Alle Fotos: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
WIEN / Staatsoper:
ADRIANA LECOUVREUR von Francesco Cilèa
ERSTAUFFÜHRUNG AN DER WIENER STAATSOPER
Premiere: 16. Februar 2014
Wenn ein Werk mit einer Verspätung von 112 Jahren an einem der ersten Opernhäuser der Welt erstaufgeführt wird, fragt man natürlich nach dem Warum. Was fehlt der „Adriana Lecouvreur“, 1902 in Mailand – zwar nicht an der Scala, aber immerhin mit Enrico Caruso in der männlichen Hauptrolle – uraufgeführt, was die um zwei Jahre ältere „Tosca“ hat? Geht es nicht auch um eine große Künstlerin, die im Mittelpunkt steht? Hat nicht auch der effektsichere Eugène Scribe das zugrunde liegende Stück geschrieben und Sarah Bernhardt und Eleonora Duse haben die reizvolle Titelheldin, eine der berühmtesten französischen Schauspielerinnen ihrer Zeit (1692-1730) , verkörpert?
An der Musik liegt es gewiß nicht. Zwar hat Francesco Cilèa (1866-1950) außer der „Adriana Lecouvreur“ keinen weiteren Erfolg mehr liefern können (bei fünf Opern im Ganzen), aber musikalisch ist er voll auf der Höhe dessen, was andere „Veristen“ (um die italienische Nach-Verdi-Generation verkürzend so zusammen zu fassen) geleistet haben. Ein Komponist mit interessanten Klangfarben, herrlichen melodischen Bögen, wüster Dramatik, schimmernder Lyrik, mit Leitmotiven, die das Geschehen zart durchziehen, erstklassigen Möglichkeiten für Sänger. Warum schafft es diese „Adriana“ so selten auf die Bühne?
Man möchte das Libretto von Arturo Colautti nicht direkt als Schmarrn bezeichnen, aber weit davon entfernt ist es auch nicht. Allein die dümmliche Briefintrige (bitte, wer durchschaut das wirklich?), die es braucht, damit die beiden Rivalinnen um die Gunst des Maurizio (Moritz von Sachsen, im wahren Leben tatsächlich Liebhaber der Lecouvreur) in einem Landhaus zusammentreffen, die gute Adriana die böse Fürstin di Bouillon vor der Entdeckung durch ihren Gatten rettet, die beiden Frauen, obwohl sie heftig konversieren, einander nicht sehen (!), sich später an ihren Stimmen erkennen (!) – und Adriana schließlich durch Gift in einem Veilchenbukett, das ihr entgegenströmt, ermordet wird… Der Liebhaber steht als wahrer Waschlappen zwischen den beiden, der „Bösewicht“, der Fürst, hat kein Profil, aber einen Abate als permanenten quasi „komischen“ Begleiter, und die Rolle des Baritons ist die von Adrianas altem Vertrauten im Theater, der Inspizient Michonnet, der naiv genug ist (!) zu glauben, der Star werde ihn heiraten… Weitere Nebenrollen machen als Theaterpersonal ein wenig Lärm, haben aber keine Funktion. Kurz, dramaturgisch ist das mehr als eine nur mittlere Katastrophe.
Vielleicht liegt es daran, dass das Publikum im allgemeinen nicht so viel Geduld mit „Adriana“ hat und in Wien offenbar auch kein übertriebenes Bedürfnis nach ihr, denn eine halbe Stunde vor Beginn gab es noch Stehparterrekarten (!), die so gut wie immer ausverkauft sind, und das kann nicht an der seltsamen Premieren-Beginnzeit von 17 Uhr gelegen sein, schließlich war Sonntag. Gespielt wird dergleichen für einen Star, und den hatte man in Wien, zudem eine fertige Aufführung aus London, das machte dem Direktor offenbar die Entscheidung leicht.
Man wusste, was einen erwartet: arte hat aus London übertragen, die DVD der dortigen Vorstellung liegt vor, dieselbe Inszenierung, dieselbe Hauptdarstellerin, in diesem Sinn waren von dieser Wiener „Adriana Lecouvreur“ keine Überraschungen zu erwarten. Die Inszenierung von David McVicar katapultiert zurück in ein Opernverständnis, das man „gestrig“ nennen kann, das aber im Zuge einer doch wohl anzustrebenden Meinungs- und Geschmacksvielfalt unbedingt seine Berechtigung haben sollte – herrschte solche Toleranz grundsätzlich, müssten sich die Gegner und Befürworter von „Regietheater“ nicht in geradezu Pawlow’schen Reaktionen beschimpfen und beflegeln, sondern würden jede Inszenierung nach dem einzig relevanten Kriterium befragen: Ob sie in sich „stimmt“.
Und wenn diese „Adriana“ mit etwas weniger Aufwand vermutlich auch funktionierten könnte, gibt diese beschworene Opulenz des 18. Jahrhunderts der Sache doch ein Flair, das mit dem der Diva des Abends ideal korrespondiert. Also – warum nicht? Charles Edwards stellt ein Theater (Ausschnitt: hinter der Bühne) in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts penibel hin, dann ein Landhaus, dann einen hochbarocken Theaterraum frontal, schließlich wieder die Szene hinter der Bühne. Zusammen mit geradezu prachtvollen, für die Epoche richtigen Kostümen von Brigitte Reiffenstuel ist das knapp vor dem Ausstattungs-Overkill, aber doch nicht darüber. Wenn man die Dinge so sieht, wie sie hier vorgegeben sind, stimmt auch das Ballett, wie Andrew George es gestaltet hat.
