Berlin/ Staatsoper: „SIMON BOCCANEGRA“ mit Plácido Domingo als großartige Herrenoper, 17.04.14
Placido Domingo. Foto: Monika Rittershaus
Beim Schlussapplaus springt das Publikum plötzlich auf und spendet lang anhaltende „standing ovations“. Sie gelten Plácido Domingo, der hier erneut den Simon Boccanegra in der gleichnamigen Verdi-Oper verkörpert hat. Zum dritten Mal seit 2009 und 2012. Und wiederum wird er zum Star der „Festtage“ der Staatsoper im Schillertheater.
Umringt ist er bei dieser Aufführung von einer besonders hochkarätigen Herrenriege. Dazu gehört als „Newcomer“ Dmitry Belosselskiy. Viril und prägnant gibt er den Jacopo Fiesco, von Stimme und Haltung ein wahrer Adliger. Ein Stolzer, der spürbar hassen kann, sich aber nicht dazu verleiten lässt, seinen vermeintlichen Widersacher Simon im Schlaf zu töten. All’ das beweist er bestens mit seinem klaren, ausdrucksstarken Bass.
Überzeugend auch Àngel Òdena (Bariton) als der Paolo Albiani, der voller Ehrgeiz und Rachsucht vor nichts zurück schreckt. Stimme und Darstellungskunst vereinen sich bei ihm zu einer kompakten Charakterstudie.
Wilhelm Schwinghammer, erneut in der (kleineren) Bass-Rolle des Pietro, bietet stimmlich und schauspielerisch eine ebenfalls gute Leistung, während sich Fabio Sartori als Gabriele Adorno nicht nur in Amelias Herz singt. Mit seinem ebenso warmen wie strahlenden Tenor formt er jeden Ton bewundernswert aus und erscheint mir gesanglich noch vollkommener als 2009 und 2012. Wieder mit im Team ist Jonathan Winell (Tenor) als Hauptmann der Bogenschützen.
In dieser kraftvollen Runde weit jüngerer Männer zu bestehen, verlangt schon einiges, und bei Domingos ersten, etwas rauen, gaumigen Tönen bekomme ich einige Bedenken. Doch die verfliegen im Nu. Nicht, dass die „Jungen“ ihre Stimmen zurücknähmen. Keineswegs. Die singen mit voller Kehle, doch der Unverwüstliche kann mithalten und noch weit mehr. Schauspielerisch ist er ohnehin unschlagbar, Phrasierungskunst und Stimmvolumen lassen erneut staunen. Überdies dringt sein (jetziger) Bariton immer weiter in die Tiefe.
Zugute kommt den „Altgedienten“ das unveränderte Umfeld: die Inszenierung von Federico Tiezzi, das realistische Bühnenbild von Maurizio Balò und die Kostüme von Giovanna Buzzi. An ihren schicken Uniformen gibt es nichts zu mäkeln, jedoch sollte sie endlich mal den Saum vom weißen (weniger kleidsamen) Dogengewand um einige Zentimeter kürzen. In seiner Länge ist es stolperträchtig, selbst wenn Domingo als Routinier den Stoff gekonnt zur Seite schwingt.
Als Routinier vor Ort hält Daniel Barenboim die musikalischen Fäden fest in der Hand, gibt – zusammen mit der Staatskapelle Berlin – Verdi alles an Schmelz und Dramatik, was ihm gebührt. Auch der Staatsopernchor, einstudiert von Martin Wright, trägt das Seine zum vollen Klangbild bei.
Und so gelingen speziell die dramatischen Phasen der Oper, die den Ex-Korsaren als kampfbereiten Friedensfürsten zeigen, beeindruckend. Diesem Dogen glaubt man, dass er ohne Rücksicht auf das eigene Leben nichts anderes im Sinn hat, als die verfeindeten Stadtregierungen zu einen. Auch die ganz andere Szene, in der er Paolo zwingt, sich selbst zu verfluchen, geht unter die Haut. Und wie er sich schließlich überwindet, dem Feind Gabriele Adorno seine geliebte Tochter zur Frau zu geben, wird erneut zum Höhepunkt dieser Wieder-Aufführung.
Nur bei der aparten Maria Agresta (Bühnendebüt 2007) bleiben gesanglich einige Wünsche offen. Nach der im Programmheft geschilderten Vita müsste sie fast schon zur Spitze gehören, doch speziell zu Beginn klingt ihr Sopran eher schrill, und auch die Intonation wackelt etwas. Vielleicht macht sie der Gedanke an ihre perfekte Vorgängerin (Anja Harteros) nervös.
Im Verlaufe, väterlich von Domingo unterstützt, gewinnt ihre Stimme an Glanz. Auch setzt sie die Spitzentöne mit weichem Wohlklang. Darüber hinaus kann die schlanke junge Frau mit intensiver Darstellung punkten. Also erhält auch sie herzlichen Schlussapplaus, in den Evelin Novak als Amelias Dienerin eingeschlossen wird. – Insgesamt ein wirklicher Festtagsabend!
Ursula Wiegand