INNSBRUCK – PARSIFAL.Premiere
Am 16.2.2014 (Helmut Christian Mayer)
Es bedarf durchaus einer tüchtigen Portion Mutes, so ein aufwändiges Musikdrama wie Richard Wagners „Parsifal“ an einer Landesbühne aufzuführen. Vor allem dann, wenn diese zu den kleineren zählt wie das Tiroler Landestheater Innsbruck. Aber dessen Intendant Johannes Reitmeier war mutig, wagte viel und gewann.
Zweifellos ist das „Bühnenweihfestspiel“ ein religiöses Werk, das immer noch viele Rätsel aufgibt. Deshalb hat es in der langen Rezeptionsgeschichte der letzten Oper des großen Bayreuther Meisters unzählige Deutungen gegeben, gelungene und weniger gelungenere. Reitmeier hat jetzt seine Interpretation präsentiert. Es ist eine Konzeption, mit der er bereits 2012 am Pfalztheater in Kaiserslautern erstmalig an die Öffentlichkeit trat und die er in den Grundzügen und mit einigen neueren Ideen bereichert, hier weiterentwickelt hat. Und dabei geht er gleich von Anfang aufs Ganze, ins absolute Zentrum der katholischen Macht, in den Vatikan. Denn vor der etwas heruntergekommenen Kuppel des Petersdoms in Rom, umgeben von grauen, abblätternden Mauern, in einer beeindruckende Kulisse von Thomas Dörfler, lässt er eine völlig weltfremde, abgeschlossene Priesterschaft auftreten. Von Gralsrittern findet sich keine Spur, wenn man von den schäbig ausstaffierten Knappen, die ständig mit Gewehren herumfuchteln, absieht. Die Zusammenkunft wirkt eher wie ein Konklave von hochrangigen Kardinälen, deren Sprecher Gurnemanz ebenfalls wie ein echter Kardinal aussieht (Kostüme: Anke Drewes). Und es gibt gleich zwei blütenweiß gewandete Päpste, offensichtlich eine aktuelle Anspielung auf die derzeitige Situation: Einen emeritierten, der wie der im letzten Jahr zurückgetretene Benedikt XVI rote Schuhe trägt: Das ist der greise Titurel. Und dann gibt es einen amtierenden, den schrecklich leidenden Amfortas. Hier im Vatikan vollziehen sie ihre antiquierten Rituale, wobei bei der Gralsenthüllung dieser in einem Tabernakel wie vom Himmel herunterschwebt. Völlig überraschend und provokant ist der Schluss: Kundry stirbt nicht, sie wird auch nicht nur erlöst, sondern erhält von Parsifal die Kardinalswürde in Form einer Robe und eines Stabes verliehen. Eine insgesamt sehr gewagte aber diskussionswürdige Interpretation!
Aus dem Vatikan wird Klingsors Burg, indem dreidimensionale Videoprojektionen herumzuflimmern zu beginnen. Eisgrau gewandet sind die uniformen Blumenmädchen mit ihren weißen Perücken.
Und nun zum größten Bonus der Regie: Reitmeier versteht es, die Personen zu führen. Denn so detailliert durchdacht und umgesetzt erlebt man dies nicht allzu oft. Und vor allen werden auch Nebenbereiche nicht ignoriert.
Trotz des für Wagnersche Verhältnisse kleinen Orchestergrabens ist man von der Klangfülle und dem Farbenreichtum beeindruckt, den das Tiroler Landesorchesters Innsbruck unter dem souveränen und präzisen Dirigat von Alexander Rumpf hervorzaubert. Und das nicht nur bei den lyrischen Piani sondern auch bei den ausgereizten und aufgeladenen Fortestellen. Und immer wird bei der Dynamik auf die Durchhörbarkeit und auf das Sängerensemble geachtet.
Dieses führt eindeutig Guido Jentjens, der schon in Bayreuth und Kaiserlautern auftrat, an. Sein Gurnemanz ist feinsinnig, warm und weich. Auch schafft er die endlose Rolle ohne Ermüdungserscheinungen. Jennifer Maines ist eine im Spiel und Gesang extrem ausdruckstarke Kundry. Tilmann Unger ist ein jugendlich wirkender, frech gezeichneter Titelheld im weißen Anzug, der bis auf wenige Höhen makellos singt. Wieland Satter ist ein schlimm leidender Amfortas, Joachim Seipp ein Klingsor zum Fürchten mit markantem und kräftigem Organ. Die vielen kleineren Partien, insbesondere die wunderbaren Blumenmädchen erweisen sich als sehr gut besetzt. Stimmgewaltig hört man den verstärkten Chor des Hauses und die tonrein singenden Wiltener Sängerknaben (Einstudierung: Michel Roberge).
Zum Schluss gab es uneingeschränkten Jubel für alle im seltsamerweise nicht ausverkauften Theater.
Helmut Christian Mayer