Wiener Festwochen im MuseumsQuartier:
ORFEO ED EURIDICE von Christoph Willibald Gluck
Produktion Wiener Festwochen
Premiere: 11. Mai 2014
Vergangene Festwochen hat Regisseur Romeo Castellucci Scheiße auf die Bühne des Wiener Burgtheaters geschaufelt. Was er sich heuer ausdachte, ist vermutlich nicht weniger verstörend. Eine Cross-Over-Idee, die von Mut ebenso zeugt wie von Mutwillen. Denn sie ist in ihrem idealistisch präsentierten Ansatz natürlich nicht anfechtbar. Ob sie mit dem gebotenen Werk etwas zu tun hat, sei dahingestellt. Kurz, „Orfeo ed Euridice“ von Gluck wird zum Schauplatz einer Reality-Show und solcherart zur Filmmusik reduziert. Jeder Eindruck über den Abend muss die künstlerische Frage in den Hintergrund stellen und wird letztendlich nur die Weltanschauung des Betrachters widerspiegeln…
Orpheus ist ein ganz großer Mythos der Weltliteratur. Er handelt von einer Liebe, die stärker sein will als der Tod. Von einem Mann, der der geliebten Frau ins Totenreich folgt, um sie zurückzuholen. Nicht immer gibt es für die Geschichte ein Happyend wie in der musikalisch so extrem prachtvollen Fassung von Christoph Willibald Gluck aus dem Jahr 1762.
Ist das Totenreich mit der Welt der Koma-Patienten gleichzusetzen, wie es Romeo Castellucci zur Grundidee seiner Inszenierung machte, die als Projekt vom Brüsseler Opernhaus La Monnaie initiiert und nun in Koproduktion mit Wiener Festwochen 2014 realisiert wurde? Euridice ist ja nun tatsächlich tot – den Mythos des Schattenreichs auf einer Krankenstation in Hietzing zu finden, scheint schrecklich weit hergeholt. Die edle Absicht, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf die reale Existenz von Koma-Patienten zu richten (das ist nicht einmal „Schumi“ über die ersten Schlagzeilen seines Unfalls hinaus gelungen… und berühmter als er konnte man nicht sein), steht für einen erweiterten Theaterbegriff. Das kann man grundsätzlich für gut und richtig halten oder grundsätzlich als Spekulation ablehnen, als Vermixung des Unvereinbaren. Oder soll man sich die Schmerzen, von denen der Mythos so schön entrückt musiziert, mit Gewalt einmal im Leben vorstellen? Die Theatermacher belehren uns schon wieder, weil wir Publikum ja selbst nicht denken können.
Foto: Wiener Festwochen
Die Aufführung im MuseumsQuartier lässt Orfeo (den immer großartig intensiven Bejun Mehta) erst einmal gemeinsam mit dem Chor vor einer leeren Wand singen. Er steht vor einem Mikro, mehr begibt sich nicht. Amor in Gestalt eines Sängerknaben (Laurenz Sartena macht das hübsch und natürlich) verkündet, dass er in die Unterwelt darf.
Nun beginnt die zweite Ebene – die ganze riesige Hinterwand der Bühne ist nun Filmleinwand. Zuerst wird in lapidaren Sätzen, aufgeschrieben, das Schicksal der heute 25jährigen Karin Anna Giselbrecht erzählt. Geboren in Bregenz, aufgewachsen in Linz, ein besonders begabtes Kind, weshalb die Eltern mit ihr nach Wien übersiedelten, als sie 10 war, damit sie Ballett und Flöte studieren konnte. Vor drei Jahren erlitt die damals 22jährige einen Herzstillstand, Ergebnis einer seltenen Krankheit (Long QT-Syndom für jene, denen das etwas sagt). Nach der Wiederbelebung schwer gehirngeschädigt, liegt Karin heute in einem Zustand, den man Wachkoma nennt, im Hietzinger Spital. Ihre Eltern haben zugestimmt, sie zu einem Teil der „Orfeo“-Inszenierung zu machen.
Wenn nun in einer langen, langen Autofahrt erst einmal der Weg zum Spital abgefilmt wird, merkt man, wie das Interesse an dem nun winzig in der Bühnenmitte versinkenden Orfeo verschwindet und Glucks Musik zur Filmmusik, Hintergrundsmalerei, wird. Man fährt mit dem Wagen und hat Angst davor, was man sehen wird.
Die Bilder der Autofahrt bleiben verschwommen, jene im Krankenhaus sind es auch, und man ist dankbar dafür. Man nimmt ein Geschöpf im Krankenbett wahr, das Kopfhörer übergestülpt hat – Karin hört die Aufführung live mit. Über ihrem Bett hängen die Ballettschuhe, die vermutlich ihre Eltern platziert haben. Die Kamera fährt über die Fotos an der Wand, Ballettszenen. Professionelle und auch solche mit Karin: so jung und hübsch. Man sieht nur noch diese Geschichte.
Immerhin erscheint dann Euridice als Silhouette hinter der Wand, von Christiane Karg so edel wie zunehmend intensiv gesungen. Dann durchbricht die Inszenierung ihre zuerst angedeutete Absicht, nicht voyeuristisch zu sein: Wenn sie Karin nun scharf aufs Gesicht rückt, ihr Augenrollen und ihre vitalen Funktionen auf den Geräten angesichts der Musik mitfilmt, weiß man nicht, wie man sich fühlen kann und soll. Ein Mensch wird ausgestellt, um den Publikum zu beweisen, dass es nicht wegsehen darf. Und was hat es mit Glucks „Orfeo“ zu tun?
Und eines bleibt jedenfalls unwidersprochen. In der Oper gibt es ein Happyend. Dieses wird es grausamerweise für Karin Anna Giselbrecht nie geben. Soll jetzt ein Facebook- und Twitter-Hype über das arme Geschöpf hereinbrechen, das nichts davon begreift? Bespiegeln wir uns (ob in Gutmenschenpose oder nicht) hier eigentlich nicht wieder einmal selbst, Herr Castellucci?
Man vermerke noch, dass der musikalische Teil des Abends vom Feinsten ist – das Orchester B’Rock – Baroque Orchestra Ghent, sensibel und doch kraftvoll geleitet von Jérémie Rhorer, der wunderbare Arnold Schoenberg Chor, die Sänger.
Dazu keine Inszenierung, aber ein Konzept. Sagen wir: Wenn Karin Anna Giselbrecht selbst in ihrem Bett, in den Kopfhörern Gluck, etwas wie Glück empfunden hat, dann ist alles gut und richtig. Wenn man sie ausgestellt hat, um der breitestmöglichen Publicity sicher zu sein, dann ist es nicht gut und richtig.
Renate Wagner