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NANCY: LA CLEMENZA DI TITO

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NANCY: La clemenza die Tito –  8.Mai 2014

 Am 6.September 1791 wird Kaiser Leopold II. in Prag zum König von Böhmen gekrönt. Musikalischer Höhepunkt der Feierlichkeiten soll die Aufführung einer eigens für diesen Anlass komponierten Huldigungsoper sein. Antonio Salieri, als Leiter der Hofkapelle die erste Wahl als Komponist, lehnte aus Zeitgründen das Angebot des Prager Impressarios Domenico Guardasoni ab, und so erging der Auftrag an Wolfgang Amadeus Mozart. Unter Termindruck konnte kein neues Textbuch erstellt werden, sondern Caterino Mazzolá adaptierte ein bestehendes Libretto von Pietro Metastasio. “La clemenza di Tito” war bereits mehrfach vertont worden war – unter anderem von Caldara (1734), Hasse (1735), Wagenseil (1746), Gluck (1752), Jomelli (1753), Scarlatti (1760) und noch einigen mehr – und war den Auftraggebern daher sicher bekannt. Dazu kommt, dass der Inhalt ideal zum Ereignis passt: Trotz bösartiger Intrigen und Verrat beharrt der Kaiser auf den Herrschaftstugenden Großmut und Milde. Dass die Kaiserin die mit freundlichem Beifall aufgenommene Oper als eine „porcheria tedesca“, eine deutsche Schweinerei, bezeichnet haben soll, ist jedoch durch kein zeitgenössisches Dokument belegt.

Dem feierlichen Anlass entsprechend, die Uraufführung im Prager Ständetheater fand am Krönungstag statt, entschied sich Mozart für die Komposition einer „opera seria“, deren Blütezeit am Ende des 18.Jahrhunderts allerdings längst in der Vergangenheit lag, wenngleich mit Anklängen an den Zeitgeschmack. Die Form der da-capo-Arie und der Secco-Rezitative (vermutlich von seinem Schüler Süßmayr geschrieben) blieb jedoch erhalten. Die Partien des Sesto und des Annio, so ist Quellen entnehmbar, wollte er ursprünglich für Tenor komponieren. Da ihm aber vom Impresario der Einsatz eines Kastraten – ein zu dieser Zeit ebenfalls nicht mehr zeitgemäßer Sängertyp – empfohlen wurde, schrieb Mozart diese beiden Rollen kurzerhand um (was nichts an der Tatsache ändert, dass die Partien schon wenig später und bis heute von Mezzosopranistinnen gesungen wurden).

Die Urfassung, natürlich mit Countertenören und nicht Kastraten, bringt die Opéra National de Lorraine in Nancy zur Aufführung (ich habe die letzte Aufführung der Serie am 8.Mai gesehen). Als Gemeinschaftsproduktion mit der North Opera in Leeds, wo im vergangenen Jahr allerdings die traditionelle Fassung gezeigt wurde. In diesem Zusammenhang muss die Frage gestattet sein, warum diese Urfassung in einem Haus, das sicher nicht zu den prominentesten Häusern zählt, gespielt wird und nicht im Rahmen von Festivals; abseits der Salzburger Mozartwoche fallen mir spontan das Mozartfest Würzburg oder der Prager Frühling ein. Und nach meinem Wissensstand haben auch keine der Originalklangdirigenten je diese Fassung zur Aufführung gebracht (im Internet konnte ich jedenfalls keine einschlägige Produktion oder Platten/CD-Einspielung finden).

Diesem musikhistorischen Konzept entspricht die Szene in keiner Weise. Der im Führungsstab des Royal Opera House tätige Regisseur John Fulljames hat gemeinsam mit seinem Bühnen- und Kostümbildner Conor Murphy und unterstützt von Bruno Poet (Beleuchtung) und Finn Ross (Video) eine Inszenierung erarbeitet, die auf zahlreiche Opern passen würde. Man muss kein Freund von wallenden Perücken und historisch korrekten Kostümen sein und schon gar nicht von einer statischen Personenführung der Barockoper (Freunde solch einer szenischen Umsetzung erfreuen sich der Aufführungen im Schlosstheater von Cesky Krumlov; dort habe ich übrigens vor ein paar Jahren den „Titus“ in der Komposition von Hasse erlebt), aber zumindest in Ansätzen sollte die musikalische Umsetzung zur Szene passen. Vor allem auch in einem prunkvoll historischen Opernhaus.

