WIEN / Albertina:
ZWISCHEN DÜRER UND NAPOLEON
Die Gründung der Albertina
Vom 14. März 2014 bis zum 29. Juni 2014
Leben und sammeln
Man nimmt die „Albertina“ viel zu selbstverständlich. Es gibt sie, die – wie es allgemein heißt – größte Graphische Sammlung der Welt, und wir haben sie. Aber wieso? Diese Frage stellt sich eine neue Ausstellung, die auf der kulturhistorischen Ebene dem Gründerpaar so huldigt, wie es ihnen (Herzog Albert von Sachsen-Teschen und seiner Gattin, Erzherzogin Marie Christine von Österreich) zukommt. Außerdem gibt es die Möglichkeit, wieder einmal, nach langer Zeit, die weltberühmten Originale zu sehen – voran den „Feldhasen“ von Albrecht Dürer, das ultimative Glanzstück der Sammlung.
Von Renate Wagner
Albert von Sachsen-Teschen (1738-1822) In den Herrscherhäusern Europas waren auch zweite und dritte Söhne wichtig, gewissermaßen als „Reserve“, wenn die Thronprätendenten vorzeitig starben. Da ist oft genug ein zweiter Sohn in die Bresche gesprungen. Aber die danach geborenen waren letztendlich nur Ballast und dynastisch „nichts wert“. So wie Albert von Sachsen, sechster Sohn von August III, König von Polen aus dem sächsischen Haus der Wettiner, und Maria Josepha, geborene Erzherzogin von Österreich. (die übrigens eine Cousine ersten Grades von Maria Theresia war – die Väter der beiden waren Brüder). Normalerweise schob man solche Söhne in den Klerus ab, aber Albert zog das Militär vor. Sein Weg führte an den Hof der Habsburger, und dort verliebte er sich in seine Cousine zweiten Grades, Erzherzogin Marie Christine.
Albert und Marie Christine (Fotos: Albertina)
Erzherzogin Marie Christine (1742-1798) Sie war die Lieblingstochter ihrer Mutter Maria Theresia, die sie geschickt um den Finger wickeln konnte, und war folglich bei den Geschwistern nicht sehr beliebt. Tatsächlich hat Marie Christine in der Habsburgischen Geschwisterschar keine gute Presse – ihre Schwestern, wenn sie hübsch genug waren, mussten ungefragt dynastische Ehen mit wenig wünschenswerten Männern eingehen. Marie Christine hingegen bekam ihren nur vage standesgemäßen und keinesfalls begüterten Albert, und sie, die bei der Eheschließung ihren Status als Erzherzogin des Hauses Habsburg beibehielt, sicherte sowohl Alberts Karriere wie seinen Wohlstand. Und sie brachte in die Ehe ein besonderes Talent für Zeichnen und Malen mit: Hofmaler Meytens porträtierte die Achtjährige, als sie gerade zeichnete, und abgesehen von Kopien berühmter Werke schuf sie auch eigenständig Genreszenen, die bemerkenswert „lebendig“ sind und von echtem Talent zeugen.
Eine glückliche Ehe Dass Albrecht von Sachsen seiner Ehe mit Marie Christine alles verdankte, das Herzogtum Teschen, das sie beide zur Hochzeit bekamen, seine Stellungen erst in Ungarn, dann (gemeinsam mit ihr) die bedeutende eines Statthalters der Niederlande, dass er schließlich als Witwer in Wien von ihrem Vermögen lebte und sammelte – diese Ungleichheit hinderte die beiden nicht, ein ungewöhnlich glückliches Paar zu sein. Die Ausstellung in der Albertina entwirft ihren gemeinsamen Weg durch alle Stationen, wobei die Rolle Marie Christines als Sammlerin zu ihren Lebzeiten sicher gleichwertig neben der ihres Mannes anzusetzen ist.
Blick in die Ausstellung (Foto: Wagner)
Der feudale Alltag zweier Intellektueller Die Albertina-Ausstellung, die sich unter dem Dach in den Kahn Galleries schier endlos, aber bemerkenswert gegliedert hinzieht, funktioniert – souverän ausgestattet – auf zwei Ebenen. Zu Beginn geht es lange um das Paar Albert & Christine, beginnend mit den Schauplätzen ihrer jeweiligen Jugend, Dresden und Wien. Die Hochzeit, von den Wienern als „Bettlerhochzeit“ verspottet, war keine solche, Maria Theresia ließ sich nicht lumpen, und im Lauf der Ausstellung ist es gelungen, durch Leihgaben aus aller Welt Gegenstände des täglichen Lebens – unerhörter Luxus in Porzellan und Möbeln vor allem – zurückzuholen, die einen Eindruck vom feudalen Lebensstil des Paares geben. Das widerspricht jedoch keinesfalls einer geistigen Aufgeschlossenheit, die beide zeigten und die sich nicht nur an Alberts Zugehörigkeit zu den Freimaurern ablesen ließ, sondern auch aus einer Riesenbibliothek von etwa 25.000 Bänden, die nach dem Ersten Weltkrieg „verloren“ ging, die man nun partiell zu rekonstruieren versuchte – und welcher der Direktor der Albertina besonders nachweint… Denn der gebildete und wissbegierige Albert interessierte sich für alles, ob Literatur oder Wissenschaft, und „Aufklärung“ war hier kein leeres Wort, sondern gelebte Identität.
