Tönen eine Geschlossenheit und Sicherheit demonstrierte, der auch ein erzürnter Dirigent nichts anhaben konnte.

Das größte Kompliment an die Solisten gilt ihrer Anpassungsfähigkeit, dem trotz Einzelpositionen gemeinschaftlichen Ringen
um den Zweck ihres Einsatzes, bei dem keiner aufzutrumpfen versuchte. Umso schwerer fällt die Reihenfolge ihrer Würdigung, weshalb den Damen der Vortritt belassen sei. Adina Aaron, die im Frühjahr bereits als Tosca vor Ort auf weitere Begegnungen hoffen ließ, spannte Lyrik und Dramatik, Feinheit und Zupackendes zu einer Kette zusammen, in der sowohl die Reinheit der über dem Ensemble liegenden Töne und die Durchsetzungsfähigkeit in der Tiefe beeindrucken. Diese organische Ausgewogenheit, Rundung und jederzeit kontrollierbare Emphase findet sich auch bei Marina Prudenskajas  jedes Mal aufs Neue bewunderungswürdig schlackenlosem und wandlungsfähig expressivem Mezzosopran.

Pavel Cernoch setzte wiederum jenes tenorale Glanzlicht, des auch beim Verdi-Requiem zur Geltung kommen sollte. Mit dynamischer Nuancierung und viel Empfindsamkeit steuerte er seine klangvolle Stimme durch das „Ingemisco“ und „Hostias“. Liang Li gab „Mors stupebit“ und „Confutatis maledictis“  das erforderliche gesättigte Tiefenfundament und ließ seinen  an Farbe und Fülle noch gereiften Bass mitBalsam und unforciertem Strömen durch Verdis  Kantilenen gleiten.

Das Solistenquartett vermochte mit seiner geboten unaufdringlichen, aber stets leuchtenden Präsenz zu berühren und jenen Trost zu spenden, den der Dirigent  in seiner kurzen Ansprache als Ziel formulierte, aber (s.o.) selbst schuldig blieb.              

Udo Klebes

 

 

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