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BASEL: EUGEN ONEGIN –“Grosse Bühne”. Premiere

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Theater Basel: Grosse Bühne – Peter Iljitsch Tschaikowskij – „Eugen Onegin“ – Premiere 18.01.2014

 Kammerspiel der Aussenseiter

 Mit „Eugen Onegin“ ist dem Theater Basel wieder etwas Grosses gelungen! In dem schlichten, in seiner kargen, trostlosen Hässlichkeit beeindruckenden Bühnenbild von Ralf Käselau und den sorgfältig ausgearbeiteten neuzeitlichen Kostümen von Sabine Blickenstorfer erzählt Regisseurin Corinna von Rad die nicht minder trostlose Geschichte zweier tragisch liebender Paare, Arroganz und verletzter Ehre. Das ganze spielt sich in einer oberflächlichen, neureichen (russischen?) Gesellschaft ab, welche auf dem besten Weg ist, althergebrachte, wertvolle Werte zu verlieren. Feiern, trinken, sich an Skandalen begeistert aufregen – es ist ja alles soooo langweilig! Oberflächlich betrachtet könnte sich Eugen Onegin bestens in diese Society integrieren – aber das ist ja eigentlich seine Krux: Er kann sich nirgends integrieren – in DIESER Gesellschaft schon gar nicht! Seine Unzulänglichkeit versteckt er hinter seiner gelackten Arroganz und dem Kettenrauchen – immer, wenn’s brenzlig wird, kommt es zum Griff zur unvermeidlichen Zigarette – wenn da nur nicht die Feuerzeuge wären, welche die lästige Angewohnheit haben, stets dann, wenn sie doch ach so dringend benötigt werden, den Geist aufzugeben … Regisseurin von Rad zeichnet die Protagonisten deutlich und macht den Grundkonflikt des Dramas sehr schnell sehr transparent: Onegin, der unangepassten Rebell und Abenteurer in Jeans und moderner Lederjacke mit kleinem Pelzkragen ist befreundet mit dem im etwas angestaubten Anzug steckenden, sehr wohl angepassten, romantisch-schwärmenden Dichter Lenskij. Dieser liebt Olga, ein lebens- und abenteuerlustiges Girl. Ihre Schwester, die romantisch-schwärmerische Tatjana verguckt sich ausgerechnet in den windigen Onegin – es sind eben die Gegensätze, die sich anziehen. Und das muss ja nicht immer schief gehen – hier jedoch tut es das – und zwar gründlich! Frau von Rad lässt Olga ganz offensichtlich mit Onegin liebäugeln, der Tatjana vorgängig beim Tanz offen demütigt. Damit belegt Regisseurin von Rad deutlich, dass hier die falschen Paare gebildet werden sollen.

Es sind diese vielen ach so kleinen, feinen Momente, welche dem Zuschauer tiefe Einblicke in das Stück geben, wenn er diese denn auch haben will. Wer das nicht will, kann die Eindrücke einfach so auf sich wirken und sich einfach die Geschichte schlüssig erzählen lassen und den Abend „einfach nur“ geniessen, was ebenfalls ein berechtigter Anspruch an einen guten Opernabend ist. Frau von Rad stellt die handelnden Personen ins Zentrum und verleiht so der Aufführung im Verlaufe des Abends verstärkten Kammerspiel-Charakter. Die Duellszene wird dann zum Treffen der Aussenseiter: Onegin gesellt sich zu einem durch seine schwärmerische Leidenschaft doch etwas weltfremden Lenskij, der seinerseits von seinem Sekundanten begleitet wird, der an den alten Regeln und Bräuchen, von denen die oberflächliche Gesellschaft schon lange nichts mehr wissen will, festhält. Onegins Sekundant ist als Ausländer, dem man an Tatjanas Namenstag die dritte Strophe seiner Huldigung verweigert, der Aussenseiter schlechthin. In weissem Bühnenbild kommt es zu einer letzten Annäherung zwischen den beiden verfeindeten Freunden. Die Kontrahenten kommen sich näher, es endet in einer Umarmung – und wir wollen am liebsten runterrufen: „Lasst doch die verletzte Eitelkeit und versöhnt euch!“. Aber eben – das Libretto will es anders: Lenskij reisst sich aus der kurzen Umarmung, das Duell beginnt – wie es endet, wissen wir.

