Drew Sarich (Molina) und Ann Mandrella (Aurora/Spinnenfrau). Foto: Bühne Baden/Lukas Beck
BADEN / Stadttheater: KUSS DER SPINNENFRAU von Terrence McNally, John Kander und Fred Ebb
18. August 2019 (Premiere 3. August 2019)
Von Manfred A. Schmid
Mit dem Musical Cabaret, das demnächst als erste Premiere die Herbstsaison an der Volksoper eröffnen wird, hatten sie 1966 ihren ersten großen Erfolg gelandet. 1992 gelang dem genialen Duo John Kander (Musik) und Fred Ebb (Liedtexte) mit Kuss der Spinnenfrau ein weiteres, mit sieben Tony-Awards ausgezeichnetes Meisterwerk. Die Neuproduktion dieses Stücks durch die Bühne Baden bietet noch bis Ende August ein fulminantes und ob seiner politischen Brisanz ungemein berührendes Musiktheatererlebnis.
Das ist – neben dem grandios gebauten Stück nach dem Buch von Terrence McNally und nach einer literarischen Vorlage von Manuel Puig – vor allem der exquisiten Besetzung der Hauptrollen und der packenden Regie von Werner Sobotka geschuldet. Wie es Sobotka gelingt, das stete Hinüber-Kippen aus der brutalen Realität in einem lateinamerikanischen Gefängnis zur Zeit der Diktatur in eine cineastische Traumwelt, in der der homosexuelle Molina Zuflucht sucht, auf die Bühne zu bringen, zeugt von großem Einfühlungsvermögen und perfekter Beherrschung der Möglichkeiten, die das von Karl Fehringer und Judith Leikauf kongenial geschaffene Bühnenbild bietet. Die Kerkerzelle, die der unpolitische Schaufenstergestalter Molina, der wegen Verführung eines Minderjährigen inhaftiert worden ist, mit dem Polithäftling Valentin teilt, verwandelt sich in Handumdrehen in den Gefängnishof, in dem die Häftlinge, von den Wächtern drangsaliert, ihre Runden drehen (Choreographie Natalie Holtom). Der Hof dient aber auch als Folterkammer, in der die grausamen Verhöre stattfinden. Auf einer zweiten, darüber gelegenen Ebene finden die furchteinflößenden Auftritte des Gefängnisaufsehers (Franz Josef Koepp) statt. Ein gerissener, skrupelloser Bürokrat, der Molina mit Gewaltanwendung und falschen Versprechungen – vergebens – dazu überreden will, Valentin die Namen seiner Mitverschwörer zu entlocken und ihm zu verraten.
Zugleich handelt es sich hier aber auch um eine metaphysische Ebene, denn sie bietet Platz für eine Showtreppe, auf der die Auftritte der geheimnisvollen, von Molina inbrünstig verehrten Filmschauspielerin Aurora stattfinden. Eine Diva, die sich schließlich als die ebenso gefürchtete wie heiß ersehnte, mit ihrem Kuss den Tod und Erlösung bringende Spinnenfrau entpuppt. Mit der aus Frankreich stammenden Ann Mandrella als Filmdiva und Todesengel ist für diese magische Figur eine Idealbesetzung mit imponierender Bühnenpräsenz gefunden. Wann immer sie auftritt, hält man den Atem an. Und von Mal zu Mal wird auf ihrem schwarzen Kleid (Kostüme Friederike Friedrich) die Kontur eines Spinnennetzes – und damit das unausweichlich fatale Ende – sichtbarer.
Der Amerikaner Drew Sarich ist – wie seine Ehefrau Mandrella – eine internationale Größe in der Musicalszene. Was dieser Mann schon alles verkörpert hat, ist in seiner Vielfalt ziemlich einzigartig. Als tuntig-sanfter, überaus sympathischer Molina gelingt ihm eine wunderbare Zeichnung dieser komplexen Figur, und man versteht, warum sich der vierschrötige, mit beiden Beinen auf der Erde stehende Valentin (intensiv und eindrucksvoll Martin Berger) auf Dauer dem Charme und der bezwingenden Offenheit und Ehrlichkeit seines Zellengenossen nicht entziehen kann.
Andrea Huber als Molinas Mutter porträtiert eine liebende Mutter, die ihren Sohn so nimmt und akzeptiert, wie er ist. Ihre Begegnung, nachdem Molina vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen worden war, um seine kranke Mutter, die ihn früh als Kartenabreißerin in die Zauberwelt des Kinos eingeführt hat, wiederzusehen, gehört zu den berührendsten Szenen des Abends. Wie Valentin versprochen, ruft er danach dessen Freundin an, um ihr zu melden, dass ihr Geliebter noch lebt. Doch Marta (Elisabeth Ebner), die einer höheren Gesellschaftsschicht angehört, zeigt längst kein Interesse mehr an dessen Schicksal und wimmelt ihn ab. Molina wird wieder inhaftiert, um ihn zur Preisgabe der Namen der Kontaktpersonen aus Valentins politischem Umfeld zu zwingen. Über sich hinauswachsend, weigert er sich, und die Schergen – und in ihrem Gefolge auch die Todesgöttin – walten ihres Amtes.
Die Musik von John Kander setzt auf lateinamerikanische Rhythmen, präsentiert aber, in den beklemmenden Gefängnisszenen, auch harte, hämmernde und schrill dissonierende Klänge, die dann, in den Episoden der Entrückung aus dem tristen Geschehen, von einschmeichelnden Anklängen an romantische Filmmusik wirkungsvoll kontrastiert werden. Das Orchester der Bühne Baden unter der Leitung von Christoph Huber wirkt sehr präsent und trägt – wie das ganze Ensemble aus Gefangenen und Gefängniswärtern sowie der Chor – zum großen Erfolg der Aufführung bei. Das Publikum im dicht besetzten Zuschauerraum bedankt sich stehend mit begeistertem Applaus.
Manfred A. Schmid
18.8.2019