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LINZ / Musiktheater am Volkspark: LE PROPHÉTE von Giacomo Meyerbeer

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Jeffrey Hartmann (Jean) flankiert von Matthäus Schmidlechner (Jonas) und Adam Kim (Mathisen), Foto: Barbara Palffy

LINZ: Musiktheater am Volkspark: LE PROPHÉTE von Giacomo Meyerbeer

18. Oktober 2019 (Premiere 22. September 2019)

Von Manfred A. Schmid

1849 in Paris triumphal uraufgeführt, wurde Meyerbeers Grand Opéra par excellence Le Prophéte schon im folgenden Jahr in Hamburg zur deutschen Erstaufführung gebracht. Richard Wagner zeigte sich ergriffen und fühlte sich „glücklich und erhoben,“ wie er einem Brief bekannte: „Kommt das Genie und wirft uns in andere Bahnen, so folgt ein Begeisterter gern überall hin, selbst wenn er sich unfähig fühlt, in diesen Bahnen etwas leisten zu können.“ Bald darauf revidierte er – das Ganze immer mehr durch die antisemitische getönte Brille betrachtend – sein Urteil und wurde in seiner Einschätzung zunehmend radikaler. In seiner Autobiographie Mein Leben, Jahrzehnte später, heißt es dann nur noch: „Mir ward übel von dieser Aufführung.“ Dessen ungeachtet hielt sich das Werk bis über die Wende zum 20. Jahrhundert hin als „Renner“ auf den Spielplänen der Opernhäuser in aller Welt. Dann geriet es ziemlich in Vergessenheit. Erst die kritische Edition der Oper 1997, unter Einbeziehung aller gestrichenen Teile, entfachte neues Interesse und führte ein Jahr später zu einer Neuinszenierung an der Wiener Staatsoper, die sich aber als nicht sehr nachhaltig herausstellen sollte. In der laufenden Saison ist Giacomo Meyerbeers Le Prophéte, den Recherchen der Oper Linz zufolge, in Europa nur in Linz zu sehen und zu hören. Ein guter Grund nach Linz zu fahren, wo das Stück bis Ende März 2020 noch sieben Mal gezeigt wird.

So weit die gute Nachricht. Insgesamt ist das ehrgeizig Unterfangen der Oper Linz aber nur zum Teil als gelungen einzuschätzen. Das liegt zum einen an der unbeholfenen Regie von Alexander von Pfeil, zum anderen an dem Umstand, dass man bei der Besetzung der Titelpartie keine gute Hand bewiesen hat. Jeffrey Hartmann fehlt dafür jegliche Ausstrahlung. Die Wandlung des Gastwirts Jean de Leyde vom einfachen, bibelfesten Bürger zum allseits gefürchteten Anführer der Angst und Schrecken verbreitenden Horde der Wiedertäufer nimmt man ihm nicht ab. Er bleibt, auch wenn er sich selbst die Krone – als vermeintlicher und beinahe gottgleicher König der ganzen Welt – aufsetzt, im Grunde immer nur eine Marionette. Die Fäden ziehen andere, die heuchlerischen Prediger Zacharie, Jonas und Schmidlechner, die in Wahrheit nur das Ziel haben, die Unzufriedenheit der Armen und Unterdrückten durch Aufwiegelung dazu zu nützen, bei ihren Beutezügen unermesslichen Reichtum anzuhäufen und es sich gut gehen zu lassen. Die bigotte Verpflichtung, dass jeder Mann mehrere Frauen haben muss, um Gottes Schöpfungsplan zu erfüllen, gehört dazu. Das Libretto von keinem geringeren als Eugène Scribe hingegen zeichnet Jean als einen charismatischen Machtmenschen, der die Massen anzieht und von Erfolg zu Erfolg führt, bis tatsächlich darab glaubt,  dazu berufen sei, die Welt zu erobern. Die Probe aufs Exempel liefert der Beginn des Vierten Akts. Die Untergebenen meutern nach einer kriegerischen Niederlage und beschuldigen Jean, ein falscher Prophet zu sein. Ihm soll es das aber mit einer mitreißenden Rede und einem skrupellosen Schachzug gelingen, sie wieder auf seine Seite zu bringen. Auch das nimmt man Jeffrey Hartmann nicht ab. Erst am Schluss, als er, von allen verraten, vor den Trümmern seiner Existenz steht und seine Mutter, die er verleugnet hat, sowie seine Braut wiedertrifft, vermag er einigermaßen zu berühren. Als ein Häufchen Elend steht er glaubwürdig da. Stimmlich aber hat Hartmanns Tenor durchgehend beträchtliche Mängel, wirkt gepresst und in der Höhe oft unsauber.

 Die mächtigen Männer im Hintergrund – Zacharie (Dominik Nekel), Jonas (Matthäus Schmidlechner) und Mathisen (Adam Kim) hingegen können auch stimmlich überzeugen und verströmen als versierte Strippenzieher latente Gefährlichkeit. Ihr mehrfach intonierter Choral „Ad nos, ad salutarem undam“, von Meyerbeer „im Stile frühprotestantischer Kirchenlieder“ komponiert, erhält, nicht zuletzt durch die begleitenden tiefen Blasinstrumente einen bedrohlichen Klang und verheißt nichts Gutes.

