Ab 21. Februar 2014 in den österreichischen Kinos
DIE NONNE
La religieuse / Frankreich / 2013
Regie: Guillaume Nicloux
Mit: Pauline Etienne, Isabelle Huppert, Louise Bourgoin, Martina Gedeck u.a.
Mittlerweile hat sich herumgesprochen, dass ein Roman mit dem Titel „Die Nonne“, auch wenn er vom Ende des 18. Jahrhunderts stammt, nicht irgendeine frivole Geschichte ist, sondern dass Denis Diderot mit „La religieuse“ eines der wichtigsten Werke der Aufklärung geschrieben hat. Als es 1966 erstmals verfilmt wurde, war der Schock, totalitäres Leben hinter Klostermauern vorgeführt zu bekommen, noch groß. Heute gibt es leider nichts mehr, was man der katholischen Kirche an Schand- und Missetaten nicht zutraut. Allerdings hat das Buch die Aura voller Authentizität: So, wie Suzanne Simonin ihr Schicksal erzählt, haben es vermutlich viele erlitten…
Diderot zeigt, wie in den Klöstern neben Psychoterror auch noch gnadenlose körperliche Gewalt herrschte, und die zusammen gesperrten Frauen erwiesen sich als Brutstätte entsetzlichster und negativster Gefühlseruptionen…
Suzannes besonders tragischer Sonderfall bestand darin, dass sie nicht nur ins Kloster abgeschoben wurde, weil die Familie nicht genug Geld hatte, sie zu verheiraten (wie es meist der Fall war – das Kloster als Abschiebe- und Verwahrungsort für unerwünschte Töchter), sondern weil eine fromme Mutter (Martina Gedeck mit ausgemergeltem Gesicht und trostlosen Augen) ihren Seitensprung, dessen Frucht Suzanne war, dahingehend büßen wollte, indem sie die Tochter ins Kloster schickte und ihr solcherart gewissermaßen das Leben nahm.
Diderot hat dieser Suzanne Simonin den unerschütterlichen Widerstand gegeben, sich nicht in eine Existenz pressen zu lassen, die sie trotz ihrer Frömmigkeit ablehnte (der Glaube an Gott ist der einzige, den sie nie verliert, die Menschen lernt sie aufs schlimmste kennen). Diderot führt Suzanne durch mehrere Klöster, in zweien wird sie – auf verschiedene Arten – das Opfer der Äbtissinnen. Oberin Christine ist aus unerfindlichen Gründen entschlossen, dieses Geschöpf um jeden Preis zu brechen (faszinierend, was das Gesicht von Louise Bourgoin ausdrückt, wo man unter der Verstellung heiligmäßiger Gelassenheit die volle Bösheit ihrer Intentionen spürt), und Oberin Saint-Eutrope ist eine Lesbe, die sich jede neue Novizin pflückt und angesichts von Suzannes Unschuld bis zum Wahnsinn verzweifelt: Hier denkt man an Liselotte Pulver zurück, die in der Verfilmung von Jacques Rivette diese Oberin bis zur Grenze der Parodie, aber schlechtweg hinreißend und viel glaubhafter spielte als heute die kühle Isabelle Huppert, der man weder verzehrende Leidenschaft noch wilde Verzweiflung abnimmt.
Es sind die Männer, die sich immer wieder des tragischen Schicksals von Suzanne erbarmen und ihr schließlich die Flucht ermöglilchen. Das Finale zeigen die beiden Filme verschieden, keiner lässt sie dort in der Wäscherei, wo die Geflüchtete Unterschlupf fand und Diderots Roman endet: Rivette dachte sich ein weiteres Schicksal aus, das Suzanne erst im Bordell, dann im Selbstmord enden ließ. Guillaume Nicloux lässt in seiner Neuverfilmung für die gerettete Suzanne neben der Ungewissheit ihres Schicksals doch eine Art von kleinem Hoffnungsschimmer aufflattern…
Was die „Nonne“ von 2013 so stark, stellenweise sogar stärker macht als den berühmten Rivette-Film, ist die Darstellung der Titelrolle durch eine zwar schon 24jährige Belgierin, die aber jeden Zoll die 16jährige glaubhaft macht: Pauline Etienne ist in ihrem tiefinneren Unglück und in ihrer Entschlossenheit, nicht aufzugeben, eine der überzeugendsten Leistungen gelungen, die man seit langem auf der Filmleinwand gesehen hat.
Renate Wagner