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IM AUGUST IN OSAGE COUNTY

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FilmCover Osage County

Ab 7. März 2014 in den österreichischen Kinos
IM AUGUST IN OSAGE COUNTY
August: Osage County  /  USA  /   2013
Regie: John Wells
Mit: Meryl Streep, Julia Roberts, Juliette Lewis, Sam Shepard, Benedict Cumberbatch, Chris Cooper, Ewan McGregor u.a.

“Familie” ist eines der ewigen Themen der Literatur – Kunststück, dazu hat ja fast jeder Mensch (wenn er nicht als Kinderklappe-Unglückswurm im Waisenhaus aufgewachsen ist) aus eigener Erfahrung eine Menge beizusteuern. Und in den allerseltensten Fällen sind die Dinge mit Eltern, Geschwistern und Verwandten (oder, wenn man dann selbst schon „Eltern“ ist, mit den Kindern und Enkeln) harmonisch verlaufen – wenn auch nicht immer so extrem wie in „August: Osage County“ von Tracy Letts – trotz des uns weiblich anmutenden  Vornamens ein Autor, ein noch nicht fünfzigjähriger Amerikaner, der 2008 mit diesem Stück einen Welterfolg landete, der auch in Wien zu sehen war (davon später).

Natürlich wirken die Dinge auf der Bühne und letztlich auch auf der Filmleinwand am besten, je schärfer man die Charaktere konturiert, je effektvoller man Menschen miteinander konfrontiert und zusammen krachen lässt, je finsterer die Geheimnisse sind, die man sich ausdenkt. An all dem herrscht kein Mangel. Wenn die verwitwete Violet Weston nach dem unerwarteten Tod des Gatten (Sam Shepard) ihre drei Töchter samt Anhang und ihre Schwester mit Gatten und Sohn zu den Trauerfeierlichkeiten nach Osage County zitiert (= irgendwo verloren in Missouri, man würde hierzulande sagen: der A der Welt), dann geht es über kurz oder lang wüst zu. Eigentlich gar nicht so sehr wegen des Geldes (um das es bei Begräbnissen ja immer geht), obzwar auch dieses zur Sprache kommt, als wegen der Verschiedenheit der Charaktere und Weltanschauungen – und wegen allem, was man sich so im Lauf der Jahre vorzuwerfen hat.

Süffiges Schauspieler-Kino, vom Autor selbst gewaltig gekürzt auf die Leinwand gebracht, und wenn die berühmtesten Damen des Films (Streep, Roberts) die  „Oscars“ auch nicht heimtragen konnten, verdient haben sie die Nominierungen allemale. Regisseur John Wells brauchte sie alle (und es ist durchwegs eine Meisterbesetzung) nur in Bewegung setzen – sie laufen von selbst, zumal sie Rollen haben, in denen man überzeugen kann.

Über das „Wunder Meryl Streep“ wird man als Filmkritiker (und als Mensch, der sich speziell für Schauspieler, ihre Möglichkeiten und ihre Leistungen interessiert) nicht müde, stets von neuem in Bewunderung auszubrechen über ihre konkurrenzlose Vielseitigkeit und Wandlungsfähigkeit, die ihr kaum jemand nachmacht: Jeder Film ein gänzlich anderer Mensch, nie „die Streep als…“, sondern stets die Figur, die sich Meryl Streep geborgt hat, um zum Leben zu erwachen…

Da hat sie gerade erst 2012 als „eiserne Lady“, die perfekt föhnfrisierte Margaret Thatcher, ganz Haltung und eisige Überheblichkeit, ihren dritten „Oscar“ bekommen, nun spielt sie (es ist übrigens ihre 18. Nominierung) eine alte Vettel mit verschiedenen Perücken, tablettenabhängig, vollkommen rücksichtslos ihrer Mitwelt gegenüber, erschreckend bösartig – und dennoch steigt im Lauf des Films beim abgestoßenen Betrachter die Erkenntnis hoch, wie man so werden konnte… Was der Meisterlichkeit, mit der die Streep menschliche Scheußlichkeit glaubhaft macht, keinen Abbruch tut.

AUGUST: OSAGE COUNTY 
Foto: Tobis Film

Der von keinerlei Menschlichkeit und Anstand gebremsten Mutter steht vor allem die älteste Tochter gegenüber: Julia Roberts, die nun wirklich zur Charakterspielerin wird. Diese Barbara ist in sich erstarrt in der politischen Korrektheit der Anständigen, einer jener aufrechten, aber verkniffenen Menschen, die es mit sich und mit denen es die anderen so schwer haben. Als ihr mehr oder minder Ex-Mann ist Ewan McGregor ganz der vertrocknete College-Professor, der scheinbar gar nichts mehr aushält – und versucht, sich von der Familie so fern zu halten wie möglich.

Juliette Lewis ist die oberflächliche Tochter, die – wie ihre Mutter – auch von nichts anderem sprechen kann als sich selbst und die sich so in ihre Lebenslügen einlullt, dass sie gar nicht wahrhaben will, wie ihr Gefährte Steve (Dermot Mulroney) ganz schamlos versucht, mit ihrer minderjährigen Nichte Jean (Abigail Breslin) anzubandeln.

Die berührendste Geschichte spielt sich zwischen der mittleren Tochter Ivy (großartig: Julianne Nicholson) und ihrem Cousin Charles („Sherlock“ Benedict Cumberbatch in aller verschreckter Verhaltenheit) ab, die sich lieben – aber weil andere in der Familie nicht ganz korrekt darin waren, wer wessen Bett geteilt hat, wird diese Beziehung unmöglich – und inmitten all des Gekreisches, das sich in der Handlung aufbaut, ist doch klar, dass hier die wahre Tragödie stattfindet…

Mit Chris Cooper in der wunderbaren Rolle des hochanständigen Schwagers (auch so was gibt es hier), der endlich gegen seine bösartige Frau (Margo Martindale ist der  Streep eine erschreckende Schwester) aufbegehrt, hat man die „liebe Familie“ beisammen, die man nicht ungern wieder verlässt, weil die Akkumulation des Unerfreulichen nachgerade ungemütlich ist. Man möchte das Geschehen einfach von sich weghalten, wie es bezeichnenderweise die Indianerin Johanna (Misty Upham) tut, die schweigend den Haushalt erledigt ,Distanz wahrt und nur leise den Kopf zu schütteln scheint…

Und noch etwas: Der Film dauert etwas über zwei Stunden. Als man das zugrunde liegende Stück unter dem Titel „Eine Familie“ Ende 2009 im Akademietheater sah, brauchte Regisseur Alvis Hermanis dafür gute fünf Stunden und hatte für die zentrale Rolle Kirsten Dene. Und trotz der Länge war das Stück, auf den engsten Bühnenraum geballt, noch um einiges spannender als im Kino, wo man gelegentlich aus dem Haus heraus darf… Erkläre das einmal jemand. Oder lag es einfach daran, dass die Geschichte damals neu war – und dass sie an Spannung verliert, wenn man ihre verschlungenen Details kennt?

Dennoch: Wer nicht allzu zart besaitet ist, so dass er am Ende nur deprimiert aus dem Kino schleichen kann, möge sich dieses Darstellerfest geben.

Renate Wagner

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