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LINZ: FADINGER ODER DIE REVOLUTION DER HUTMACHER – eine große Chance – leider vertan!

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FADINGER oder DIE REVOLUTION DER HUTMACHER    Aufführung: 25.2.2014 (Uraufführung: 8.2.2014)                            
Eine große Chance – leider vertan!

Unbenannt
Martin Achrainer. Foto: Neues Musiktheater Linz

LINZ Volkstheater Volksgarten Ernst Ludwig Leitner FADINGER oder DIE REVOLUTION DER HUTMACHER – 25.2. 2014(Uraufführung am 8.2.2014) –

Der oberösterreichische Komponist, Organist und emeritierte Universitätsprofessor Ernst Ludwig Leitner wurde am 14. Oktober 1943 in Wels geboren. Neben vier Sinfonien, acht Instrumentalkonzerten und einem „Requiem in memoriam Leonard Bernstein“, verfasste der Komponist bislang vier Opern: „So weiß wie Schnee, so rot wie Blut“ (1999), „Die Sennenpuppe“ (2008), „Die Hochzeit“ (2010) und schließlich „Fadinger oder Die Revolution der Hutmacher“ (2013).

Der am 1. März 1967 in Vöcklabruck geborene österreichische Schriftsteller Franzobel (eigentlich: Franz Stefan Griebl) verfasste dazu das Libretto in zwei Akten und 18 Szenen. Wer aber war dieser Stefan Fadinger, nach dem in Wien die Endhaltestelle der Straßenbahnlinie 1 (Stefan Fadinger-Platz) benannt ist? Fadinger, 1585 in Parz geboren und am 5. Juli 1626 in Ebelsberg gestorben, war ein protestantischer Bauer, Hutmacher und Oberhauptmann der aufständischen Bauern im oberösterreichischen Bauernkrieg. Trotz seiner rednerischen Begabung war er Analphabet und nahm den Oberbefehl in einem Krieg um soziale Gerechtigkeit und Luthertum nur widerwillig an.  

Obwohl die lokale oberösterreichische Presse die Bedeutung dieses Werkes besonders hervorgehoben hat, sollte man doch – seriöser Weise – die „Kirche im Dorf belassen“. Fadinger ist im Vergleich zu seinem Widersacher, dem Grafen Herberstorff, eher farblos gezeichnet. Der Höhepunkt der Oper liegt, meines Erachtens, einerseits im bekannten „Frankenburger Würfelspiel“, bei dem die Aufständischen paarweise um ihr Leben würfeln mussten, andererseits in der Konfrontation zwischen Fadinger und Herberstorff, der sich nichts sehnlicher wünscht, als so geliebt zu werden, wie Fadinger. Er beneidet ihn sogar im Tod. Was danach noch auf der Bühne gezeigt wird, ist dramaturgisch betrachtet völlig überflüssig. Wer am weiteren Schicksal von Christoph Zeller und Achatz Wiellinger, den aufständischen Bauernführern um Fadinger, interessiert ist, mag Google und Wikipedia befragen, für die Oper ist deren weiteres Schicksal weniger bedeutend. Und auch die bekannte Tatsache ihrer Exhumierung und Leichenschändung, sowie des moralisierenden Endes dehnt die Oper unnötig in die Länge. Großzügige Striche hätte das Werk allemal verdient und eine Aufführung ohne Pause hätte darüber hinaus auch zu einer Konzentration der Handlung wesentlich beigetragen.

Dieses vom Libretto vorgegebene Manko, spiegelte sich leider auch in der recht uninspirierten Regie von André Turnheim wider. So wird die Vergewaltigungsszene von Zellers Gattin Cilli durch marodierende Landsknechte „zensuriert“ angedeutet, indem Cilli geradezu banal mit Bier bespritzt wird. Ein anderes Beispiel ist die finale Konfrontation zwischen Fadinger und Herberstorff. Der Komponist hat für den katholischen Widersacher die Stimmlage eines Countertenors gewählt. Unverhohlen beneidet dieser den beliebten Bauernführer: „Fadinger! Wie gern wär’ ich wie du. … Du bist ein Teil von mir.“ Gegen Ende hält er dann den Leichnam Fadingers – wie bei der Pietà – im Schoß. Was läge da wohl näher als ein Kuss, mit dem der Widersacher Herberstorff seinem Gegner Respekt zollt und seine „unterdrückten“ Gefühle zum Ausdruck bringt…

Aber so einfach ist es nicht, denn Franzobel wollte mit seinem Libretto ein Lehrstück à la Brecht / Weill verfassen, das zunächst als Sprechstück seine Bühnentaufe erleben sollte. Er bediente sich dabei freier wie etwas holprig klingender gebundener Sprache mit Einschüben in derbem Dialekt, und konnte schließlich doch davon überzeugt werden, dass sich sein Drama auch als Grundlage für eine Oper eignen würde. Und das eben ist die Crux dieses Werkes. Als lehrartiges Historiendrama mag es funktionieren, nicht aber als Oper. Hätte Verdi etwa für seinen Don Carlo(s) nicht Schillers Drama als Vorlage gewählt, sondern auf die historischen Quellen zurückgegriffen, dann wäre seine Oper wahrscheinlich sang- und klanglos der Vergessenheit anheimgefallen. Die Oper gehorcht eben völlig anderen Regeln als das Schauspiel. Als Opernzuseher erwartet man auch bei einer historischen Vorlage eine Katharsis, die durch eine dramaturgisch ausgewogene Bearbeitung und Belebung des ohnehin schon hinlänglich bekannten Stoffes eigentlich hätte möglich sein sollen.