Die Bühne wird durch einen nach vorne offenen Würfel verkleinert, dessen Deckel immer wieder hochgehoben wird, dessen Seitenwände sich immer wieder verschieben oder geteilt werden (und dann an das Ambiente der Wotruba Kirche erinnern) oder als Projektionsfläche dienen. Davor steht eine Glaswand, vor und hinter der die Akteure singen und spielen, und die mit auf- oder abgezogenen Jalousien und dem Einsatz der Drehbühne einfache Szenenwechsel ermöglicht. Die SängerInnen sind alle dunkel gekleidet und (außer Publio) gestiefelt, einzig Vitellia darf zuletzt in einem hochzeitskleidähnlichen Kostüm und Pumps auftreten, das sie sich während des großen Rondos im 2.Akt auszieht um im Finale verschleiert zu erscheinen (hier schließt sich der Kreis zum – wieder einmal – verinszenierten Vorspiel: alle Figuren der Oper sitzen hinter der Glaswand rund um einen Besprechungstisch; eine verschleierte Dame erscheint – diese Statistin wird gemeinsam mit zwei anderen Personen immer wieder auftreten – und Titus verschwindet mit Ihr; die Sitzung endet ungeplant und im Chaos). Einfach und unaufdringlich ist auch die Personenführung. Glaubhaft menschliche Reaktionen zeigt einzig Titus, wenn er schwankt, das Todesurteil für Sesto zu unterzeichnen. Und auch, wenn der Regisseur in einem im Programmheft abgedruckten Interview davon spricht, dass Sesto die wichtigste Figur der Oper ist und die Szene von ihm abgeleitet wird, mir hat sich die Umsetzung dieses (durchaus nicht unlogischen) Konzeptes nicht erschlossen.

Zumeist positiv ist mein Eindruck von der musikalischen Seite des Abends, wenngleich der eine oder andere kleine Einwand erlaubt sein muss. Das Orchester ist traditionell groß besetzt (im Vergleich dazu erlebte man bei der jüngsten Produktion in München ein beinahe kammermusikalisch reduziertes Orchester); als Begleitinstrument bei Sestos Parto-Arie wurde die Bassklarinette durch eine „normale“ Klarinette ersetzt, bei Vitellias „Non piu di fiori“ ist ja eine Alternative zum vorgesehenen Bassetthorn möglich (wenn auch nicht Originalklang). Der in den USA geborene Kazem Abdullah, seit 2012 GMD in Aachen, ist ein Kapellmeister im besten Sinn, der den (sehr guten, in den Proszeniumslogen hinter Vorhängen versteckten) Choer de l´Opera national de Lorraine und das Orchestre symphonique et lyrique de Nancy aufmerksam leitet und den SängerInnen gut sichtbare Einsätze gibt und sie einfühlsam begleitet.

Man muss sich darauf einlassen (wollen), dass Sesto und Annio von Countertenören gesungen werden. Die Logik des Stückes wird dadurch deutlicher, wenn tatsächlich Männer auf der Bühne stehen, der Stimmklang ist – zugegeben – zunächst gewöhnungsbedürftig. Wenn aber Sänger wie Franco Fagioli (Sesto) oder Yuriy Mynenko (Annio) auf der Bühne stehen, werden solche Überlegungen hinfällig. Diese beiden Sänger beherrschen ihre Stimmen souverän und gestalten die Rollen vokal wie darstellerisch überzeugend. Bernard Richter, mozarterprobt unter anderem in Zürich und bei den Salzburger Festspielen, ist ein überzeugender Titus; stil- und höhensicher, koloraturengewandt und auch ausdrucksstark im Spiel. Bei Bernarda Bobro fällt einmal mehr die musikalische Kürze der Servilia auf; bei dieser hochmusikalischen Sängerin (die auf der internationalen Karriereleiter beständig nach oben steigt und an ihrem ehemaligen Stammhaus Volksoper auch mangels geeigneter Rollen nur mehr ein zu seltener Gast ist) könnte die Rolle auch mehr aktive Szenen enthalten. Kleine Abstriche macht der Besucher aus Wien bei der Vitellia von Sabina Cvilak, in der Saison 2004/2005 auch an der Staatsoper in kleineren Partien zu hören. Stimmfarben sind Geschmackssache, aber die höhere Lage klingt mir bei ihr – ein sehr subjektiver Einwand – doch etwas zu scharf. Was nichts daran ändert, dass sie die schwierige Partie, die vor allem in der ersten Arie eine große Bandbreite der Stimme erfordert, gut ausfüllt. Bei Miklòs Sebestyèn fehlt mir die Bassschwärze, die dem Publio Gewicht verleiht (er selbst nennt sich auf seiner Homepage auch Bassbariton; singt aber häufig Basspartien).

War der Beifall nach einzelnen Arien häufig flau (und auch an falschen Stellen), so bejubelte das großteils junge Publikum am Ende des Abends begeistert alle Mitwirkenden (und das durchaus abgestuft).

Michael Koling 

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