Und David McVicar begnügt sich nicht damit, einfach die Ausstattung da stehen zu lassen, die Inszenierung ist detailverliebt genau gearbeitet, wenn Nebenrollen und Statisten gefragt sind, und auch die Darsteller sind stimmig geführt, wenn auch jeder nur so viel geben kann, wie sein Talent hergibt. Aber das ist immer so und nicht dem Regisseur anzulasten: Dass das Leading Team dennoch (mit Ausnahme des Tenors) die einzigen Buh-Rufe des Abends einkassieren musste, wirkte wie eine nicht unbedingt berechtigte Retourkutsche von Regietheater-Freunden, die zu oft erleben mussten, dass man „ihre“ Regisseure niedergebuht hat. Nur, ehrlich – an dieser „Adriana“ wäre nichts zu „interpretieren“ gewesen, es sei denn, man hätte die Lächerlichkeit des Ganzen ausstellen statt, wie es hier geschieht, mildtätig verstecken wollen.
Gespielt wurde der Abend für Angela Gheorghiu, und die Rolle ist ideal für sie – im Grunde für die Sopranistin so stark wie Tosca, nur dass sie zusätzlich so lange sterben darf wie die Traviata und dabei noch ein paar Bröckchen Wahnsinn hineinstreuen kann. Im übrigen ist sie große Diva, die auch Racine rezitiert (obwohl Sängerinnen Sprechpassagen vermutlich zu Recht nicht so gerne haben), eine leidenschaftliche Liebende, die sich in einen kleinen „Gardeoffizier“ verliebt und dann entdecken darf, dass er der Sohn von August dem Starken ist (solche Überraschungen liebt man auf dem Theater), eine eifersüchtig um den geliebten Mann Kämpfende, die schließlich herrlich verdämmernd dahinscheiden darf. Welch eine Rolle grundsätzlich und für die unveränderlich schöne Angela Gheorghiu im besonderen, die auch dann noch beeindruckt, wenn sie – wie bei der Wiener Premiere – vermutlich nicht ihren besten Abend hat. Zu Beginn kam sie in ihre berühmten Piano-Künste schwer hinein, im Laufe des Abends war ihr bekanntes, gepflegtes Mezzavoce manchmal so leise, dass man sich fragte, ob nicht mehr da ist – das zeigte sich vor allem, wenn die Kollegin und Rivalin rücksichtslos aufdrehte (während sich der Tenor einigermaßen zurückhielt). Immerhin, ihre Technik ist makellos, ihre Spitzentöne unverändert schön (wie viele Sängerinnen können das schon von sich sagen), und ihre lange Sterbeszene wurde in vielen zarten Details perfekt ausgekostet. Beim Winken vor dem Vorhang war die Diva dann wieder ganz Diva und wurde vom Publikum schrankenlos beklatscht.
Als ihre Rivalin, die Fürstin (auf der DVD aus der Scala mit der Freni war es Fiorenza Cossotto, auf der Gheorghiu-DVD aus London ist es Olga Borodina), gab Elena Zhidkova ihr Staatsoperndebut. Sie tat es mit so gnadenlosem Metall in der Kehle, dass man sie bei den Wagner-Rollen, die sie allerorten singt, besser aufgehoben wähnt als bei den Italienern, aber wer im dramatischen Weiber-Duell die Kraft hat, volle Stimmepower mit beeindruckend dunkler Färbung ins Spiel zu werfen, der holt sich die Begeisterung des Publikums nicht unverdient – zumal, wenn man eine so prächtige Bühnenerscheinung ist.
Massimo Giordano war sicher nicht die Idealbesetzung für den Maurizio, schon deshalb, weil sein Gesangsstil so unausgeglichen ist, dass er zwar Höhen singen kann und gelegentlich Piani (das ist schon etwas für einen Tenor), aber so gut wie nie jenes Legato, das den Reiz tenoralen Singens ausmachen sollte. Auch nützt es nichts, ein hübscher, großer junger Mann zu sein, wenn man sich doch recht hölzern bewegt. Doch es war nur ein einzelner Buh-Rufer, der sich unhöflicherweise schon nach der ersten Arie bemerkbar machte und auch am Ende sein Missfallen kundtat. Der Rest des Publikums schien mit dem Angebot von Massimo Giordano weitgehend zufrieden.
Neben den Hauptfiguren hat im Grunde nur der in Adriana verliebte Souffleur Michonnet etwas zu vermelden, den Roberto Frontali eine Spur trocken, aber durchaus zufrieden stellend sang, nur in darstellerischen Details (beim Tod der geliebten Adriana stand er eher dumm herum, Anteilnahme war bis zum Stichwort nicht zu entdecken) waren anfechtbar.
Alexandru Moisiuc als stimmgewaltiger (und auch sonst unübersehbarer) Principe di Bouillon, hinter dem Raúl Giménez als intriganter Abate herwieselte, hat vom Libretto her wenig Charakter bekommen. Das Theaterpersonal war mit Juliette Mars, Bryony Dwyer, Jongmin Park und Jinxu Xiahou besetzt – als schönen Schlusseffekt hat sich der Regisseur ausgedacht, dass die tote Adriana im Vordergrund liegt und die Komödianten auf der Bühne langsam vorschreiten und ihr mit Verbeugung Reverenz erweisen…
Evelino Pidò hat Clieas reizvolle Klangfarben reich aufgeblättert und die Dramatik mächtig angeheizt, es lag also sicher nicht an ihm, dass sich an diesem Abend der ganz große, ehrlich frenetische Jubel nicht einstellte. Lag es am Werk, lag es an der zurückhaltenden Hauptdarstellerin? Wahrscheinlich werden alle Beteiligten von Vorstellung zu Vorstellung mehr Gas geben. Am nächsten Samstag sollte die „Adriana“ dann knallen, wenn sie per LiveStream in die Welt geht.
Renate Wagner