Jeffrey Hartmann (Jean) und Ensemble. Foto: Oper LInz / Barbara Palffy

Als verhasster Graf von Oberthal, der durch die Entführung von Jeans Braut dessen Rachefeldzug ausgelöst hat, kommt der bewährte Hausbariton Martin Achrainer zu Einsatz. Darstellerisch wie gewohnt ungemein präsent, dennoch geht diese Partie mit ihren stimmlichen Anforderungen in der Tiefe deutlich über seine Möglichkeiten. Den stärksten Eindruck hinterlassen in dieser Aufführung dafür die beiden Frauengestalten. Katharina Lerner als Jeans leidende, mitfühlende Mutter und Brigitte Geller als seine Braut, die angesichts des nahen Todes ihm seine „Karriere“ verzeiht, wirken in jeder Note authentisch. Sie sind die idealen Sympathieträger in dieser auf historischen Tatsachen beruhenden Widertäufer-Geschichte rund um die westfälische Stadt Münster im 16. Jahrhundert.

Der Regisseur Alexander von Pfeil verfolgt in seiner Inszenierung das Vorhaben, den Zeithorizont der Handlung bis in die Gegenwart zu erweitern. In der Tat sind Verführung, Ausnützung religiöser Motive für das Erreichen politischer Ziele und Tyrannei, die sich als Wohltätigkeit tarnt, Phänomene von – leider – andauernder Aktualität. Angesiedelt ist das Ganze in einer unspezifischen Gegenwart, die Sektenführer benutzen Handys. Warum trotz moderner Waffen aber ausgerechnet eine Axt am häufigsten zum Einsatz kommt, ist ebenso wenig nachvollziehbar wie die Idee, den Ku Klux Klan in das Geschehen einzubauen. Gänzlich scheitert die Regie, wenn es darum geht, die Menschenmassen auf der Bühne wirkungsvoll zu steuern. Da wirkt die Choreographie sehr unfertig. Im Programmheft wird anhand zweier Fotos zwar suggeriert, dass man sich dabei u.a. vom berühmten Bild Das Floß der Medusa von Théodore Géricault habe inspirieren lassen. Unter Augenschein genommen, ist davon aber kaum was zu erkennen, dabei gäbe die Bühne von Piero Vinciguerra – das Innere eines Gasometers – recht gute Möglichkeiten für eine adäquate Bespielung. Nicht durch Originalität zeichnen sich die unauffälligen Kostüme von Katharina Gault aus. Nur beim prunkvollen Herrschergewand wurde nicht gespart, wohl um das Manko fehlender Ausstrahlung des damit Bekleideten zu kaschieren.

Sehr kläglich fällt das dramatische Finale aus. Alles sollte – einer wahren Grand Opéra würdig – in Flammen aufgehen, wenn das unter dem Festsaal befindliche Pulvermagazin explodiert. Was aber hier geboten wird, wird von einem jeden Kindergeburtstags-Feuerwerk übertroffen. Von den Möglichkeiten modernster Bühnentechnik nimmt der Regisseur – mit vollem Namen Alexander Christian Ernst Friedrich Carl Graf von Pfeil und Klein-Ellguth -, der nach seinem Rausschmiss 2007 nach zwei Jahren Tätigkeit als Oberspielleiter an der Oper Berlin im Internet unverdrossen weiter als „Geheimtipp“ gehandelt wird und am Mozarteum Salzburg Musikdramatische Gestaltung lehrt, keinen Gebrauch.

Was die Linzer Aufführung trotz aller angekreideter Mängel besuchenswert macht, ist nicht zuletzt die Musik, die aus dem Orchestergraben kommt. Markus Poschner am Pult des Bruckner Orchesters Linz sorgt für eine solide, zuweilen etwas zu „brave“ Wiedergabe der nuancenreichen Partitur. Die vielen Chöre, die zum Einsatz kommen, führt er gut und sicher. Was im Gewoge auf der Bühne nicht immer vorhanden ist, musikalisch zumindest herrscht hier wohltuende Klarheit, ohne damit aber spannungslos zu werden. Meyerbeers Musik erweist sich als musikdramatisch überaus effektvoll. Gerade deshalb könnte man die vielen Ballettmusiken, zu denen ja in dieser Neuinszenierung nicht getanzt wird, einsparen. Ohne Ballett wirken sie etwas zu harmlos und wollen nicht so recht zur Handlung passen. Vermutlich zeigen diese Stücke – sozusagen als Entspannungsmomente – das fröhliche Leben der Wiedertäufer in den Zeiten zwischen ihren Eroberungszügen, wenn sie sich an ihrer Beute erfreuen und der Vielweiberei frönen. Als rein instrumentale Zwischenspiele aber erfüllen sie keinen Zweck und wirken zu belanglos.

18. Oktober 2019


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