Der Komponist Leitner wiederum orientiert sich an großen Vorbildern: Ein Bänkelsänger führt an Stelle einer Ouvertüre ähnlich Kapitän Edward Fairfax Vere in Brittens Oper „Billy Budd“ in die Geschichte ein. Eine Drehleier im Orchester suggeriert Tanzmusik der Renaissance. Hierauf tritt der kommentierende Chor wie im antiken Drama auf. Musikalisch betrachtet lässt Carl Orff hier grüßen. Durch das „Frankenburger Würfelspiel“ werden die Bauern erst recht aufgestachelt, denn sie können nun nichts mehr verlieren, wobei der Komponist hier Brahms „Deutsches Requiem“ zitiert. Zellers Hof geht in Flammen (Video: Philipp Contag-Lada) auf. Ein gewaltiger Chor beschließt den aus acht Szenen bestehenden ersten Akt.

Der Beginn des zweiten Aktes scheint musikalisch festgefahren zu sein. In den nun folgenden fünf langatmigen Szenen erfahren wir, dass die katholischen Truppen geschlagen werden konnten und die „neuen“ Herren den Verführungen des Machtrausches erliegen und sich in Fress- und Sauforgien ergehen. Uneinigkeit herrscht zwischen den Bauernführern, ob der festgefahrenen Belagerung von Linz. Fadinger wird zum „Bauernopfer“ und man entledigt sich seiner, indem man ihm eine Salbe gibt, die „unverwundbar“ machen soll. Der Tölpel glaubt das natürlich und wird, als er sich zu nahe an die „Pappenheimer“ Herberstorffs heranwagt, angeschossen und tödlich verwundet. Hierauf folgt eine Reihe von – dramaturgisch betrachtet – zu vernachlässigenden Aktschlüssen. Zeller und Wiellinger werden hingerichtet, Crisam und die von der Vergewaltigung schwangere Cilli verabschieden sich von ihren toten Gatten und fliehen von der siegreichen katholischen Macht vertrieben ins Exil. Ein an Bach orientierter Choral beschließt endlich die Oper mit einem Ausblick auf die nun folgenden Zeiten.

Das Bruckner-Orchester, mit großer Bläser- und Schlagwerksbesetzung ausgestattet, sorgte unter Takeshi Moriuchi für einen prallen, rhythmischen Klang. Florian Parbs stellte den Aufriss eines zweigeschossigen Hauses in die Bühnenmitte. Die Kleidung der Bauern ist modern, die Töchter Fadingers tragen prseudobäuerliche Kleidchen mit kleinen Teddybärchen. Der Chor tritt uniform gekleidet auf, wodurch man wohl allen erdenklichen Klischees auszuweichen versuchte.

Der gewaltige Chor samt Extrachor war von Georg Leopold und Martin Zeller gewohnt bestens einstudiert. 

Martin Achrainer  konnte in der Titelrolle als Stefan Fadinger mit seiner überragenden Bühnenpräsenz und gut geführtem, wohltönenden Bariton die seelische Gespaltenheit des Helden anschaulich illustrieren. Iurie Ciobanu stattete Christoph Zeller mit kräftigem Tenor aus und Matthias Helms ergänzte noch vorzüglich mit seinem starken Bariton in der Rolle des Achatz Wiellinger. Als beständig erwies sich auch der leuchtende Sopran, mit dem Gotho Griesmeier Fadingers Gattin Crisam ausstattete. Mit stimmlich einwandfreiem Mezzosopran gestaltete Martha Hirschmann die Rolle von Zellers Gattin Cilli. Und auch die beiden Töchter von Fadinger (Tabea Mitterbauer und Karoline Köller) ergänzten gesanglich prächtig, obwohl keine von ihnen bäuerliche Herkunft erkennen ließ. Das mag auch daran liegen, dass Regisseur und Ausstatter die Handlung in die prüden 60er Jahre des 20. Jhd. verlegten und der spießig mit Anzug und Krawatte bekleidete Fadinger damit auch insgeheim gegen das einengende Korsett des protestantischen Familienideals revoltiert.  

Interessant ist die Besetzung des Bösewichts Graf Herberstorff mit dem Countertenor Daniel Lager. Franzobel zeichnete ihn  als einen selbstverliebten, sensiblen und eitlen Bonvivant, für den der klassische Bass-Bösewicht kein adäquates Stilmittel gewesen wäre. Seine androgyne Erscheinung, hätte in einer etwas ausgeklügelteren Regie wohl auch eine zarte Homoerotik in der Begegnung mit Fadinger zugelassen.

Wenn Franz Binder in der Rolle des Gallus Putschögl als giftiger Zwerg auf Knien daher rutschen muss, dann erinnert diese Szene natürlich an Adolf Dresens Inszenierung von Zemlinskys „Der Geburtag der Infantin“ an der Staatsoper  Hamburg 1983, in der sich Kenneth Riegel als „Zwerg“ ebenso bewegen musste.

Jacques le Roux gefiel mit durchschlagendem Tenor als komödiantischer Hofmeister Lochinger.

Hans-Günther Müller hatte als Bänkelsänger Melchior nicht viel mehr als den Prolog und Epilog der Oper, größtenteils vom Dachboden des bühnenmittigen Hauses, zu gestalten.

Eugen Fillo und Ville Lignell traten als Brüderpaar während des Frankenburger Würfelspiels auf, und Bonifacio Galván, Markus Schulz und Ulf Bunde erfüllten noch ihre hehre Bühnenpflicht als drei Landsknechte.

Höflicher Applaus bedankte Chor und Orchester, von den Protagonisten erhielten Gotho Griesmeier, Martin Achrainer und Daniel Lager den stärksten Beifall.                                                           

 Harald Lacina

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