Foto: Burgtheater, Georg Soulek
WIEN / Burgtheater:
MARIA MAGDALENA von Friedrich Hebbel
Premiere: 20. Februar 2014
Seit der Ära Hartmann prunkt die Burgtheater-Werbung (oder man könnte es in diesem Fall wohl auch die „Corporate Identity“ nennen) mit einem – nicht stets gänzlich durchschaubaren – Zusammensetzspiel von Worten, in denen „Burg“ immer wieder vorkommt. Wahl / Burg / Wille zum Beispiel. Oder: Spiel / Burg / Schau. Oder: Sag / Burg / Ja.
Im neuesten Magazin des Hauses, das Klaus Maria Brandauer mit Wollmütze als Lear am Titelbild zeigt, findet sich auch die Kombination: „nicht / Burg / vorbei“. Das klingt wie die Durchhalteparole einer zutiefst erschütterten Institution (erschüttert, wie es etwa ein Gebäude ist, das in jedem Gebälk kracht) – aber die Premiere von Friedrich Hebbels „Maria Magdalena“ bewies zumindest eines: Business as usual. Es wird gespielt. Es geht weiter. Die Burg wird’s überleben, vielleicht mit, vielleicht ohne Köpferollen. Aber der Vorhang geht auf, und darauf kommt es beim Theater an.
Das Burgtheater bekommt nach Brechts „Heiliger Johanna der Schlachthöfe“ (2011) und der Hofmannsthal’schen „Elektra“ (2012) nun seine dritte Thalheimer-Inszenierung – Michael Thalheimer, jener Mann, der seine Vorlagen (darf man noch Stücke sagen?) regelmäßig aus ihrem realistischen Sinnzusammenhang herausschält und in seltsam abstrakte Gebilde verwandelt. Auch für die selten gespielte „Maria Magdalena“ hat er, wie für die „Elektra“, einen kleinen Raum vorgesehen, der inmitten der leeren Bühne hängt (Bühne: Olaf Altmann) – die Welt des Meister Anton, wo sich seine Familie knäult, während die anderen Szenen „außerhalb“ spielen dürfen. Also nicht die totale Klaustrophobie, aber immer noch schlimm genug.
Übrigens: Wenn sich dieser Raum schräg neigt, als die bürgerliche Welt ins Wanken gerät – ein recht simples Gleichnis, aber bitte -, sieht man es noch ein. Wenn er aber am Ende in die Lüfte schwebt, vermag man dann nur noch an das Budget des Hauses zu denken und fragt sich, was ein solcher Effekt kostet – denn da muss man vermutlich allerlei an Maschinerie investieren. Früher hat man achselzuckend gemeint: Wir haben’s ja. Mittlerweile wissen wir: Wie haben’s nicht…
Die Geschichte des Patriarchen, der seine ganze Familie unterdrückt und mit seinen gnadenlosen Vorstellungen, wie die Dinge zu sein hätten, seinen Sohn davon- und seine Frau und seine Tochter in den Tod jagt, ist ein Hebbel’sches Meisterstück über geistigen Enge und zwischenmenschliche Kommunikationslosigkeit. Bei Thalheimer kommt noch die Starre hinzu. Man weiß aus anderen Beispielen seiner Arbeit, wie gerne er die Figuren hinstellt und einfach ins Publikum reden lässt. Das geschieht auch hier zu Beginn und über weite Strecken immer wieder, geradezu deklamatorisch, was den Vorteil hat, dass man dem Text, unabgelenkt, sehr genau zuhört. Und den Nachteil, dass hier mit ganz wenigen Ausnahmen (darunter die Burg-„Oldies“ Fritsch oder Oest) einfach zu schlechte Sprecher am Werk waren – auch die Darsteller der zentralen Rollen brachten vieles „vernuschelt“ hervor, von Nebenrollendarstellern, die bis zur Unverständlichkeit gediehen, ganz zu schweigen. Schade bei einer Aufführung, die so auf den Text setzt.
Was „gespielt“ wird, wenn man es so nennen kann, ist stilisiertes Theater der Unnatur. Keiner steht als „Echtmensch“ auf der Bühne (wie es Hebbel zweifellos gemeint hat), jeder ist Symbol, wobei man sich teilweise annähernd choreographisch bewegt, jeder hat irgendetwas „auszustellen“ (was gar nicht unbedingt gelingen muss wie etwa die höchst künstlichen Schreie der Hauptdarstellerin). Wie aber die vom Regisseur geschaffene „Gleichnisrede“ über weite Strecken doch funktioniert, weist auf die Qualität dessen zurück, das im Original nicht mehr vorhanden ist: Hebbels Stück.
Da stehen sie zu Beginn wie Zombies im schmalen Zimmer-Ausschnitt auf der Bühne: Die Klara der Sarah Viktoria Frick, anfangs mit kindlich-ratlosem-törichtem Lächeln, nach und nach als glaubhaftes Unglücksgeschöpf, aber rein von der pummeligen Struktur ihrer Erscheinung her nicht völlig überzeugend als die große Tragödin, als die sie doch gedacht ist. Neben ihr, gespensterhaft bleich und absichtsvoll grotesk, die moribunde Mutter der Regina Fritsch, hier schon sehr weit in Richtung Karikatur gedreht, ebenso wie Tino Hillebrand als verkniffener Sohn Karl.
Der heimliche und unheimliche Held des Werks ist ja immer der Meister Anton, den Tilo Nest nicht als unglücklichen alten Mann, sondern als geiferndes Wohlanständigkeits-Monster auf die Bühne stellt, so wie Lucas Gregorowicz als treuloser Verlobter den brunnenvergiftenden Bösewicht schlechthin spielt (gerade, dass er nicht auf Zehenspitzen dahintapst wie im Märchen).
Während das Burgtheater seine großen Darsteller entlässt (wie man einen Samel, eine Kirchhoff gehen lassen kann, statt den Boden zu küssen, dass man sie hat!), erscheinen dauernd neue Gesichter: Auch Albrecht Abraham Schuch findet sich als der „aufrechte“ Liebhaber der Parodie nahe (und den Sprechunterricht hat er geschwänzt). Johann Adam Oest ist an sich skurril genug, den braucht ein Regisseur nicht zu verbiegen. André Meyer und Stefan Wieland als zwei Büttel führen sich auf wie irgendwelche Soldatenmonster im Krieg, bei denen eine Hausdurchsuchung zur brutalen Tätlichkeit wird.
Es gibt viel atmosphärisch tremolierende Musik an diesem Abend (Bert Wrede), fast wie im Kino, vor allem aber die längste Zeit ein seltsames Pfeifgeräusch, das vermutlich an einen Tinnitus erinnern soll. Sinnbild für eine kranke Welt? Das Publikum klatschte sehr brav, nur wenige wagten ein Buh gegen den Regisseur. Die meisten wissen (resigniert oder nicht), dass man „so“ eben heutzutage Theater macht.
Renate Wagner