Fotos: Metropolitan Opera
NEW YORK / Metropolitan Opera / Live in HD
COSI FAN TUTTE von W.A. Mozart
26. April 2014
Diese Produktion von „Cosi fan tutte“ war ein wichtiges Ereignis für die New Yorker Metropolitan Opera, als sie im September vorigen Jahren wieder auf dem Spielplan erschien. Nicht wegen der alten Inszenierung von Lesley Koenig aus dem Jahr 1996, die bringt im Großen und Ganzen jenes brave Theater in schönen Dekorationen, das die Met-Besucher erwarten (wenngleich es sehr hübsche Details gab). Aber mit dieser Oper, die er besonders liebt, kehrte James Levine nach zweijähriger Krankheitspause an „sein“ Haus zurück – und an dem Abend, da diese „Cosi“ live in HD in die Welt ging (von drei Millionen Zusehern weltweit ist die Rede), dirigierte er seine 2482. Vorstellung an der Met.
Levine und die Met, das ist eine Geschichte für sich, und er hat sich kaum je entschließen können, von New York wegzugehen – wenig in Salzburg und Bayreuth in den Sommern, kurz die Leitung der Münchner Philharmoniker, etwas länger die des Boston Symphony Orchestra, aber seit 1971, da er an die Met kam, hat er sich am liebsten in deren Orchestergraben aufgehalten, die Weltliteratur der Oper mit den besten Besetzungen durchexerziert, als künstlerischer Direktor versucht, New Yorker Geschmack und Ansprüche (die auf dem Opernsektor nicht allzu modern sind) mit möglichst hoher Qualität zu verbinden. Erfolgreich.
Man hat es ihm gedankt. Man kann sich Orte denken (auch Wien, wenn der Direktor etwa Holender hieße), wo man über die Comeback-Ansprüche eines 70jährigen hohnlachen würde („Alter, bleib z’haus und gib a Ruh!“). Wie das Pausengespräch mit Met-Intendanten Peter Gelb zeigte, ist man in New York glücklich und dankbar, Levine wieder zu haben, und es ist berührend, wie dieser – immer noch mit dem wild in alle Richtungen strebenden Haarkranz – im Rollstuhl mit aller Begeisterung, die Backen aufblasend, Mozart dirigiert.
Levines „Cosi fan tutte“ hört sich – das Geschmacksurteil sei erlaubt – viel „schöner“ an als die von Harnoncourt, dabei ist sie keineswegs der filigran-schwebende, zauberhafte Mozart, sondern ein stringent voran getriebener, elastischer, in den großen Ensembles geradezu brillant-atemloser, der in den großen Arien dann retardiert, die Emotion voll auskostet (und die Sänger zum Extrem fordert). Ein musikalisch schöner Abend, großteils auch von der Besetzung her, mit dem Schwachpunkt eines nicht sehr wohlklingenden Chors, der hier glücklicherweise wenig zu tun hat (da weiß man dann erst, was wir an unserem Staatsopern-Chor haben).
Susanna Phillips, die bildhübsche, momentan erst andeutungsweise zur Dicklichkeit neigende junge Sopranistin, die bei uns noch nicht ihre Aufwartung gemacht hat, ist eine schlechtweg wunderbare Fiordiligi, mit hellem, höhensicherem, leicht angesetztem, nie schrillem Sopran, die Mozarts Registersprünge so souverän bewältigt wie wenig andere Sängerinnen, die man in dieser Rolle gehört hat. Wenn das eine oder andere nicht total lupenrein gelingt (das sind dann wirklich nur Kleinigkeiten), so kompensiert sie das mit der leidenschaftlichen Hingabe, mit der sie sich in Fiordiligis Seelen- und Gewissensqualen stürzt – und trotz ihrer evidenten Gefühlsehrlichkeit dann so drollig wirkt, wie es die Komödie verlangt.
Isabel Leonard, die in der nächsten Saison ins Levines neuem „Figaro“ der Cherubin sein wird, ist eine bildhübsch anzusehende Dorabella, schöne Tiefe, eine etwas weniger qualitätvolle Höhe, und im Spiel viel weniger Kokette als Seelchen, was sich vom Rollenschema abweichend sehr gut macht.
Als dauerlachende und –grinsende Despina ist Danielle de Niese, die wir im Wien aus dem Theater an der Wien stets in ernsthaften Barockpartien kennen gelernt haben, eine wahre Bombe als Despina.
Matthew Polenzani, der in Wien zuletzt als Rigoletto-Herzog nicht eben begeistern konnte, überzeugte als Mozart-Tenor weit mehr. Er und sein Kollege waren zwar spürbar älter als die jungen Damen, aber wo sich optische Behäbigkeit einschleichen mochte, bot er so ambitionierten, technisch versierten Mozart-Gesang und so nuanciertes Spiel, dass alle Einwände verstummten. Diese würden sich bei dem Russen Rodion Pogossov gegen einen nicht eben sonderlich qualitativen Bariton richten, aber auch er verstand es, seine Figur – den Gugliemo – hoch differenziert und selbstironisch-komisch auszuspielen.
So war Maurizio Muraro als Don Alfonso der einzige Ausfall des Abends, müde italienische Buffo-Routine zu einer flachen, ausgesungenen Stimme, und keinerlei Persönlichkeitsqualitäten, die hier ausgleichend gewirkt hätten.
In der Pause musste Renée Fleming (für deren „Lustige Witwe“ in der nächsten Spielzeit schon ausführlich geworben wurde) als Moderatorin natürlich die politisch korrekte Frage stellen, wie man im 21. Jahrhundert noch unterstellen könne, alle Frauen seien a priori untreu – und wie gestrig das Ganze wohl sei? Und da fand Matthew Polenzani die interessante Antwort, das sei eben eine Oper, eine Welt für sich, eine Komödie, die in sich stimme und als solche betrachtet und gespielt werden sollte. Ja, tatsächlich. Die Inszenierung von Lesley Koenig (hübsch, aber für New Yorker Verhältnisse relativ einfach ausgestattet von Michael Yeargan), erinnerte im Grunde an die Otto-Schenk-Zeiten, als man noch nicht um jeden Preis „interpretieren“ wollte, sondern die Werke aus ihren Vorgaben heraus einfach „richtig“ auf die Bühne zu bringen versuchte.
Und ehrlich – man muss nur die Darsteller richtig führen, um das grausame Experiment, das Mozart und Da Ponte da schildern, auch in hübschen gestrigen Kostümen ganz plastisch zu machen, wobei es hier in New York eine überzeugende Pointe gab: Es wurde ganz klar, dass jeder der beiden Männer in seiner Verkleidung als „Albaner“ selbstverständlich die eigene Braut erobern wollte – und es die Frauen waren, die flugs die Sessel tauschten und sich jeweils den anderen Mann holten: Und von da an läuft für die Männer alles schief, und sie bekommen ihr böses Experiment Schritt für Schritt auch böse vergolten. Am Ende ist völlig klar, dass hier zu schönster Musik vier schwer beschädigte Menschen auf der Bühne stehen, die vermutlich nie wieder unbeschwert glücklich sein werden. Und das ist ja eigentlich die Aussage – und keine „moderne“ Inszenierung könnte sie deutlicher machen.
Renate Wagner