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BERLIN / Deutsche Oper: ADRIANA LECOUVREUR – konzertante Premiere mit Anna Netrebko

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Anna Netrebko. Foto: Instagram

BERLIN / Deutsche Oper: ADRIANA LECOUVREUR – konzertante Premiere mit Anna Netrebko, 4.9.2019

Ein Opernabend wie viele andere ist es wohl nicht, wenn die glamouröse russische Diva mit der samt-rauchigen Stimme und silbern gleißenden Höhen und der Verismoreißer „Adriana Lecouvreur“ sich nun auch in Berlin zu einem künstlerischen Stelldichein treffen. Anna Netrebko in der Titelpartie, die junge Russin Olesya Petrova als ihre Gegenspielerin Fürstin von Bouillon, Yusif Eyvazof als umschwärmter Maurizio und Alessandro Corbelli als Michonnet stellten das in diesen Rollen überwiegend hocherfahrene vokale Kleeblatt dar. Dirigent Michelangelo Mazza, der 14 Jahre lang Mitglied der Ersten Violinen des Orchesters des Teatro Regio di Parma war, startete seine Dirigentenkarriere erst vor fünf Jahren. Ihn verbindet laut Programmheft eine intensive künstlerische Zusammenarbeit mit dem Ehepaar Netrebko, Eyvazov. Da könnte man ja fast vermuten wollen, wie das Engagement zustande kam. Tun wir aber nicht. 

Festzuhalten ist jedenfalls, dass trotz aller anfänglichen Spannung im Publikum und der Frage, wie Sie denn sein wird, die musikalische Leitung  des Abends viel zu pauschal und grob war. Mazza modellierte mit dem hoch sitzenden, sehr laut aufspielenden Orchester der Deutschen Oper Berlin nicht die vielen kleinen Mikrozellen der Musik wie Genreszenen in einem Gemälde von Breughel, ihren weitgehend kammermusikalischen Duktus, das delikate Ineinander von deklamatorischen und ariosen Passagen der durchkomponierten Partitur heraus, sondern ließ alle dynamischen Feinheiten in einem lauten Einheitsklangbrei untergehen. Erst im vierten Akt waren dann jene Piani und fein gesponnenen Phrasen zu hören, die diese musikalische Stimmungsmusik, die irgendwo zwischen den Verismo-Göttern Puccini und Giordano sowie Cileas großem Vorbild Bellini zu verorten ist, in feine duftige Gaze hüllt. Schade. Denn die Besetzung war auch abseits des Stars in weiten Teilen exzellent.

Ja, also Anna Netrebko war da. In anfangs grün wallendem Kleid mit Glitterstirnband samt Smaragd-Brillantenschmuck erfüllt Netrebko alle Erwartungen eines spektakulären Auftritts. Ihr in der Höhe rund cremiger, in der Tiefe dunkel dräuender Sopran ist so ausgeruht und gesund, wie nur irgend eine Stimme ausgeruht und gesund sein kann. Der „Schauspielerin“ der Comédie Française Adriana Lecouvreur rückte Netrebko mit großer Stimme und großen Gesten bisweilen ganz schön derb zu Leibe. Im ersten Akt nach einem noch etwas unausgeglichenen „Io son l‘umile ancella“ spielte Anna Netrebko ganz sich selbst, outrierte nach Belieben, kein Platz des Orchesters war da vor ihr sicher. Ihr „Regisseur“ im Stück, Michonnet, war bei Altmeister Alessandro Corbelli in besten Händen. Corbelli, der auch nach 45 Bühnenjahren einen noch immer exzellent fokussierten Charakterbariton sein Eigen nennen darf, ist der einzige in der Besetzung, der auch die vielen kleinen Parlandophrasen á la Gianni Schicchi zu einem akustischen Vergnügen werden ließ. Es muss da wohl so etwas wie eine Dramaturgie/Halbregie gegeben haben (auf dem Programmzettel ist Sebastian Hanusa vermerkt), denn die Protagonisten standen nicht nur einfach vor ihren Pulten (Netrebko, Eyvazov und Corbelli sangen ohne Noten), sondern spielten das Stück in halbszenischer Manier, Veilchenstrauss und Schlüssel als Requisiten inklusive.

Den sogenannten Fähnrich des Herzogs von Sachsen (in Wirklichkeit ist er der Herzog selbst), also den heißblütigen Maurizio sang Yusif Eyvazov. Verwandtschaftliche Verhältnisse werden an dieser Stelle nicht wiederholt, denn er hat es schlicht und einfach nicht mehr notwenig. Für mich ist Eyvazov die große Überraschung des Abends. Da hat einer gewaltig an seiner Stimme gearbeitet. Haben mich früher das Flackern und der Hochdruck im Vortrag gestört, so überzeugt Eyvazov diesmal mit ruhiger Stimmführung – eine exzellente Gesangstechnik und einen robuste, höhensicheren Tenor hatte er ja immer – lupenreiner Intonation und untadeliger italienischer Phrasierung. Natürlich ist sein (hartes) Timbre, so wie es ist, und ein großer Charismatiker auf der Bühne wird der Aserbaidschaner wohl auch nicht mehr werden. Aber Eyvazov ist ein grundsolider, seriöser Sänger, der noch die Kunst des Pianosingens vertiefen sollte. Dann kann er im ganz schweren italienische Fach sicher in der ersten Liga spielen, ohne unfairerweise immer wieder auf seinen außerkünstlerischen Verwandtschaftsstatus reduziert zu werden.

