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ESSEN/ Aalto-Theater: DIE FRAU OHNE SCHATTEN – Abschiedsvorstellung von Stefan Soltesz

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ESSEN: DIE FRAU OHNE SCHATTEN. Abschiedsvorstellung von Stefan Soltesz am 21. Juli 2013

 „Nun will ich jubeln, wie keiner gejubelt“. Mit diesen Worten stimmt Barak in „Frau ohne Schatten“ die Finalszene der Oper an. Für zwei Aufführungen wurde dieses Werk, welches 1998 am Essener Aalto-Musiktheater in einer malerisch-statischen Inszenierung FRED BERNDTs Premiere hatte, nach etlichen Wiederaufnahmen in den vergangenen Jahren nochmals auf den Spielplan gesetzt. Man darf dahinter einen persönlichen Wunsch von STEFAN SOLTESZ vermuten, denn nach 16 Jahren als GMD und Intendant in Personalunion sollte es wohl ein besonders starker Abgang sein. Obwohl immer die Vielseitigkeit dieses Dirigenten (nota bene auch mit Sympathie für die Operette) hervorgehoben wird, sind es doch vor allem zwei Komponisten, die ihn reiz(t)en: Wagner und Strauss. Letzterer wurde in Essen sogar mit Daphne“ und „Ägyptische Helena“ berücksichtigt.

 Stefan Soltesz bezeichnet sich als Fan von „Frau ohne Schatten“. Er brachte auch diesmal das Wohlklängige der Musik zu intensivem Farbglühen und wuchtete die Keikobad-Akkorde mächtig auf. Das Orchester leuchtete. Da der Spieler der Glasharmonika im 3. Akt auf der Seitenbühne postiert war, konnte man den Einsatz dieses höchst seltenen Instruments einmal wirklich akribisch verfolgen. Soltesz bei seinem gestisch prägnanten, dabei stets feinfühligen Dirigat zu beobachten, war ein eigener Genuss. Der Youtube-Mitschnitt einer Konzertaufführung durch das Essener Ensemble 2010 in Garmisch-Partenkirchen lässt das vielleicht ein wenig nachvollziehen.

 Etliche Premierensänger waren noch dabei. SILVANA DUSSMANN bot die heiklen Auftritts-Staccati der Kaiserin ausgesprochen locker und ließ ihre vielen Kantilenen nur so dahin gleiten; JEFFREY DOWD, weiterhin unverzichtbarer Tenorrecke am „Aalto“, war als Kaiser neuerlich imponierend. HEIKO TRINSINGER, ALMAS SVILPA und RAINER MARIA RÖHR verkörperten Baraks lärmende Brüder, MARCEL ROSCA – erkennbar ein Publikumsliebling – hatte für den Geisterboten immer noch eine imposante vokale Statur. Die Färberin wäre als Charakter sicher etwas differenzierter vorstellbar als wie bei CAROLINE WHISNANT, aber die Sängerin vermochte eine bestechend gleißende Stimme ins Feld zu führen. Die stärksten Eindrücke indes: DORIS SOFFEL als fast brünnhildenhafte Amme und FRANZ GRUNDHEBER (76), der als Barak mit seiner baritonalen Potenz noch so manchen jungen Kollegen aus dem Felde schlägt. Besonderer Beifall galt natürlich Stefan Soltesz, der sich nach der Vorstellung im Foyer mit einer kurzen, unsentimentalen Ansprache von seinem Publikum verabschiedete. Als Gast wird er dem Hause verbunden bleiben.

 Ein Rückblick …Wie weit auch Lust an der Macht im Spiele war, dass Stefan Soltesz gut anderthalb Jahrzehnte an ein und demselben Ort wirkte, bleibe einmal dahin gestellt. In erster Linie dürft ihn das Doppelamt aus künstlerischen Gründen gereizt haben. Es gibt einen Interviewsatz von Soltesz, der sein „Ego“ am konzentriertesten spiegelt: „Ich bin hauptberuflich Dirigent, aber in erster Linie Theatermensch.“ Das lässt auch verstehen, warum er als junger Mensch mit dem Gedanken spielte, Schauspieler zu werden. Aber die Weichen wurden schließlich doch in Richtung Musik gestellt.

Wenige Jahre nach der Geburt von Stefan Soltesz (1949) übersiedelte die Familie von Ungarn nach Wien. Hier erhielt Soltesz sehr bald Klavierunterricht, studierte später an der Musikhochschule der Stadt, u.a. Dirigieren bei Hans Swarowsky. Wichtig wurde auch die Mitgliedschaft bei den Sängerknaben. Die Karriere als Kapellmeister begann 1971 im Theater an der Wien, verlief dann über die Staatsoper (samt den obligaten Aufgaben als Korrepetitor) und Gastauftritten in Graz bis zu den Salzburger Festspielen, wo Soltesz Assistent u.a. von Karl Böhm und Herbert von Karajan war. Seine erste GMD-Stelle fand er in Hannover, woran sich eine Tätigkeit an der Flämischen Oper Antwerpen/Gent anschloss. Danach kam Essen.