Die Jahre ziehen ins Land, Tatjana heiratet den vornehmen Gremin. An einem festlichen Ball, an welchem die Gremins so manchen schulterklopfenden Gast, der hinter seinem Rücken ein Messer oder einen Revolver verbirgt, begrüssen, kommt es dann zum Wiedersehen zwischen Tatjana und Onegin. Die Karten werden neu gemischt, jetzt ist es Onegin, der sich leidenschaftlich in Tatjana verliebt. Diese steht jedoch – trotz ihrer Gefühle für den Heimkehrer – zu ihrem Mann. Liebe? Oder Onegins Philosophie „Gewöhnung ist Ersatz für alles Glück“? Übrig bleibt ein verzweifelter Onegin, der sich, nach altem Muster, eine Zigarette anzünden will. Selbstredend, dass das Feuerzeug seinen Dienst versagt …

Giuliano Betta, welcher die Produktion musikalisch leiten sollte, ist aus gesundheitlichen Gründen ausgefallen. Der amerikanische Dirigent Erik Nielsen springt ein und sorgt zusammen mit dem Sinfonieorchester Basel für einen fantastischen Tschaikowskij-Abend. Des Dirigenten sichtbare Begeisterung für diese Oper springt auf das Orchester über – ein musikalisches Fest entsteht! Der Chor des Theater Basel (Leitung: Henryk Polus) bewährt sich auch hier allerbestens und präsentiert sich frisch und sangesfreudig! Larissa Schmidt überzeugt als pfiffige Olga sowohl stimmlich als auch in der Darstellung. Ihr zur Seite mit strahlend-schöner Tenorstimme Andrej Dunaev als Lenski. Seine grosse Arie vor dem Duell gerät zu einem der berührendsten Momente des Abends. Sanja Anastasia gefällt als Larina, Rita Ahonen als Filipjewna und Andrew Murphy als Saretzkij/Hauptmann. Ein kleines Highlight für sich ist Karl-Heinz Brandt als Triquet. Neben seinen sängerischen Qualitäten kann der erfahrene Sänger auch sein darstellerisches, durchaus komisches Talent voll ausspielen. Stimmgewaltig und wunderschön gerät dem fantastischen Bassisten Liang Li der Part des Fürsten Gremin. Eung Kwang Lee kann an der Premiere darstellerisch überzeugen. Seine sehr schöne Baritonstimme kann er allerdings an diesem Abend nicht voll entfalten – es scheint, als kämpfe der Sänger noch mit einer Erkältung. Eung Kwang Lee teilt seine Kräfte jedoch geschickt ein und kommt dadurch dennoch sehr beachtlich durch den Abend. Vor zwei Wochen stand sie noch als Elsa in Lohengrin auf der Bühne – und jetzt meistert sie die Tatjana mit mehr als nur Bravour: Sunyoung Seo sorgt mit ihrer Leistung für die eigentliche Sensation des Abends! Frau Seo überzeugt in jeder Beziehung – ihre Briefszene ist der „absolute Hammer“ und an musikalischer Emotionalität schwer zu überbieten! Die Rolle liegt ihr ausgezeichnet, sie scheint der sympathischen Sopranistin, auf den Leib geschrieben.  

Das Publikum dankt den Aufführenden und dem Regieteam mit kräftigem Applaus!  Der Basler „Eugen Onegin“ – ein weiterer Erfolg in der heurigen Basler Opernsaison – unbedingt (nochmals) hingehen!!

 Michael Hug

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