Stephen Gould, Elena Zhidkova, Manni Laudenbach. Foto: Enrico Nawrath/ Bayreuther Festspiele
Bayreuth: Tannhäuser 21.8.2019
Bei der Neuinszenierung Tannhäuser hatte Tobias Kratzer eine originelle Idee und rückte damit Wagners frühe Oper, die auch in der Dresdener Fassung 1845 gespielt wird, fast in die Nähe einer Komischen Oper, wie sie sonst nur die ‚Meistersinger‘ sind, zumindest von den Festspiel-würdigen. Das Dirigat übernahm der renommierte Russe Valery Gergiev, der die ersten beiden Akte sehr frisch und flott nimmt, im Dritten aber in eine langsamere Gangart verfällt (besonders in der Romerzählung, die etwas spannungslos gerät), was sich auch in der Regie niederschlägt, die hier an Spritzigkeit verliert. Während des schon in der Dresdener Fassung langen Vorspiels wird ein Video (Manuel Braun) gezeigt. In einem älteren Citroen- Bus fährt eine vierköpfige Circus- oder Aussteigertruppe durch eine waldige Gegend (etwa Thüringer Wald). Ein geschminkter Clown als Tannhäuser, Venus im Glitzerkleidchen (Bühne & Kost. Rainer Sellmaier), dazu Le Gateau Chocolat, ein schwarzer Transvestit und Musiker sowie Oskar (Matzerath), gespielt von dem kleinwüchsigen Manni Laudenbach. An einer Tankstelle bezahlen sie mit einer gefälschten Kreditkarte, ein Polizist stellt sich ihnen beim Abfahren entgegen, und sie überfahren ihn. Dann geht es weiter bis zu einem Holzhäuschen an einem Märchenwald, jetzt auf der Bühne, wo Tannhäuser sich von Venus trennen will, um seine frühere Freundin Elisabeth aufzusuchen. Mit Rucksack stolpert er davon und trifft beim Festspielhaus auf eine Rad fahrende Festspielangestellte alias junger Hirte. Dann kommt eine Gruppe von Bühnenarbeitern vorbei, die plötzlich ihren „Tannhäuser“ wiedererkennen und ins Festspielhaus reinbringen.
Beim 2.Akt ist die Bühne dann zweigeteilt. Oben läuft ein schwarz-weiß-Film, darunter befindet sich eine Ritter- bzw Sängerhalle der Wartburg, sehr getreu aus dunklem Holz nachgebaut, mit Bänken an den Seiten für die Gäste, und in der Mitte parallel dazu ein nach vorne gezogenes Podest für die Sänger, an der Wand eine alte Harfe. Während hier in Sängermontur Tannhäuser Elisabeth auf Vermittlung Wolframs begrüßen kann und der Landgraf darauf die Gäste empfängt, findet im oberen Video eine beispiellose Kaperung des Festspielhauses statt. Die Truppe, die Tannhäuser gefolgt ist, findet es bei der Aufführung natürlich verschlossen. Venus bemerkt aber, daß die Fenster des oberen Balkons geöffnet sind. Sie finden eine Leiter, steigen ein, Venus bemächtigt sich auf dem WC des Kostüms und der Perücke eines Chormitglieds. Inzwischen wird bei Fortgang der normalen Handlung auf der Bühne im Video backstage (wohl live) gefilmt, wie die Solisten und ChorisInnen am Inspizientenpult vorbei auf die Bühne gehen. Wolfram ‚verpaßt‘ fast seinen Auftritt und benötigt eine Sondereinladung des Inspizienten. Inzwischen hat sich Venus in die erste Chorreihe plaziert und mischt dort die Regie auf. Aber auch Gateau Chocolat in einem bauchbetont flauschigen Kleid und Oskar mit seiner Trommel haben sich hineingeschlichen und mischen sich tanzend unter die Sänger auf dem Podest. Das ist von Katharina W. am Inspizientenpult nicht unbemerkt geblieben, und sie telefoniert die Polizei, die gleich mit einer Soko angefahren kommt und die drei auf der Bühne mit Schußwaffen ins Visier nimmt. Ende des 2.Aktes wird aber nur Tannhäuser von den Beamten abgeführt. Der 3.Akt spielt dann auf einem Parkplatz, auf dem der Kleinbus ziemlich demoliert erscheint. Oskar hat sich etwas im Spirituskocher zubereitet und gibt davon auch Elisabeth ab, die sich hier hin verirrt hat. Später taucht auch Wolfram auf, und die beiden lieben sich kurz in dem Reisebus der Truppe. Die zurück gekommenen ‚Pilger‘ weiden diesen genüßlich aus, dann dreht sich die Bühne, und die Vorderseite eines großen Plakats mit Gateau Chocolat mit Bart und die Werbung für eine Armbanduhr taucht stark angestrahlt auf. Während der Romerzählung beharken sich Wolfram und Heinrich mit einem Buch, vielleicht der Fiebel zur Anleitung des freien Lebens, aus dem letzterer die Seiten herausreißt und in einem Eimer verbrennt. Wolfram versuchte vergeblich, das Buch aus den Plastiksäcken Heinrichs zu entwenden. Als die ‚angepaßte‘ Elisabeth gestorben ist, schafft es Tannhäuser aber nicht mehr, zu Venus zurückzukehren.
Manni Laudenbach, Lise Davidsen. Foto: Enrico Nawrath/ Bayreuther Festspiele
Das Orchester spielt auch die intrikaten virtuosen Stellen, die Wagners Frühwerk geradezu auszeichnen, ganz gekonnt bis schmissig. Die Pilgerchöre sind kompakt im Klang, beim Sängerkrieg präzise, und die fugierten und figurierten Passagen „Blick hin du schändlicher Verräter“ sind mit filigraner Virtuosität gemeistert, obwohl Gergiev hier auch eine unerhört flotte Gangart vorgibt. Im 3.Akt kommen die dreimalig aufschäumenden Streicherwallungen gut getimt und der etwas spröde Holzbläsersatz nach Elisabeths Arie ist wie demütig gespielt, auch wenn zum Schluß die Damen fast süßlich Gottes Erbarmen besingen, das kein Spott sei.
Die Edelknaben im Samtkostüm werden von C.Ragg, L.Graham, A.Gutjahr und Elenea Zhidova (sic!) gesungen und heftig gespielt. Den jungen Hirten singt mit duftig feinem Sopran Katharina Konradi. Die Sänger sind tenoral Daniel Behle, der Bariton Kay Stiefermann, Tenor J. Rodriguez-Norton und der Baß Wilhelm Schwinghammer. Den Wolfram gibt mit einzigartigem baritonalem Timbre Markus Eiche, dessen Liebe von Elisabeth hier erwidert wird. Der Landgraf wird autoritativ und mit fast schwarzem Baß von Stephen Milling gegeben. Die Venus singt mit ganz starkem jugendlich dramatisch leidenschaftlichen Sopran Elena Zhidkova, was man dieser schmächtigen Person gar nicht zutrauen würde. Die Rivalin Elisabeth wird mit berückend angenehm timbriertem lyrischem Sopran der Lise Davidsen, einem shootig star, gestaltet. Auch in diesem auf ‚alt‘ getrimmten Sängerkrieg macht sie mit Krönchen und weißer Robe, derer sie sich danach entledigt, gute Figur. Tannhäuser ist Stephen Gould mit seinem durchschlagkräftigen machtvollen Tenor, den er hier als Clown wie als ‚Pagliaccio‘, aber auch als in die Wartburggesellschaft Zurückgekehrter wirkmächtig einsetzt und damit begeistert.
Friedeon Rosén