 In seinem ersten Amtsjahr dirigierte Stefan Soltesz fünf von sieben Produktionen, darunter Ludwig van Beethovens „Fidelio“. Wolf-Dieter Hauschild, bis dahin Chef am Aalto, mochte die provokante Inszenierung von Dietrich Hilsdorf nicht, Soltesz holte sie in den Spielplan zurück. Der Regisseur besitzt in Essen übrigens längst Heimatrecht, seine Arbeiten sind im Laufe der allerdings Jahre milder geworden. Aber das passt durchaus zum Stil des Hauses, denn Soltesz lässt auch die sogenannten „Altmeister“ bei sich arbeiten (Adolf Dresen, Johannes Schaaf, Nikolaus Lehnhoff), obwohl er auf der Bühne grundsätzlich gerne für frischen Wind sorgt. „Nach meiner Erfahrung wurde gerade die Opernszene am pfiffigsten und nachhaltigsten von Quereinsteigern befruchtet.“ Ein solcher war Stefan Herheim nun gerade nicht, gleichwohl ein extrem unorthodoxer Deuter (Bellinis „Puritani“ sowie Mozarts „Don Giovanni“, in Sonderheit zugeschnitten auf die Zerlina der reifen Helen Donath). Auch „Provokateure“ der älteren Generation (Hans Neuenfels, Peter Konwitschny) haben bei Soltesz gearbeitet. Noch bei seiner letzten Premiere am Aalto, Wagners „Parsifal“, unterstrich der Intendant sein künstlerisches Credo mit der Wahl Joachim Schlömers als Regisseur.

 Einmal in all den Jahren sah sich Stefan Soltesz genötigt, im Rahmen der allseits grassierenden Finanzkrise das Wort zu ergreifen. Das war 2010. Einer seiner Vorwürfe lautete, dass die Politik „künstlerische Betriebe [allzu sehr] mit kommerziellen Unterhaltungsstätten“ verwechsle und einen „unmittelbaren Zusammenhang zwischen Kulturförderung und Haushaltskrise“ suggeriere. Doch längst steht die Oper in Essen wieder blendend da. Das optisch ungemein attraktive Aalto-Haus (akribisch gebaut nach den ursprünglich schon begrabenen Plänen des finnischen Architekten Alvar Aalto, 1898-1976) kann auf eine kontinuierlich hohe Platzausnutzung verweisen. Das mag weitläufig auch damit zusammenhängen, dass das Publikum mit zeitgenössischem Musiktheater nicht über Gebühr konfrontiert wird. Doch immerhin: bei herausragenden Produktionen in diesem Bereich stand Soltesz persönlich am Pult: Bergs „Wozzeck“ und „Lulu“, Reimanns „Lear“ und Christian Josts „Arabische Nacht“. Diese Uraufführung holte sich Regisseur Anselm Weber 2008 als damaliger Schauspielintendant in den Grillo-Bau, wo die Oper früher einmal beheimatet war.

 Die Arbeit von Stefan Soltesz in Essen erfreute sich nicht nur extremer Publikumsgunst (auch von Zugereisten), sondern schlug sich auch in Höchstbewertungen durch die Presse nieder. Immer wieder erhielten Aufführungen, Sänger, die Essener Philharmoniker und nicht zuletzt Soltesz selber „Best“-Noten. Solche Qualitätsspitze konnte freilich nur durch harte Arbeit erreicht werden, was naturgemäß nicht immer in einer entspannten Probenatmosphäre vonstattenging. Soltesz weiß selber um sein mitunter etwas cholerisches Temperament: „Um es mit dem großen George Szell zusagen: Du kannst kein guter Dirigent sein und zugleich ein netter Kerl.“ Nun denn, das ist ein weites Feld. Relevant für den Musikfreund ist letztlich die künstlerische Leistung, und die war in all den Soltesz-Jahren durchwegs exemplarisch (wobei die Konzertauftritte in der dem Aalto benachbarten Philharmonie an dieser Stelle nicht einmal beleuchtet werden konnten).

 Attraktiv am Essener Theater war stets das Sängerangebot. Soltesz zog sich ein wunderbares Ensemble heran. Pars pro toto und quer durch die Stimmlagen: Zsuzsanna Bazsinka, Ildiko Szönyi, Jeffrey Dowd, Károly Szilágyi, Marcel Rosca. Hinzu kamen für spezielle Partien namhafte Sänger. Die bereits erwähnte Helen Donath gab nicht nur die Zerlina, sondern darüber hinaus die Aithra in der „Ägyptischen Helena“ an der Seite von Luana DeVol, die auch als Elektra, Färberin und – eigens für Essener Konzertaufführungen einstudiert – Bellinis Norma er erleben war (diese Partie übernahmen auch Karine Babajanian, Michèle Crider und Iano Tamar). Bei Wagners Sachs wechselten sich Franz Hawlata, Wolfgang Brendel, Oskar Hillebrandt, Jan-Hendrik Rootering und Wolfgang Schöne ab. Man könnte seitenlang fortfahren.

 Obwohl Stefan Soltesz durchaus Gastspiele annahm und auch häufig im Plattenstudio arbeitete: sein Stammhaus ging ihm vor. Seine Dauerpräsenz am Pult der Essener Philharmoniker war nachgerade unglaublich. Anders hätte die von ihm angestrebte Qualität aber auch kaum gehalten werden können. Und nicht zuletzt dieses hohe Arbeitsethos dankt man Stefan Soltesz. Es wird schwer fallen, sich das Essener Musikleben künftig ohne ihn vorzustellen.

 Christoph Zimmermann

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