Als Adrianas Gegenspielerin um die Gunst des Tenors war diesmal die junge Russin Olesya Petrova aufgeboten. Die St. Petersburgerin steht am Anfang einer wohl großen internationalen Karriere, an der MET hat sie schon debütiert. Als Fürstin von Bouillon kann sie zwar nicht mit allzuviel gestalterischem Feintuning aufwarten, das gibt diese vor Eifersucht und vokalem Furor nur so triefende Rivalinnen-Rolle einfach nicht her. Aber sie lässt mit ihrem in allen Lagen sicheren, expansionsfähigen dramatischen Mezzo und einem frischen Timbre mehr als aufhorchen. Das wilde Duett der beiden stutenbissigen Bühnenfiguren Adriana und Fürstin am Ende des zweiten Akts, sonst Höhepunkt einer Adriana-Aufführung, wollte diesmal allerdings nicht so richtig zünden. 

Als Fürst von Bouillon darf der fesche Patrick Guetti, Stipendiat des Förderkreises der Deutschen Oper Berlin, mit schwarzem Bass eine beeindruckende Visitenkarte seines großen Talents abgeben. Weitaus weniger überzeugt Burkhard Ulrich als intriganter Strippenzieher Abbé von Chazeuil. Mit engem Tenor, mangelnder Italianità und die Nase in den Noten bleibt die Figur im Irgendwo. Was aus solch einer Charakterrolle herauszuholen ist, führte an diesem Abend Alessandro Corbelli beispielhaft vor. 

Die vier jungen Schauspieler Mademoiselle Jouvenot, Mademoiselle Dangeville, Quinault und Poisson waren mit Vlada Borovko, Aigul Akhmetshina, Padraic Rowan und Ya-Chung Huang wohltönend und spielfreudig besetzt. 

Der Chor der Deutschen Oper Berlin (Einstudierung Jeremy Bines) agierte in den wenigen Stellen seines Einsatzes präsent und wohl studiert.

Was die Stimmung im Saal anlangte, so war sie bis zur Pause ziemlich flau, weil das Spiel „Wer ist der/die Lautere?“ nicht verfing und vor allem die musikalische Substanz durch das pauschal ausspielende Orchester nivelliert verschwommen daherkam. Das änderte sich signifikant erst im vierten Akt, als Anna Netrebko mit der magisch vorgetragenen  Arie „Poveri fiori“ vorführte, was vokale Welt- und Sonderklasse ausmacht. Nämlich nicht nur Stimmprotz und Volumen, sondern frei flutende Piani, silbrig aufleuchtende Höhen sul fiato, kunstvoll ziselierte Phrasen und jenes ausbalancierte Wort-Tonverhältnis, das große Opernkunst erst ausmacht. Yusif Eyvazov war nicht nur in der Todesszene ihr äußerst berührender und stimmlich potenter Partner.

Zur Oper und ihrer Entstehung ist auf der Website der Deutschen Oper kurz, aufschlussreich und informativ zu lesen: „Ein kompliziertes Netz von Intrigen, eine eifersüchtige Prinzessin, ein vergifteter Veilchenstrauß und eine begnadete Künstlerin, um deren Tod sich düstere Legenden ranken: Nichts Geringeres verwandelte Eugène Scribe in sein Theaterstück über Adrienne Lecouvreur, die bedeutendste Schauspielerin des frühen 18. Jahrhunderts. Seine dramatische Studie des verruchten, kunstsinnigen Ancien Régime von 1849 verarbeitete Francesco Cilea gut 50 Jahre später zu seiner wohl berühmtesten Oper Adriana Lecouvreur. In der atemraubend unübersichtlichen Intrigenhandlung streiten sich Adriana und ihre Rivalin, die eifersüchtige Prinzessin Bouillon, um die Liebe des Grafen Maurizio, des historischen Grafen Moritz von Sachsen. Zwar rügten Kritiker schon bei der Uraufführung 1902 das nach Verismo-Maßstäben unwahrscheinliche Ende der Schauspielerin, die ein vergifteter Strauß Blumen zur Strecke bringt. Doch nicht zuletzt die lyrischen, virtuosen Gesangspartien machen das Stück bis heute zu einem unangefochtenen Klassiker der Opernliteratur. Vor allem die Titelpartie der Adriana gilt als Meisterstück jeder großen Sopranistin.“

Anmerkung: Die Oper wird in dieser Besetzung noch am 7.9. gespielt. Restlos ausverkauft sind aber dennoch beide Abende nicht, zumindest am Nachmittag der Premiere waren noch offiziell Restkarten der Platzgruppe 1 (240 Euro) und Platzgruppe 2 (180 Euro) zu haben. 

Dr. Ingobert Waltenberger


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