Dortmund: DIE JAHRESZEITEN (Joseph Haydn) Premiere am 27. April 2014
Anfang Dezember 2012 brachte der neue Dortmunder Opernintendant JENS-DANIEL HERZOG das Oratorium „Elias“ von Felix Mendelssohn auf die Bühne, und das Publikum war “schier aus dem Häuschen“, wenn dieses Eigenzitat gestattet ist. Nicht von ungefähr. Trotz Reibungen im Detail „geht das inszenatorische Verfahren nicht nur auf, sondern verschafft dem Werk neue Einsichten.“ Jetzt, bei Joseph Haydns „Jahreszeiten“, ist das genaue Gegenteil der Fall. Es gab zuletzt einen Buhorkan (und einen wütenden Einzelprotest nach dem ersten Bild) für den Regisseur und seine interpretatorischen Nichtigkeiten. „100 Jahre Deutschland“ übertitelt Herzog großsprecherisch sein im Programmheft dargestelltes Konzept. Der Beitrag liest sich durchaus plausibel, macht sogar regelrecht neugierig. Den Kreislauf der Natur assoziiert Herzog mit gesellschaftlichen Entwicklungen im Nachkriegs-Deutschland.
Das Oratorium beginnt mit dem Frühling, der Regisseur mit einem Teil des Winters, wohl um eine Bildklammer zum Finale zu schaffen. Die Bühne von MATHIS NEIDHARDT, ein neutraler, säulengestützter Raum, ist mit Schnee bedeckt, aus dem sich die drei Protagonisten und der Chor peu à peu hervor graben. Harte Nachkriegszeit, Bildsuche nach Vermissten, dann die ersten Heimkehrer. Da kann ja wohl kein Ackermann „froh zur Arbeit aufs Feld“ gehen. Aber Herzog hat eine Idee. Die Leute beginnen Schnee zu schippen, manchmal passagenweise im Takt mit der Musik. Das könnte ein erstes Indiz dafür sein, dass der Regisseur seine Inszenierung auch (vielleicht sogar vor allem) als einen ironisch gebrochenen Kommentar versteht. Wenn der Bass-Solist mit Ludwig-Erhardt-Maske auftritt und ein Baby-Boom die massiv anbrechende Wirtschaftswunder-Zeit andeutet, kann das ja durchaus als Kritik an neuer Saturiertheit verstanden werden. Auch das Fernsehen als Zentrum neuer Familienidylle wird durchaus witzig ins Bild gesetzt.
Später ist ein Winzerfest heftig zugange, wird die Annäherung eines Liebespaares durch Grillfeste gestört und aktenintensives Volkshochschul-Leben bebildert („echter Fleiß“ heißt es im Libretto). Das mag für sich genommen nett, vielleicht sogar witzig sein. Nur, um Gotteswillen, was hat das alles mit dem angekündigten Konzept zu tun? Dass im Winter-Teil vergreiste Menschen vor sich hindämmern, wird nicht als mögliche Folge gesellschaftlichen Fehlverhaltens gezeigt, sondern ist lediglich ein isoliert pittoreskes Bild. Kein Zweifel: das Inszenierungsprinzip von Herzog ist banal, simpel illustrierend, infantil verspielt. „Gut gemeint“ wäre das höchste denkbare Kompliment für diesen verlorenen Abend.
Der fulminante Chor (Einstudierung: GRANVILLE WALKER) macht den ganzen Unsinn mit, zieht darstellerisch daraus vielleicht sogar einigen Lustgewinn. Möglicherweise auch die Solisten, denen man zumindest keinen „inneren Widerstand“ gegen das Regiekonzept anmerkt. Das sind ANKE BRIEGEL mit frisch-fröhlichem Sopran als Hanne, der exzellent deklamierende LUCIAN KRASZNEC mit inzwischen etwas schwerer gewordenem, aber immer noch lyrisch leuchtkräftigem Tenor als Lukas und der vokal leicht abfallende MORGAN MOODY (Simon). Die straffe und detailgenaue orchestrale Darbietung unter PHILIPP ARMBRUSTER macht Lust, sich das (von einem papierenen Libretto sehr belastete) Werk noch einmal an häuslichen Lautsprechern zu Gemüte zu führen und dabei die Bilder in Dortmund zu verdrängen.
Christoph Zimmermann