Schröders Traum von Alberts Bibliothek (Foto: Wagner)
Von Maria Theresia bis Napoleon Vor allem Albert durchschritt in seiner Lebenszeit eine lange Periode der Umbrüche. Er kam aus einer Welt barocker Bombastik und starb im „Biedermeier“ des Kaisers Franz. Vor allem in den Jahren, als er und Marie Christine als Statthalter in den Österreichischen Niederlanden präsidierten (und jenes Schloß Laeken bewohnten, das die belgische Königsfamilie noch heute benützt), haben die beiden große Teile ihrer sensationellen Sammlung von Zeichnungen und Stichen zusammen getragen. Was nach ihrer „Grand Tour“, der vielmonatigen, kunst-trunkenden Italienreise begann, setzte sich mit Leidenschaft, Unermüdlichkeit und hoher Könnerschaft lebenslang fort. Wobei allerdings das berühmteste Stück von Alberts Sammlung, Dürers „Feldhase“, nicht direkt von ihm erworben wurde: Ihn hatte er bei Kaiser Franz I., dem Neffen seiner Gattin, gegen andere Werke eingetauscht… Den Bogen bis Napoleon spannt dann Erzherzog Karl, der Neffe Marie Christines, den sie – selbst kinderlos – adoptierte, damit ihr gewaltiges persönliches Vermögen im Hause Habsburg blieb. Karl war der Feldherr, der in der siegreichen Schlacht von Aspern an der angeblichen Unbesiegbarkeit Napoleons kratzte. Von diesem gibt es einige Devotionalien, darunter einen seiner berühmten Hüte…
Die Sammlung: gerettet für Wien Klaus Albrecht Schröder, der sehr glückliche Direktor des Hauses, ging bei der Pressekonferenz ausführlich der Frage nach, wie viele Zufälle zusammen kommen mussten, damit diese Sammlung nicht nur entstand, sondern auch bis heute ungeschmälert in Wien zu sehen ist. Wäre die Französische Revolution nicht ausgebrochen (der Marie Christines Schwester Marie Antoinette, Königin von Frankreich, zum Opfer fiel), wären Albert und seine Frau nicht aus den Niederlanden geflohen (wobei eines von drei Schiffen, die sie voll beladen nach Hamburg schickten, im Kanal kenterte – ungeheure Verluste sind zu beklagen), wären die Schätze vielleicht heute in Brüssel. Wäre Marie Christine nicht Angehörige des Hauses Habsburg geblieben, hätte man sie ungerührt nach Dresden, zur Familie des Gatten, geschickt, und die Sammlung wäre vermutlich dort. Und hätte Albert nicht vor seinem Tod seine Sammlung graphischer Blätter in einen unantastbaren Familienfonds umgewandelt, die Werke wären vielleicht in alle Welt verstreut, wie es mit seinem restlichen Besitz geschehen ist (nur das Palais, dessen Dokumentation auch ein eigener Raum gewidmet ist, blieb bestehen). Wie durch ein Wunder ist der Fond auch nach der Monarchie immer respektiert worden, und so blieb diese „Graphische Sammlung“ im Palais des Erzherzogs, der Albertina, bis heute erhalten…
Rubens’ Zeichnungen von seinen Kindern (Foto: Wagner)
Ein Hase und viel mehr In mehreren eigenen, eigens abgedunkelten, großzügig gestalteten Räumen wird der historisch-biographische „Zug“ durch das Geschehen unterbrochen und die reine Kunstschau beginnt: Da sind die großen Meister der Renaissance, Leonardo, Michelangelo, Raffael, da finden sich dann – in einem tiefgrün tapezierten Saal – von Dürer nicht nur der „Feldhase“, sondern auch seine „Betenden Hände“, der „Flügel einer Blauracke“, der Blick in den Hof der Innsbrucker Burg, das Bildnis eines 93jährigen nebeneinander, so wie ein paar Räume später die zauberhaften Zeichnungen von Rubens Kindern hängen. Albert meinte, 141 Zeichnungen von Rembrandt erworben zu haben, die strenge Nachwelt hat sortiert, 40 eigenhändige davon gelten als gesichert, man sieht u.a. den legendären Elefanten und die junge Frau, die frisiert wird. Die Parade der allerersten Namen der Kunstgeschichte findet schier kein Ende, auch weil Albert sich glücklicherweise nicht spezialisierte, ob Italiener, Deutsche, Niederländer, Franzosen – er erwarb, was hochwertig war.
Kanalisierte Fülle Wahrscheinlich ist es anzuraten, die Ausstellung zweimal zu besuchen, damit man sich einmal auf die Meisterwerke konzentrieren kann. Es gibt zwar zu beiden Teilen der Ausstellung geradezu hervorragende Kataloge (Preis für beide: 60 €), aber gerade bei den Kunstwerken ist klar, dass die Möglichkeit, den Originalen zu begegnen, unbedingt intensiv genützt werden sollte – denn diese ist ja nicht so häufig gegeben.
Bis 29. Juni 2014, täglich 10 bis 18 Uhr, Mittwoch bis 21 Uhr