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WIEN / Theater an der Wien: PLATÉE

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Alle Fotos auf dieser Seite: Theater an der Wien / MONIKA RITTERSHAUS

WIEN / Theater an der Wien:
PLATÉE von Jean-Philippe Rameau
Premiere: 17. Februar 2014 

„Platée“ von Jean-Philippe Rameau ist, kurz gesagt, ein durch und durch seltsames Werk, und da unser Zeitgeist immer mehr dem „Schrägen“ zugeneigt ist (ein Zeichen für „Endzeit“?), erscheint dieses „Ballet-bouffon“, wie die offizielle Bezeichnung lautet, immer öfter auf unseren Bühnen. Dem Theater an der Wien hat es – vor allem dank der Inszenierung von Robert Carsen – schon wieder einen seiner ganz großen Erfolge beschert.

Was ist „Platée“? Das Programmheft leistet Hervorragendes im Aufarbeiten der Traditionen, auf die man das Werk beziehen kann, aber denken wir kurz an die seltsamen Umstände der Erstaufführung: Da heiratet der französische Kronprinz, der Sohn von König Ludwig XV., die spanische Infantin Maria Theresia (eine Habsburgerin). Die Dame gilt nicht gerade als Schönheit, und zu den Hochzeitsfeierlichkeiten spielt man am 31. März 1745 in Versailles eine Oper, in der es um eine Verhöhnung einer hässlichen Frau geht… Und wenn man es falsch anpackt, ist es eine Geschichte von extremer seelischer Grausamkeit.

Nun ist Platée, die Wassernymphe, ja keine sonderlich sympathische Erscheinung. Hässlich und ungehobelt, na ja, dafür kann sie wohl nichts, aber auch eines jener unausstehlich eitlen Geschöpfe, die sich in herrlichem Dünkel einbilden, jeder verehre sie und liege vor ihnen auf den Knien. Durch solche Dümmlichkeit ist sie natürlich leicht zu manipulieren und zu missbrauchen, und wenn der Hofstaat von Jupiter beschließt, dem Chef bei seiner Ehekrise mit Juno zu helfen, kommt sie gerade recht: Wenn er vorgibt, Platée zu heiraten, kann Juno, wenn sie erkennt, wer ihre Rivalin ist, nur lachen und  sich ihrer ewigen Eifersucht schämen…

So wird die dumme, eitle Platée in dem Glauben gewiegt, Jupiter liebe sie, die Hochzeit wird arrangiert – und halbnackt im Bett wird sie dem allgemeinen Gelächter preisgegeben und eigentlich unvorstellbar gedemütigt. Glücklicherweise schimpft und tobt sie dann so, dass es einem nicht ganz das Herz zerreißt über so viel menschliche Gemeinheit (weil das Opfer eben nicht so sonderlich sympathisch ist) – aber eine Menge unguter Gefühle werden da schon transportiert.

Was macht man mit solch einem Werk? Die Möglichkeiten sind zahlreich – bis zurück zur Tierfabel, da an sich viele Tiere mitspielen (und auch akustisch ergötzlich „ertönen“), auch die barocke Blödel-Show ist möglich. Oder das, was Robert Carsen doch sehr intelligent ausführt: Der Versuch, das Ganze als moderne Parallelaktion umzusetzen. Das Einzige, was er dabei nicht wirklich in den Griff bekommt, ist der Prolog. In welche Welt er uns da mit Wein, Theater und Amor führt, wird bei einer wild bewegten, kaum definierten Schar in Fetzenkarnevals-Kleidung nicht wirklich klar: Aber der Arnold Schoenberg Chor (geleitet von Erwin Ortner) ist natürlich in jeder Funktion vorzüglich.

Die Oper allerdings spielt schon sehr heute, in einer Party-Party-Welt, genauer noch, in der Welt der Mode und Schickeria, wenn Jupiter schließlich unverkennbar als Karl Lagerfeld erscheint (der halt so leicht nachzumachen ist). In diese Welt der Schönen und Hektischen stapft Platée mit dem Selbstbewusstsein derjenigen herein, die in herrlicher Selbstüberhebung nur sich kennen. Die Intrige entwickelt sich logisch, Carsen findet mit Hilfe seines Ausstatters (Gideon Davey), der teilweise besonders witzige Kostüme entworfen hat, auch optisch immer adäquate Umsetzungen zu dem, was das Libretto fordert.

Es ist der überreiche Anteil an Tanz, der dieses Werk zur Drei-Stunden-Länge aufbläht, und man liefe Gefahr, sich hier gelegentlich zu langweilen, wenn die Choreographie von Nicolas Paul nicht im vollen Wortsinn „mitspielte“. Sie ist nicht Selbstzweck, sondern integraler Bestandteil des Geschehens, besonders überzeugend beispielsweise, wenn hier Models gelangweilt über einen Laufsteig zu staksen scheinen, dann zu ihren üblichen affektierten Hüftschwüngen und falschen Lächeln finden… Eine Kunstwelt, in die Platée doppelt peinlich hereinplatzt – aber gelegentlich sogar erfrischend.

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An Platée hängt alles, im barocken Original mit einem Haute-contre besetzt, hier „einfach“ (und angenehm anzuhören) mit einem Tenor, der sogar eine gute baritonale Basis verfügt. An einem Abend, wo man pauschal sagen muss, dass so gut wie keine schönen Stimmen zu hören waren, stellte der niederländische Tenor Marcel Beekman die Ausnahme dar – das hörte sich gut an. Und sah sich noch besser an. Anfangs lachte man einfach über einen Transvestiten, aber dann setzte der „Tootsie“-Effekt ein – man nahm dieses „Mannweib“ als echte Frau, als echten Menschen, als Geschöpf, über das man liebevoll lachen und den Kopf schütteln konnte, das man sozusagen lieb gewann. Am Ende gibt Carsen ihm den Tod, indem er sich den Pfeil des Amor selbst in die Brust sticht: Nur wer die Sehnsucht kennt! Diese Platée hat sich schließlich kindisch gefreut, die Frau des Jupiter zu sein und dann … das ist berührend. Das macht die Inszenierung schön. Und Beekman avancierte zum stürmisch akklamierten Liebling aller.

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Die Aufführung ist mit Sängern besetzt, die ihre Sache gut machen, ohne dass sie – selbst Jupiter (Edwin Crossley-Mercer) und am Ende in einer kurzen Partie Juno (Emilie Renard) – besonders auffielen. Mit Ausnahme natürlich jener Dame, die schon vom Werk her den Namen „La Folie“ hat und es an Verrücktheit nicht fehlen lässt. Schließlich wird sie von Simone Kermes verkörpert, die schon des öfteren gezeigt hat, dass sie sich nicht ins Klischee des „normalen“ Sängers einordnen lässt und die jede Möglichkeit des Geblödels mit Wonne aufnahm, ob sie Popstar (sollte das Anastacia sein?) spielte oder (rothaarig im „Spiegel“-Kleid) wahrscheinlich nur sich selbst. Nur gut angehört hat es sich nicht.

Im Gegensatz zum Orchester, denn Les Arts Florissants fanden auch unter dem Einspringer-Dirigenten Paul Agnew zu äußerst lebhafter, lebendiger Umsetzung dieses schrägen Werks, das Carsen so bemerkenswert in den Griff bekommen hat. Wenn man von einem stürmischen Erfolg sprechen wollte, würde man zu kurz greifen: Das klang nach nicht weniger als einem Triumph.

Renate Wagner

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